Prigoschin gestorben, Putin gestärkt?
Veröffentlicht 24. August 2023Zuletzt aktualisiert 27. August 2023Viele haben damit gerechnet, überraschend war für Beobachter wie Irina Borogan nur die Art, wie Jewgenij Prigoschin ums Leben kam. "Dass er so spektakulär getötet wurde, ist etwas Neues", sagte Borogan in einem DW-Gespräch. Auch wenn die genauen Umstände vielleicht nie aufgeklärt werden, so die russische Investigativ-Journalistin.
Die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass es ein vom russischen Präsidenten Wladimir Putin "angeordneter Auftragsmord war", so der österreichische Politik-Experte und Russland-Kenner Gerhard Mangott gegenüber der DW. Ein denkbares Motiv: Rache für seine Bloßstellung während der Meuterei im Juni und "Warnung an Kritiker in der Führungsriege".
Meuterei gegen Armeeführung - und indirekt gegen Putin
Der Chef der berüchtigten Wagner-Söldnertruppe war nach offiziellen Angaben an Bord eines Privatjets, der am Mittwochabend abstürzte. Auch der Gründer, Kommandeur und mit seinem Decknamen "Wagner" auch Namensgeber der Truppe, Dmitrij Utkin, soll umgekommen sein. Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass die Maschine auf dem Weg von Moskau nach St. Petersburg explodierte.
Zuletzt schien es, als sei der Konflikt zwischen Prigoschin und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin beigelegt. Der Wagner-Chef bewegte sich frei und drehte Videos über neue mutmaßliche Einsätze seiner Truppe, auch in Afrika.
Ende Juni führte Prigoschin eine bewaffnete Meuterei gegen Russlands militärische Führung an. Er besetzte ohne Widerstand die Kommandozentrale in Rostow-am-Don, marschierte mit einem Teil seiner Privatarmee nach Moskau und ließ ein Flugzeug und Hubschrauber abschießen, die ihn zu stoppen versucht hatten. Putin nannte ihn Verräter. Zu einem Showdown kam es nicht, es gab einen Deal: Prigoschin wurde Straffreiheit in Austausch für Exil in Belarus versprochen, er kehrte um.
Der Vorfall schreckte Russland auf. Mitten im Angriffskrieg gegen die Ukraine forderte Prigoschin den Kremlchef wie kein anderer - militärisch - heraus. Wladimir Putin sah damals stundenlang schwach und machtlos aus. Schon zuvor hatte sich Prigoschin monatelang öffentlich mit dem Verteidigungsminister und engen Putin-Vertrauten Sergej Schoigu und mit Generalstabschef Walerij Gerassimow angelegt. Er warf beiden Unfähigkeit bei der Kriegsführung vor. Prigoschin griff auch Putin indirekt an, in dem er öffentlich an seinen Kriegsgründen zweifelte.
Kaum Konsequenzen für Ukrainekrieg
Das war früher anders. Prigoschin galt als loyal, seine Söldner halfen der russischen Armee, Gebiete in der Ukraine zu erobern, zuletzt Ende Mai in der Stadt Bachmut. Putin und Prigoschin kennen sich seit den 1990er Jahren. Prigoschin durfte als erster eine private Truppe für schwierige und schmutzige Einsätze im Auftrag Moskaus aufstellen - in der Ukraine, im Nahen Osten und in Afrika.
Prigoschins Anhänger dürften jetzt frustriert sein, eine zweite Meuterei habe Präsident Putin wohl nicht zu befürchten, so die Expertin Marina Miron vom University College London (UCL) gegenüber der DW. Der Kremlchef habe offenbar eine Lösung gefunden, "die Gruppe zu kontrollieren".
Auch für den Krieg in der Ukraine sehen Experten kaum Konsequenzen. Prigoschins Wagner-Gruppe wurde schon bei den schweren Kämpfen im Frühling stark geschwächt, nun ist sie auch führungslos. Seit rund drei Monaten kämpft die russische Armee ohne Hilfe der Wagner-Truppe und steht damit in Putins Augen besser da als zuvor.
Hält Putin weiter an Schoigu fest?
"Die Frage ist, was mit den Missionen von Wagner in Afrika passiert, denn dort hat die Gruppe viel Schmutzarbeit für die russische Regierung erledigt und den Einfluss Russlands in afrikanischen Staaten deutlich gestärkt", sagt Gerhard Mangott. Das bleibe abzuwarten.
Unklar bleibe auch, für wie lange Präsident Putin die Stärkung seiner Macht gelungen sei. Das werde vom weiteren Verlauf des Krieges in der Ukraine abhängen. Abzuwarten bleibt schließlich, ob der Kremlchef weiter zu seinem Verteidigungsminister Schoigu hält. Dessen Ablösung wurde nicht nur von Prigoschin, sondern auch von verschiedenen radikalen Nationalisten und manchen so genannten Kriegsbloggern gefordert. Ihre Unterstützung des Krieges ist für Putin wichtig, weshalb er sich mit einigen von ihnen früher sogar persönlich getroffen hatte.