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Politik

Präsident der Herzen beim Kirchentag

25. Mai 2017

Ein Höhepunkt des Kirchentages: Der frühere US-Präsident Barack Obama spricht mit Kanzlerin Angela Merkel über Glauben ebenso wie kritische politische Fragen. Das Publikum ist begeistert. Aus Berlin Christoph Strack.

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Deutschland 36. Evangelischer Kirchentag in Berlin - Barack Obama und Angela Merkel
Bild: Reuters/A. Schmidt

Merkel und Obama begeistern Berlin

Um exakt 11:02 Uhr gibt es kein Halten mehr. Da betreten Barack Obama und Angela Merkel die Bühne vor dem Brandenburger Tor - und zigtausende Besucher jubeln. Die Kanzlerin im hellgrünen Blazer, der frühere US-Präsident im dunklen Anzug. Als die Präsidentin des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentags, Christina Aus der Au, den Gast aus Übersee erstmals namentlich nennt, brandet gleich wieder Jubel auf. Es ist der Auftakt eines knapp 90-minütigen Gesprächs, das in der Geschichte der Kirchentage ohne Beispiel ist.

Eine Viertelstunde vorher war Obama in einem Konvoi von 25 Fahrzeugen vom Kanzleramt durch weithin leere Straßen zum Pariser Platz auf der östlichen Seite des Brandenburger Tores gerollt. Den Vorabend hatte er beim Springer-Verlag verbracht. Dort speiste der Ex-Präsident mit einigen wenigen deutschen Wirtschaftsführern, wie die "Bild"-Zeitung berichtete.

Jetzt aber ist er hier bei den geschätzt 70.000 Begeisterten. "Herr Präsident", sagt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, und erläutert, dass US-Präsidenten auch nach ihrer Amtszeit so angeredet werden. "First of all: Guten Tag”, sagt der Gast. "Good to see all of you!" Es sei gut, wieder in Berlin zu sein. Erneuter Jubel. Im weiteren Zuhören dann wird die aufmerksame Menge ruhig.

Deutschland 36. Evangelischer Kirchentag in Berlin
Obama und Merkel haben rund 70.000 Menschen vors Brandenburger Tor gelocktBild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Merkels Abschiebungen

Da sitzen Merkel und Obama auf der Bühne, nun doch ohne schützendes Panzerglas. Er sagt "Angela", sie "Barack Obama". Es wird ein nachdenkliches, persönliches, politisches, auch selbstkritisches Gespräch. Der US-Amerikaner hat eine Kernbotschaft: Die Jugend soll sich einbringen, sich einmischen, und sie hat alle Unterstützung verdient. Die Deutsche wirbt um Verständnis für ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik und bei der Abschiebepraxis. Und beide äußern sich dem Anlass gemäß offen über die Bedeutung der Religion, auch für sich persönlich. Merkel, die in knapp vier Monaten erneut Kanzlerin werden will, bekommt außerdem dickes Lob mit auf den Weg. Sie sei "eine meiner liebsten Partnerinnen während meiner gesamten Präsidentschaft" gewesen, sagt Obama. Sie habe "hervorragende Arbeit geleistet, nicht nur hier in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt".

Beide werden im Verlauf des Gesprächs mit kritischen Fragen konfrontiert. Bei Merkel geht es um die Abschiebung von Flüchtlingen. Sie lobt Mitgefühl und Solidarität der Deutschen für die Hilfesuchenden seit 2015, kommt mit kurzem Zittern in der Stimme auf den deutschen Mauerbau 1961. Und schwenkt schließlich zum "sehr schwierigen Thema" Abschiebungen. Ja, man müsse Menschen sagen: "Ihr müsst zurück", wenn man jenen helfen wolle, die tatsächlich "unsere Hilfe brauchen. Ich weiß, dass ich mich damit nicht beliebt mache."

