die zersplitterte Jugendkultur
3. Mai 2011Früher, in den "wilden" 60ern, galt es sich zu entscheiden zwischen den braven Beatles oder den rebellischen Rolling Stones. Pop war beides, und die Fans konnten sicher sein, dass ihre Eltern sich bei dieser Musik so oder so die Haare raufen würden.
Später, so gegen Ende der 1970er, wurde das Ganze schon komplizierter: Punk, Postpunk, New Wave, Disco, HipHop, die Sache wurde allmählich unübersichtlich. Anfang der 90er kam dann mit Techno, House und unzähligen Genres elektronischer Tanzmusik die Clubkultur so richtig in Schwung. Doch in welcher musikalischen Phase befinden wir uns heute, wo ist der alle vereinende Mainstream?
Die Qual der Wahl
Soviel vorweg: Den Mainstream gibt es nicht mehr. Die Musikszene hat sich in unzählige kleine Subgenres zersplittert. Das diagnostiziert auch Klaus Walter. Er ist Moderator beim Hamburger Musiksender "ByteFm" und beschäftigt sich seit langem mit dem Phänomen Popkultur. "Man kann heute im Grunde sein ganzes musikalisches Dasein fristen, indem man sich auf einen ganz speziellen Zweig der Dubstep- oder der Neofolk-Spezialität kapriziert", sagt er.
Doch wo spielt sich Popkultur als Massenphänomen heute noch ab? Es gibt einige bedeutende Musikmessen und Festivals in Deutschland: Die Popkomm in Berlin stellt zum Beispiel jedes Jahr die Neuheiten in der Branche vor und reflektiert den Musikmarkt, und Festivals wie Rock am Ring ziehen Hunderttausende ins Freie, um eine Art Woodstock-Feeling aufkommen zu lassen.
Kein Soundtrack für die "Wutbürger"
Dabei hat dieses Feeling nur noch wenig mit Hippietum oder politischem Protest zu tun – im Gegensatz zu früher. "Ich habe neulich gelesen: Bestimmte Gesten sind so mutig wie eine zerrissene Jeans", so Klaus Walter. Und als politische Statements würden schon Überlegung wie: "Was gebe ich meinen Fans kostenlos, und wie verbreite ich meine Musik?" bewertet. Vor diesem Hintergrund sei es definitiv schwieriger als in den 70er Jahren, politische Musik zu machen.
Der Protestsong hat also ausgedient. Der Vietnamkrieg beispielsweise hatte noch seinen eigenen Soundtrack, die derzeitige Anti-Atom-Bewegung oder die "Wutbürger" in Stuttgart haben ihn nicht mehr. Der erste deutsche Grand-Prix-Gewinn im Jahr 1982, zu Hochzeiten der Friedensbewegung, hatte immerhin noch ein wenig pazifistisches Flair: Nicole mit ihrem Siegertitel "Ein bisschen Frieden" ist allerdings nicht mehr zu vergleichen mit einer Lena Meyer-Landrut, die ganz unverdächtig über das Loveding singt. Das Private ist hier selbstverständlich nicht politisch, Pop wird zum reinen Marketing. "Der Erfolg von Lena Meyer-Landrut zeigt sehr signifikant, wie die bimedialen Mächte wirken und welche Macht ein Medienunternehmen wie das "Imperium Stefan Raab" besitzt, das ein Produkt wie Lena am Markt lanciert", meint Walter.
Androgyne Jünglinge versus Deutsch-Teutonen
Andere deutsche Exportschlager heißen zum Beispiel Tokio Hotel; wenigstens kann man in ihrem Fall mal wieder von einer breiteren Jugendkultur sprechen: dem Emo. Emotional hardcore ist mit seiner Betonung von Gefühlen und seinem zur Schau gestellten Weltschmerz schon fast eine Massenkultur unter Jugendlichen geworden. Mit ihrem androgynen Auftreten transportieren Tokio Hotel immerhin eine progressive Strömung.
Ein deutsches Klischee hingegen bedient die Band Rammstein. So sieht das zumindest der Sänger der Band Slut, Christian Neuburger: "Die Amis wollen genau so was aufs Brot geschmiert bekommen", meint er. "Sie haben deutsch bestellt, sie kriegen deutsch."
Popkultur als Bildungsauftrag
Früher war das Radio Leitmedium für neue Trends und gute Musik. Im Zeitalter des Internets mit seinen rund um die Uhr verfügbaren Musikarchiven ist das kaum mehr vorstellbar. Per Knopfdruck kann man sich auf "youtube" alte Bob Dylan-Konzerte anschauen, dafür muss man nicht in den 1960ern gelebt haben.
Die Zeit der musikalischen Wellen und großen Lager ist vorbei. Die Menschen, die sich ernsthaft für Musik interessieren, nisten sich in ihren Nischen ein. Pluralität war schon immer etwas Positives, und die deutsche Medienlandschaft sollte dem gerecht werden, findet Klaus Walter: "Popkultur ist Massenkultur. Sie ist Kultur, mit der wir täglich umgehen, ob wir wollen oder nicht. Das muss analysiert und verstanden werden", sagt er und fordert vor allem von den öffentlichen-rechtlichen Medien mehr Einsatz für Popkultur jenseits des Mainstreams.
Autorin: Eva Gutensohn
Redakteur: Matthias Klaus