56 Nein-Stimmen bei CDU/CSU
18. August 2015Darf man einem hochverschuldeten Land immer weiter Kredite geben? Die Parlamentarier des Deutschen Bundestages hatten es am Dienstagabend nicht leicht, als sie in ihren Fraktionen über die Abstimmung zum dritten Hilfspaket für Griechenland debattierten. An diesem Mittwoch wird im Plenum des Bundestages darüber abgestimmt, ob eine Mehrheit den von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgehandelten Kompromiss mitträgt. Der sieht vor, dass die Eurostaaten Griechenland einen neuen Kredit von 86 Milliarden Euro gewähren, verbunden mit straffen Reform- und Sparauflagen.
Zwar dürfte eine Mehrheit für das Hilfspaket wohl in keinem Fall gefährdet sein. Sowohl die mitregierenden Sozialdemokraten wie auch die oppositionellen Grünen haben bereits angekündigt, mehrheitlich dem Paket zuzustimmen. Allerdings gibt es eine große Unbekannte – und die liegt ausgerechnet im konservativen Lager von Kanzlerin Angela Merkel selbst.
Merkel bekommt Applaus – aber nicht volle Unterstützung
Mit Spannung wird erwartet, wie viele Abgeordnete von CDU und CSU der Kanzlerin die Gefolgschaft bei der Griechenland-Rettung verweigern. Als im Juli darüber abgestimmt wurde, ob überhaupt Verhandlungen für ein drittes Rettungspaket mit Griechenland eröffnet werden, scherten bereits 60 Abgeordnete aus und stimmten mit Nein. Würden es jetzt noch mehr Nein-Sager, dann könnte dies dem Ansehen der Kanzlerin nicht nur Schrammen, sondern echte Kratzer zufügen. Etwas, was die Kanzlerin wohl in jedem Fall vermeiden möchte.
Kanzleramtsminister Peter Altmaier verließ die circa einstündige Fraktionssitzung der Unionsparteien als einer der ersten. Er sprach von "ernster, aber wenig konfrontativer Debatte“. Viele Parlamentarier hätten anerkannt, dass die griechische Regierung unter Premierminister Alexis Tsipras zuletzt „kooperativ mitgewirkt“ habe, und dass Finanzminister Wolfgang Schäuble ein solides und tragfähiges Ergebnis ausgehandelt habe, sagte Altmaier der Deutschen Welle.
Die Mehrheit steht, triumphierte er - auch wenn bei der Probeabstimmung bereits 56 Nein-Stimmen gezählt wurden. "Es gibt eine Minderheit, die mit Nein stimmen wird, in etwa so viele wie beim letzten Mal." CDU-Fraktionsvorsitzender Volker Kauder, der im Vorfeld der Abstimmung Abweichlern in den eigenen Reihen mit Konsequenzen gedroht hatte, vermied es an diesem Abend, vor die Presse zu treten. Er hatte für seine indirekten Drohungen gegen die eigenen Abgeordneten viel Kritik einstecken müssen – ganz zu Schweigen von "Shitstorms" in den sozialen Medien. Am Ende der Sitzung der Unionsfraktion habe es für die Kanzlerin sowie für ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble sogar tosenden Applaus gegeben, berichtete Altmaier weiter und verschwand.
Ein Fass ohne Boden?
Kein Wort von dem, was kurz vor Beginn der abendlichen Beratungen für Wirbel im politischen Berlin gesorgt hatte. Wie die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen berichtete, würden inzwischen sogar die internationalen Geldgeber von einem höheren Finanzbedarf als 86 Milliarden Euro ausgehen. Rund 92 Milliarden würden gebraucht, um Griechenland jetzt zu stabilisieren, hieß es.
Das wurde vom Finanzministerium umgehend schriftlich dementiert: "Der Finanzbedarf bleibt unverändert bei 86 Milliarden Euro." Die Erklärung des Ministeriums sprach weiter davon, dass in dem Regierungsantrag zusätzlich genannte 6,2 Milliarden Euro als Summe einkalkuliert wurden, die der griechische Staat durch Privatisierungen selbst einnehmen müsse.
Hatte die Zeitung dies also verwechselt - oder hat sie lediglich eine neue Ungereimtheit im griechischen Rettungsdauerlauf aufgedeckt? Verwechselung oder nicht: Für Finanzminister Wolfgang Schäuble kamen die Gerüchte zur Unzeit. Schließlich hatte er noch am Vorabend im ZDF-Interview um die Stimmen all jener Parlamentarier geworben, die bereits beim letzten Mal mit Nein gestimmt hatten. Die Entscheidung, dem hochverschuldeten Land mit einem dritten Hilfspaket zur Seite zu stehen, sei „unter Abwägung aller Gesichtspunkte die richtige Entscheidung.“
Gysi: "Abhängigkeit von der Troika verschärft"
"Völlig falsch" nannte diese Entscheidung dagegen der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Gregor Gysi. Zwar seien einige Grausamkeiten für die griechische Bevölkerung aus den Sparauflagen herausgestrichen worden, so Gysi am Mittag vor der Presse. Das Programm insgesamt bleibe aber eine "Katastrophe", weil es die Abhängigkeit Griechenlands von der Troika weiter verschärfe. So könne Athen künftig keine Gesetze mehr erlassen, die nicht vorab von den internationalen Geldgebern abgesegnet worden seien, was einer "Abschaffung der Demokratie" gleichkomme. Gysi riet seiner Fraktion erneut, das Hilfspaket – welches keines sei – abzulehnen, was die Fraktion wohl auch mehrheitlich tun dürfte. Besonders harsch kritisierte er, dass Kanzlerin und Finanzminister einen echten Schuldenschnitt für Griechenland ablehnten.
Kein Schuldenschnitt, aber deutliche Schuldenerleichterungen: Diese Position war vor allem in der mitregierenden SPD-Fraktion am Abend häufig zu hören. Bereits am Mittag hatte sich SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann klar zu dem dritten Hilfspaket bekannt – im Namen seiner Fraktion: "Dies ist ein besseres Programm als die Vorgängerprogramme", lautete seine Begründung, warum er nur mit wenigen SPD-Abweichlern rechnet. Insbesondere bei der Schuldentragfähigkeit, also den Rückzahlungsmodalitäten für Griechenlands Schuldenberg, gebe es allerdings Gesprächsbedarf.
Griechenland-Skeptiker in der Rolle des Fürsprechers
Entgegen der sonst üblichen Gepflogenheiten wird am Mittwoch nicht die Bundeskanzlerin, sondern Finanzminister Wolfgang Schäuble die Aussprache mit einer 20-minütigen Regierungserklärung eröffnen. Weil Schäuble erst nach langem Zögern und nach teilweise harscher Kritik an der griechischen Regierung dem jetzigen Hilfspaket zustimmte, wird dies als Manöver der Kanzlerin gewertet. Wird Schäuble, der als harter Verfechter der Sparpolitik bekannt ist, Gegner der Rettungspolitik in letzter Minute auf seine Seite ziehen können?
Prognosen, mit wie vielen Nein-Stimmen die Kanzlerin im eigenen Lager rechnen muss, traut sich unterdessen kaum einer zu. Endgültig ausgezählt sein dürfte die namentliche Abstimmung in jedem Fall gegen 13 Uhr deutscher Zeit. Dann wird die deutsche Bundeskanzlerin bereits im Regierungs-Flieger sitzen. Ihr Ziel: Brasilia. Mit dem Ergebnis in Sachen Griechenland dürfte sie sich deshalb erst nach den deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen herumschlagen müssen.