Polnische Landwirte legen Warschau lahm
27. Februar 2024Etwa zehntausend Landwirte marschierten am Dienstag (27.02.2024) durch Warschau, um gegen die EU-Agrarpolitik und die Einfuhr günstiger Agrarprodukte aus der Ukraine zu protestieren. Der Sternmarsch in der polnischen Hauptstadt bildete den Höhepunkt wochenlanger Proteste, die landesweit zu Straßenblockaden geführt und die polnisch-ukrainischen Grenzübergänge lahmgelegt hatten. Auch die Autobahn nach Deutschland bei Frankfurt (Oder) und die Grenze zur Slowakei waren im Rahmen der Proteste zeitweise blockiert worden.
Green Deal - ein "linkes Hirngespinst"?
"Wir haben drei Forderungen: Der Green Deal muss weg, die Grenze muss für Getreide aus der Ukraine dicht gemacht werden, und niemand soll sich in unsere Tierhaltung einmischen", formulierte Szczepan Wojcik, einer der Organisatoren des Protestes, zu Beginn der Demonstration die Hauptziele der Landwirte.
Der sogenannte Green Deal ist ein Reformpaket der Europäischen Union, das dafür sorgen soll, dass die EU bis 2050 treibhausgasneutral wird. Für die Landwirtschaft bedeutet das eine Umstellung auf umwelt- und klimaschonendere Praktiken - so werden etwa bestimmte Dünger und Pflanzenschutzmittel verboten. Organisator Wojcik nannte die von der EU eingeführten Reformen ein "linkes Hirngespinst".
Der Protest in Warschau war von einem breiten Spektrum von Verbänden und Gewerkschaften organisiert worden. Angeschlossen hatten sich auch Jäger und Bergarbeiter. Die Demonstranten zogen vom Kulturpalast zum Parlament und anschließend zum Sitz der Regierung in der Stadtmitte. Im Zentrum Warschaus wurde der öffentliche Verkehr für mehrere Stunden unterbrochen - obwohl die meisten Landwirte sogar nur mit Bussen statt Traktoren in die Hauptstadt gereist waren.
Tusks Regierung nimmt den Protest ernst
Wut und Angst haben viele der Demonstranten auf die Straße getrieben. "Ohne uns Landwirte werdet ihr hungrig, nackt und nüchtern sein", stand auf einem der Spruchbänder bei dem Protest. Gegenüber den lokalen Medien beschrieben einige Teilnehmer, wie sehr sie sich um die Zukunft ihrer Höfe sorgten.
Die polnische Regierung nimmt den Protest der Landwirte sehr ernst. Dabei kam er zeitmäßig alles andere als günstig: Die Mitte-Links-Koalition von Donald Tusk, die erst seit zwei Monaten regiert, braucht eigentlich Ruhe, um den Prozess der Machtübernahme von der nationalkonservativen Vorgängerregierung zu Ende zu führen - vor allem die Justiz war durch die PiS umgebaut worden.
Eine Delegation der Protestierenden wurde vom Parlamentsvorsitzenden Szymon Holownia sowie von Jan Grabiec, dem Chef der Kanzlei des Regierungschefs, empfangen. Premier Tusk stellte sich in Prag, wo er gerade beim Gipfeltreffen der Visegrad Staaten weilt, verbal hinter die Landwirte.
"Wir können die Landwirte nicht im Stich lassen", sagte Tusk. Er verwies darauf, dass fast gleichzeitig der Green Deal und die zollfreie Einfuhr des ukrainischen Getreides eingeführt worden seien. "Einige Bestimmungen der EU-Agrarpolitik sind schwer zu erfüllen, vor allem für kleine und mittelgroße Betriebe", betonte der Premier. Polnische Landwirte hätten keine Chance gegen billigere Getreide-Importe aus der Ukraine. "Wir müssen den polnischen, aber auch den europäischen Markt schützen", sagte Tusk.
Soll die EU ihren Getreide-Überschuss verkaufen?
Der polnische Landwirtschaftsminister Czeslaw Siekierski sagte im polnischen Rundfunk, dass in Polen von der vergangenen Ernte noch neun Millionen Tonnen überschüssiges Getreide lagern. In der EU seien es insgesamt 28 Millionen Tonnen. Sein Vorschlag: Brüssel solle dieses Getreide kaufen und im Rahmen der humanitären Hilfe nach Afrika und Asien exportieren.
Die Europäische Union hatte nach dem russischen Angriff auf die Ukraine die Zölle auf ukrainische Lebensmittel aufgehoben, um dem Land nach der Blockade der Häfen am Schwarzen Meer beim Export zu helfen. Die polnischen Landwirte behaupten, dass beim Transit ein Großteil des für Länder in Asien und Afrika bestimmten ukrainischen Getreides im Nachbarland Polen geblieben sei, was die Preise gedrückt habe.
Ist Russland schuld?
Fest steht: Der Preis für Weizen ist an der Weltbörse stark gesunken. Die Landwirtschaftsexpertin Krystyna Naszkowska schrieb in der Tageszeitung Gazeta Wyborcza, der Preis für Weizen sei auf den Weltbörsen von etwa 350 Euro pro Tonne zu Beginn der Vollinvasion vor zwei Jahren auf nunmehr 200 Euro gefallen. In Polen ist der Preis noch niedriger - etwa 160 Euro pro Tonne.
Experten sehen die Hauptquelle des Übels jedoch nicht in der Ukraine. Russland ist der größte Weizen-Produzent der Welt und hat nach zwei guten Ernten die Weltmärkte mit billigem Korn überschwemmt. Darüber hinaus hat Moskau ukrainisches Getreide aus besetzten Gebieten gestohlen und weiterverkauft. Auch wenn die Grenze mit der Ukraine ganz dicht gemacht würde, werde der Preis von Getreide in Polen nicht wieder das Vor-Kriegs-Niveau erreichen, betonte die Journalistin Naszkowska.
Die polnische Landwirtschaft hat ihrer Meinung nach jedoch in der Zukunft keine Chance gegen die ukrainische Agrarproduktion. Ein durchschnittlicher Bauernhof ist in Polen elf Hektar groß, in Deutschland 60 Hektar - und in der Ukraine 1000 Hektar.
"Wir haben nichts Konkretes bekommen. Nichts ist geklärt", sagte Szczepan Wojcik, Sprecher der Demonstranten, nach dem Verlassen des Regierungsgebäudes. "Wir stehen mit dem Rücken an der Wand. Wir werden die Barrikaden nicht verlassen", versicherte er. Die polnische Regierung hat versprochen, bis zum 7. März einen Lösungsvorschlag vorzulegen. Doch solange wollen die Landwirte nicht warten. "Bereits am 6. März kommen wir wieder nach Warschau", kündigte Wojcik an.