Obamas Drohnenkrieg

Und Obama, der Friedensnobelpreisträger von 2009, muss die US-amerikanischen Drohnenkriege verteidigen. Ein junger Student aus dem Publikum konfrontiert ihn mit der Zahl ziviler Opfer. Der 55-Jährige kontert mit den Zwängen seines politischen Handelns. "Die Schlacht gegen extremistische Ideologien ist kein Kampf gegen einen einzelnen Staat, sondern Kampf gegen Menschen, die sich im Schatten aufhalten." Ja, manchmal hätten seine Entscheidungen zum Tod von Zivilisten geführt. Und trotzdem gelte: Die Drohnen selbst seien nicht selbst das Problem, "das Problem ist der Krieg, der immer eine Tragödie darstellt". Er wolle jene, so Obama, die das kritisch sehen, daran erinnern, dass es um Leute gehe, die "hier, auch hier bei dieser Veranstaltung, eine Bombe zünden wollen". Die Welt befinde sich "am Scheideweg".

Deutschland 36. Evangelischer Kirchentag in Berlin - Barack Obama und Christina Aus
Entspannt und gut gelaunt: Obama mit Kirchentagspräsidentin Christina Aus der AuBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Da pfeift keiner aus Protest. Denn da ist es, das beim Kirchentag so präsente Thema der Sicherheitsmaßnahmen, der Angst vor einem Anschlag. Links und rechts des Brandenburger Tores sieht man Scharfschützen, immer mal wieder ziehen Polizisten zu dritt oder viert durch die Menge. Und wie bei hochrangigen Staatsbesuchen sind die Gullydeckel eigens verschweißt. Das Gespräch auf der Bühne hat keine fünf Minuten gedauert, als Obama erstmals auf den Terror von Manchester kommt.

Trumps Mauer

Und das Ex-Staatsoberhaupt gibt so nebenbei seinem Nachfolger den einen oder anderen Schlag mit. Etwa, als er seine Gesundheitsreform lobt ("Wir haben einen neuen Standard gesetzt") und die Frage der Abschottung anspricht: "Wir können uns nicht hinter einer Wand verstecken." Auch, wenn Obama keine Namen nennt - die meisten denken wohl an die von Donald Trump geplante Mauer zu Mexiko.

Es ist Kirchentag und Reformationsjubiläum. Merkel spricht von der "Demut, an die Dinge heranzugehen", die ihr der christliche Glaube gebe. Obama erzählt, sein eigenes öffentliches Engagement habe "in der Arbeit mit Kirchen in Chicago begonnen. Wir müssen daran glauben, dass wir Dinge verbessern können, dass wir Menschen mit Güte und Toleranz begegnen können, dass wir unter einem gütigen Gott leben."

Deutschland 36. Evangelischer Kirchentag in Berlin
Präsident der Herzen: Kirchentagsbesucher bejubeln Ex-US-Präsident Barack ObamaBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Das begeistert die Menge. Einige recken Schilder in die Luft: "Obama, we miss you!" Oder "Dump Trump!" Andere zeigen drei Herzen mit dem Namen Merkel. Obama sagt, "als Präsident im Ruhestand" appelliere er an die Jugend: "Sie können die Welt nicht über Nacht verändern. Aber jeder Schritt, den Sie unternehmen, jedes Mal, wenn sie gegen Intoleranz aufstehen, verbessern Sie die Welt." Er redet knapp vier Minuten und erntet erneut begeisterten Applaus. Dann ist Schluss. Obama und Merkel winken der Menge, lachen. Um exakt 12:30 Uhr, Punktlandung, verschwinden sie von der Bühne.

Gelöste Stimmung

Auf dem Platz ertönt Musik. "Ich fand es interessant, Barack Obama überhaupt mal zu erleben", sagt Erika Lux aus Friedberg in Hessen. "Und es war gut, dass er betont hat, dass jeder in seinem Handeln die Welt ein bisschen besser machen kann." Und Christian Bald aus Holzwickede nennt die Nähe "zwischen der großen Politik und der Bevölkerung sehr gut". Das sei beim Kirchentag "einfach klasse".

Noch immer stehen zehntausende Menschen vor dem Brandenburger Tor. Da rauscht schon die Wagenkolonne mit den vielen blauen Lichtern Richtung Flughafen Tegel. Obama zieht es nach Baden-Baden zu einer Preisverleihung. Merkel muss zügig nach Brüssel zum NATO-Gipfel. Da begegnet sie wieder dem Präsidenten. Diesmal Donald Trump.