Guatemala: "Staatsstreich in Zeitlupe"?
14. Oktober 2023In Guatemala blockieren Tausende von Demonstranten rund 125 Straßen im ganzen Land. Viele Geschäfte, Unternehmen und Märkte haben geschlossen. Gemüse und Kraftstoffe wie Benzin und Diesel sind bereits knapper geworden. Auch die Preise für Grundnahrungsmittel wie Tomaten, Bohnen, Zwiebeln und Kartoffeln haben sich verdoppelt oder verdreifacht. All das nehmen sie in Kauf, damit der Weg frei wird für den Präsidenten, den sie im August gewählt haben.
Die Proteste in Guatemala wurden am 2. Oktober von der indigenen Organisation "48 Cantones" ausgerufen und initiiert. Seitdem haben sich ihnen verschiedene Gruppen aus der Zivilgesellschaft angeschlossen, darunter Universitäten, Ärzte und Händler.
Was fordern die Demonstranten in Guatemala?
Die Proteste richten sich gegen die Justiz und die - noch - regierenden Eliten. Die Demonstranten fordern den Rücktritt der Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras Argueta, des Staatsanwalts Rafael Curruchiche und des Richters Fredy Orellana. Diese nämlich hatten wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei den Präsidentschaftswahlen im ersten und zweiten Wahlgang im vergangenen Juni und August eine Razzia bei der Obersten Wahlbehörde angeordnet.
Der Sozialdemokrat Bernardo Arévalo de León hatte die Stichwahl am 20. August überraschend mit deutlicher Mehrheit gewonnen. Seitdem ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen seine Mitte-Links-Partei Movimiento Semilla (Bewegung Saatkorn) und die Oberste Wahlbehörde. Nach Ansicht der Demonstranten ist dies ein Versuch der korrupten Eliten des Landes, den Einzug des Außenseiters Arévalo in das Präsidentenamt zu verhindern, der turnusgemäß am 14. Januar ansteht.
Wer ist Guatemalas gewählter Präsident und wie reagiert er?
Arévalo ist der Sohn des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Guatemalas, Juan José Arévalo (Amtszeit 1945 bis 1951). Dennoch war er kaum bekannt, bis er aus der ersten Runde der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen Ende Juni zur Überraschung der etablierten Kräfte als Spitzenreiter hervorging. Die Stichwahl im August gewann er gegen die frühere First Lady Sandra Torres.
Arévalo soll also Anfang 2024 Nachfolger des konservativen Präsidenten Alejandro Giammattei werden, der nach einer vierjährigen Amtszeit laut Gesetz nicht erneut antreten durfte.
Im Wahlkampf hat Arévalo der Korruption im Land den Kampf angesagt. Seine Partei Movimiento Semilla entstand aus einer Anti-Korruptionsbewegung im Jahr 2015. Bei einem Besuch in Washington Anfang Oktober bezeichnete Arévalo das Verhalten der Justizorgane seines Landes als "Staatsstreich in Zeitlupe". Der "Pakt der Korrupten", wie Arévalo konservative Kräfte bezeichnet, versuchten ihm den Weg zur Präsidentschaft zu versperren.
In einem Interview mit dem lokalen Radiosender Emisoras Unidas schloss Arévalo nicht aus, dass die Situation außer Kontrolle geraten könnte, sollte die Regierung den Ausnahmezustand verhängen. Der gewählte Präsident behauptete, die Staatsanwältin Porras und die Generalstaatsanwaltschaft handelten "mit klarem Machtmissbrauch unter Verletzung der verfassungsmäßigen Ordnung und mit der eindeutigen Absicht, den Wahlprozess und die Demokratie zu beschädigen".
Wie sagen die regierenden Kräfte zu den Vorwürfen?
Noch-Präsident Giammattei sagt, ein "Staatsstreich" könne nicht gegen jemanden verübt werden, der nicht die Präsidentschaft übernommen hat, und bezeichnete die Blockaden der Demonstranten als "illegal".
Die Staatsanwältin Consuelo Porras hat wiederholt einen Rücktritt ausgeschlossen und die Sicherheitskräfte aufgefordert, die Straßenblockaden zu aufzulösen.
Wie reagiert die internationale Gemeinschaft auf die Lage in Guatemala?
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) erklärte, dass die Berichte über angebliche Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen in Guatemala unbegründet seien. Zu diesem Schluss sei eine OAS-Mission gekommen, die zwischen dem 27. und 29. September die Wahlergebnisse vor Ort analysiert habe, auf denen die Behauptungen über angebliche Unregelmäßigkeiten im ersten und zweiten Wahlgang beruhten, erklärte OAS-Generalsekretär Luis Almagro.
Die US-Regierung, die EU und die Vereinten Nationen verurteilten das Vorgehen der Staatsanwaltschaft - ähnlich wie Arévalo - als Versuch, die Demokratie in Guatemala zu untergraben.
Guatemala gehört nach Angaben der Organisation Transparency International zu den korruptesten Ländern der Welt. Außerdem leidet das Land unter Armut und Gewalt. Tausende Menschen verlassen jeden Monat das mit 17 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land Mittelamerikas und versuchen, in die USA auszuwandern.