Putin will Waffenstillstand in ganz Syrien
16. Dezember 2016Russlands Präsident Wladimir Putin hat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vereinbart, Friedensgespräche zu Syrien in der kasachischen Hauptstadt Astana abzuhalten. Dies sagte Putin während eines Staatsbesuchs in Japan. Der nächste Schritt für Syrien sei ein landesweiter Waffenstillstand. Die Gespräche in Astana seien eine Ergänzung der Genfer Friedensgespräche unter Leitung der UN, so Putin weiter.
In der nordsyrischen Stadt Aleppo kommt die Evakuierung nach Angaben von Aktivisten unterdessen nur langsam voran. Augenzeugen berichteten, Tausende warteten bei Wintertemperaturen auf Busse, die sie aus der Stadt bringen sollen. "Das Problem ist, dass nicht viele Busse kommen", sagte Ibrahim al-Hadsch von der Rettungsorganisation Weißhelme. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte laufen die Vorbereitungen für den nächsten Konvoi.
Das Rote Kreuz hatte zuvor erklärt, die Evakuierung werde mehrere Tage dauern. Rund 3000 Zivilisten und einige Verletzte seien bis Donnerstagabend aus den von den Rebellen aufgegebenen Stadtteilen Aleppos gebracht worden, erklärte die Leiterin der Mission des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Marianne Gasser. Trotz Dunkelheit sei die Mission am Donnerstagabend zunächst weitergelaufen, die Busse seien erneut in die Rebellengebiete aufgebrochen. Dem russischen Verteidigungsministerium zufolge verließen mehr als 6000 Menschen Ost-Aleppo. Darunter seien auch 3000 Aufständische, berichtet die Agentur RIA. Der Abzug der Rebellen halte an.
Die syrische Armee rückte in einige frühere Rebellengebiete in Ost-Aleppo ein und hisste ihre Fahnen auf den Gebäuden. Syriens Präsident Baschar al-Assad hatte Aleppo zuvor für "befreit" erklärt. Der Bürgermeister des umkämpften Ostteils der Stadt warnte die Staats- und Regierungschefs der EU bei deren Gipfel in Brüssel vor den Folgen unterlassener Hilfe für die eingeschlossenen Menschen, die kurz davor seien, "massakriert zu werden".
Mit der Lage will sich der UN-Sicherheitsrat heute in einer Dringlichkeitssitzung befassen. Die Sitzung wurde von Frankreich beantragt, das auf die Entsendung internationaler Beobachter dringt. Sie sollen den Abtransport von Zivilisten und humanitäre Hilfslieferungen überwachen. Über die Initiative hatte sich Frankreich nach Angaben seines UN-Botschafters François Delattre eng mit Deutschland abstimmt, das dem Sicherheitsrat nicht angehört. Das mächtigste UN-Gremium hat sich im Syrien-Konflikt allerdings wiederholt als nicht handlungsfähig erwiesen. Russland, das die Truppen des syrischen Machthabers Assad massiv bei der Rückeroberung Aleppos unterstützt, hat im Sicherheitsrat ein Vetorecht.
Hilfsorganisationen beschuldigten Russland der Kriegsverbrechen in Aleppo. Durch Luftangriffe russischer Kampfflugzeuge seien 1207 Zivilisten, darunter 380 Kinder ums Leben gekommen, hieß es in einem Brief der Weißhelme und anderer Bürgerrechtsgruppierungen an einen Untersuchungsausschuss der Vereinten Nationen, den die Nachrichtenagentur Reuters einsehen konnte. Demzufolge gab es zwischen Juli und Dezember in der Region Aleppo etwa 304 Angriffe, für die mit großer Wahrscheinlichkeit Russland verantwortlich ist. "Die Beweise deuten klar darauf hin, dass Russland Kriegsverbrechen in Syrien begangen hat oder daran beteiligt war", hieß es in dem 39-seitigen Schreiben.
Merkel geißelt Iran und Russland
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel warf Russland und dem Iran vor, für Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung verantwortlich zu sein. Sie spprach in Brüssel von "gezielten Angriffen auf Zivilpersonen (...), auf Krankenhäuser" und nahm auch das Assad-Regime in die Pflicht, dessen "Verstöße gegen das Völkerrecht" geahndet werden müssten. Sie warf dem UN-Sicherheitsrat Versagen vor, während Frankreichs Präsident François Hollande deutlich machte, dass für ihn auch Sanktionen gegen Russland wegen seiner Rolle im Syrien-Konflikt denkbar sind.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zeigte sich erleichtert, dass der Abzug trotz anfänglicher Probleme begonnen hat. "Wir sind froh um jedes Menschenleben, das gerettet wird und nicht in der zerbombten, verwüsteten Stadt vergeht", teilte Steinmeier mit. Es sei jetzt die Verantwortung des Assad-Regimes und seiner russischen und iranischen Verbündeten, die Versorgung der Menschen sicherzustellen und für ihre Sicherheit zu sorgen.
US-Außenminister John Kerry forderte eine dauerhafte Waffenruhe im syrischen Aleppo und sofortigen Zugang für Hilfskräfte. Er teile den Ärger, den die meisten Menschen angesichts der Attacken auf Frauen, Kinder und Hilfskräfte empfänden, sagte Kerry am Donnerstag in Washington. Es gebe keinerlei Rechtfertigung für die Brutalität, die das syrische Regime, die Russen und die Iraner über die vergangenen fünf Jahre an den Tag gelegt hätten, sagte Kerry. Die fliehenden Menschen dürften keinesfalls attackiert werden, sagte der US-Außenminister. Ein zweites Srebrenica - die Tötung einer großen Zahl von Zivilisten in einem kleinen Gebiet im Konflikt Ex-Jugoslawiens - müsse unter allen Umständen vermieden werden.
Frankreich warb für die Entsendung von UN-Beobachtern nach Aleppo. Die Vereinten Nationen hatten pro-syrischen Truppen vor einigen Tagen vorgeworfen, bei der Offensive auf die Rebellengebiete Häuser gestürmt und zahlreiche Zivilisten getötet zu haben. Das russische Verteidigungsministerium warf den Rebellen im Gegenzug vor, in den Gefängnissen seien Zivilisten gefoltert worden. Mit dem Abzug der Rebellen aus Ost-Aleppo kontrolliert die syrische Armee wieder alle großen Städte im Land.
Aleppo gehörte zu den am schwersten umkämpften Orten im syrischen Bürgerkrieg. Fast seit Beginn der Kämpfe vor mehr als vier Jahren war die Stadt zwischen der syrischen Armee und bewaffneten Aufständischen geteilt. Vor einem Monat hatte die Armee zusammen mit Verbündeten eine Großoffensive auf die Rebellengebiete gestartet und fast alle Viertel im Osten Aleppos zurückerobert. Die Rebellen einigten sich mit der Führung in Damaskus auf einen Abzug.
stu/SC (afp, dpa, rtr)