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PolitikEuropa

Boom bei der Rüstungsindustrie - doch Mangel an der Front

22. Februar 2024

Das Versprechen des Westens, der Ukraine schnell Munition zu liefern, kann nicht eingehalten werden. Doch es gibt Hoffnungsschimmer. Die Industrie orientiert sich neu und erhält Hilfe aus der Politik.

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Das Bild zeigt den Abschuss einer Artilleriegranate von einer in Deutschland gebauten Panzerhaubitze 2000 an der Front in der Ukraine
Panzerhaubitze 2000 aus deutscher Produktion an der Front in der UkraineBild: REUTERS

Das Ziel war ehrgeizig. Eine Million Artilleriegeschosse wollte Europa bis März an die Ukraine liefern. Die militärische Übermacht Russlands im Krieg gegen die Ukraine sollte so zurückgedrängt werden. Doch das Versprechen ist nicht einzuhalten, mussten auch die Experten auf der gerade zu Ende gegangenen Münchener Sicherheitskonferenz einräumen. Das liegt auch an der Struktur der Rüstungsindustrie. Doch es gibt Hoffnungsschimmer. Die Industrie steuert nach, erhöht ihre Kapazitäten. Auch neue Kooperationen könnten der Ukraine helfen. 

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz schaut sich eine Rüstungsfabrik an
Bundeskanzler Olaf Scholz beim Besuch des Unternehmens RheinmetallBild: Philipp Schulze/dpa/picture alliance

Der Vorstandsvorsitzende der deutschen Rüstungsfirma Rheinmetall, Armin Papperger, kam fünf Minuten zu spät zu einer der verschwiegeneren Gesprächsrunden bei der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar. "Europas Lücke in der Verteidigungsproduktion schließen" lautete der Titel der Veranstaltung.

Der Aktienkurs von Rheinmetall hat sich seit dem Beginn von Russlands Großinvasion gegen die Ukraine vervierfacht. Der Konzern produziert unter anderem Panzer für die deutsche Bundeswehr aber auch Munition für den Flugabwehrkanonenpanzer Gepard, der auch in der Ukraine zum Einsatz kommt.

Umstellung der Rüstungsindustrie dauert

Am 24. Februar jährt sich Putins Angriff auf die Ukraine zum zweiten Mal. Rheinmetall arbeitet mittlerweile an einigen Standorten im Dreischichtbetrieb. Die Firma plant zudem neue Fabriken. Und die Politik in Deutschland, vorneweg Verteidigungsminister Boris Pistorius(SPD) fordert die Bundeswehr, das ganze Land auf, "kriegstüchtig" zu werden, um Russland vor einem möglichen Angriff gegen ein NATO-Land in Zukunft abschrecken zu können.

Doch das dauert viel länger als selbst Sicherheitsfachleute es für ein Land wie Deutschland erwartet hätten, das in den Jahresberichten des schwedischen Forschungsinstituts SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) immer unter den fünf größten Rüstungsexporteuren der Welt rangiert.

Mittelständler im Rüstungsbereich haben große Probleme

Während ein Großunternehmen wie Rheinmetall Investitionen relativ schnell aus Rücklagen finanzieren kann, sei die Ausgangslage bei vielen kleineren Firmen schwieriger, sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Hans Christoph Atzpodien, im DW-Gespräch.

Atzpodien spricht für 200 deutsche Unternehmen im Rüstungsbereich. Von denen hätten 80 Prozent nicht mehr als 300 Beschäftigte. "Darunter sind sehr viele sehr spezialisiert", so Atzpodien, bauen also Zulieferprodukte für andere. Klassischer deutscher Mittelstand.

Bundeskanzler Scholz: "Bedrohung durch Russland ist real"

Die deutsche Bundesregierung hat zuletzt angekündigt, in diesem Jahr erstmals das sogenannte Zwei-Prozent-Zielder NATO zu erreichen. Dabei haben sich die Mitgliedsländer verpflichtet, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Streitkräfte zu investieren.

Deutschland erreicht NATO-Rüstungsziel nur durch Sondervermögen

Deutschland erreicht das Ziel   aber nur, weil Geld aus dem 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögen eingerechnet wird, das Bundeskanzler Olaf Scholz nach Beginn von Putins Großinvasion in der Ukraine angekündigt hatte. Mit dem zusätzlichen Geld werden unter anderem amerikanische F-35-Kampfflugzeuge finanziert.

Der reguläre Etat für die deutsche Bundeswehr bleibt aber ungefähr gleich. Doch genau darauf würden die kleineren Rüstungsfirmen in Deutschland schauen, sagt der Militärexperte Jürgen Fischer zur DW. Fischer ist Chefredakteur der Branchenzeitschrift Europäische Sicherheit & Technik.

"Wir brauchen Aufträge", sagte ein Rüstungsvertreter bei einem Treffen am Rande der MSC über "Europas Lücke in der Verteidigungsproduktion".

Mehr Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie

Bei dem Treffen saß der der ukrainische Minister für strategische Industrien, Alexander Kamyshin, prominent in der Mitte."Es geht voran", sagte Kamyshin nach dem Treffen der DW. Zwei Jahre nach Beginn von Russlands Invasion traf sich Kamyshin, der für die Rüstungsproduktion in der Ukraine zuständig ist, bei der Sicherheitskonferenz mit deutschen Rüstungsmanagern, um über gemeinsame Joint Ventures zu sprechen. Im Januar hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj solche Projekte zwischen der Rüstungsindustrie in der Ukraine und EU-Firmen während einer Reise durch die drei baltischen Staaten und Polen angekündigt. Die Ukraine versucht, mehr Munition und Kriegsgerät im eigenen Land zu produzieren - künftig auch mit westlichem Know-how.

Deutschland | Münchener Sicherheitskonferenz | Robert Habeck, Nancy Pelosi, Antonio Tajani, Dmytro Kuleba und Mette Frederiksen
Gespräch bei der Sicherheitskonferenz: der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (links) und der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba (2. v. li.)Bild: Kuhlmann/MSC

Die Probleme der Waffenproduktion in den EU-Staaten vermischen sich mehr und mehr mit denen in der Ukraine. In München machte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba auf ein weiteres Problem aufmerksam. Europäische 155-Milimeter-Granaten der Unterstützernationen seien häufig nur für ganz bestimmte Artilleriesysteme verwendbar. "Vor Ort ist das ein riesiges Problem", so Kuleba. "Wir können die gleiche Munition nicht für anderes Gerät einsetzen." Die NATO hat das Problem erkannt. Die Geschosse haben zwar die gleiche Größe, doch die Leittechnik ist häufig unterschiedlich. Die Angleichung scheiterte in der Vergangenheit an der Militärbürokratie der europäischen Mitgliedsstaaten. 

Tschechische Munition für die Ukraine

Die EU konnte ihr Versprechen, die Ukraine besser und schneller mit Munition auszustatten, nicht einlösen. Doch es gibt einen  Hoffnungsschimmer. Der tschechische Präsident, Petr Pavel, sagte nun Abhilfe zu. Das Verteidigungsministerium und die Hersteller seines Landes hätten in Tschechien produzierte Granaten identifiziert, die zurückgekauft werden könnten, um sie in die Ukraine zu liefern. "Soweit ich weiß, haben unsere Unternehmen weltweit bis zu 500.000 Geschosse des NATO-Kalibers 155 Millimeter und bis zu 300.000 Geschosse des Kalibers 122 Millimeter identifiziert", so Pavel. Allerdings müsse dafür noch die Finanzierung gesichert werden.

Große Granaten auf Holzpaletten werden von Soldaten verladen
155-mm-Granaten aus US-Beständen werden an die Ukraine geliefertBild: Alex Brandon/dpa/AP/picture alliance

Auch Deutschland will nun schnell helfen. Damit auch kleinere Rüstungsbetriebe die Produktion hochfahren, soll es künftig mehr Abnahmegarantien der Regierung geben. Das kündigte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (B90/Grüne) an. Das könne der Bundeswehr helfen und auch der Ukraine, zeigte sich der Minister optimistisch.