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Randale lenkt ab von Wohnungsnot

Ben Knight
11. September 2020

Leipzig gilt als Hotspot der linksradikalen Szene. Die jüngsten Ausschreitungen verdecken die wirklichen Probleme der Stadt, sagen Anwohner.

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Deutschland Leipzig | Ausschreitungen | Hausbesetzung
Bild: DW/B. Knight

Auch Tage nach den Gewaltausbrüchen im Leipziger Stadtteil Connewitz liegt noch Spannung in der Luft. Journalisten, die sich dort unter den Überresten von Barrikaden aus Einkaufswagen und Matratzen umsehen, bekommen mitunter feindliche Bemerkungen von Anwohnern zu hören. "Das ist hier nicht erwünscht. Ich mach ja auch nicht Fotos von Ihrem Wohnhaus", sagt ein Mann.

Am vergangenen Wochenende hatten sich hier hässliche Szenen abgespielt. Connewitz gilt als linksalternative Hochburg. Es gab eine Nacht der Randale, als eine Demonstration gegen Gentrifizierung außer Kontrolle geriet, nachdem die Polizei ein besetztes Haus gewaltsam geräumt hatte. Bereits in der Woche davor hatte es auch in anderen Stadtteilen Proteste gegeben, die zunächst klein und friedlich waren, sich dann aber zu wütenden Veranstaltungen ausweiteten. Demonstranten bewarfen Polizisten mit Steinen, Feuerwerkskörper wurden auf Neubauten geworfen, Mülltonnen angezündet. Nach Polizeiangaben wurden bei den Zusammenstößen 20 Beamte verletzt.

Heikles Thema

Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Gewalt in ihrer Stadt ist manchen Leipzigern gar nicht recht. "Leider werden die Medien erst auf den Stadtteil aufmerksam, wenn ein paar Mülltonnen brennen und es Auseinandersetzungen mit der Polizei gibt", so ein Stadtrat von der Linkspartei, der nicht genannt werden will. "Das finde ich schade." Die Gewalt, findet er, werde von den Medien aufgebauscht.

Seine Parteifreundin Juliane Nagel zeigt sich verständnisvoller. Sie vertritt den Leipziger Süden, in dem Connewitz liegt, im sächsischen Landtag. Es ist der einzige Wahlkreis in Sachsen, in der die Linkspartei bei der jüngsten Landtagswahl eine Mehrheit bekam. Sie findet es "nicht hilfreich", dass sich die Medien so auf die Gewalt konzentrierten. In anderen Leipziger Stadtteilen habe es die ganze Woche friedliche Anti-Gentrifizierungs-Demos gegeben, und die Polizei habe andere besetzte Gebäude ohne gewaltsame Proteste der Gegner geräumt.

Deutschland Demonstration nach Räumung von besetztem Haus in Leipzig
Mehrere Polizisten sollen verletzt worden sein bei den Ausschreitungen in Lepzig-ConnewitzBild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Nagel und andere Politiker und Aktivisten in der Stadt glauben, dass die Aufmerksamkeit für die Randale das eigentliche Problem verdecken: dass es immer weniger bezahlbaren Wohnraum in Leipzig gibt und ärmere Menschen verdrängt werden. "Viele Menschen, vor allem in den beiden sächsischen Großstädten, sind ganz konkret von den Problemen betroffen", sagt sie der Deutschen Welle. Ihre Mieten stiegen, aber nicht ihre Einkommen. Sie nennt es einen "Hohn", dass der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer bestritten hat, den Randalierern gehe es um bezahlbaren Wohnraum, als er die Gewalt verurteilte.

Während Nagel meint, die Gewalt werde übertrieben dargestellt, sind konservative Politiker in der Stadt überzeugt, dass linker Extremismus zu oft entschuldigt wird. Der CDU-Stadtrat Michael Weickert wirft SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung vor, sich der linksalternativen Szene anzubiedern, um im Amt zu bleiben – obwohl auch Jung die Gewalt wie jeder andere Politiker scharf verurteilt hat. "Insofern verhallen die Worte auch ein Stückweit", sagt Weickert über Jung. Der Bürgermeister gehe zu nachgiebig mit linken Aktivisten um. "Das sind Faktoren, die das Ganze erlaubbar machen."

Deutschland Leipzig | Ausschreitungen | Hausbesetzung
Die Folgen der Unruhen waren auch Tage später sichtbar Bild: DW/B. Knight

Weickerts Parteifreundin Sabine Heymann glaubt, linke Gewalt gehöre seit 30 Jahren zur Leipziger Politik: "Man pflegt auch dieses Milieu, um wieder einen Gegenpart zu haben gegen das Rechte – aus unsere Sicht nicht die richtige Antwort: nicht zwei Extreme aufeinander reagieren zu lassen, und der Durchschnitt wird schon die Mitte sein."

Die SoKo LinX

Die Universitätsstadt Leipzig mit ihren rund 600.000 Einwohnern ist politisch ziemlich einzigartig. Auch andere deutsche Städte, vor allem Hamburg und Berlin, haben eine linksextreme Szene, aber im Gegensatz zu ihnen ist Leipzig kein Stadtstaat. Das bedeutet, der Leipziger Oberbürgermeister Jung hat nicht die polizeilichen Gestaltungsmöglichkeiten, die seine Kollegen und SPD-Parteifreunde in Hamburg und Berlin haben.

Das Land Sachsen ist im Gegensatz zu den beiden Stadtstaaten ein insgesamt konservatives Bundesland mit einer Regierung, die härter als andere gegen den Linksradikalismus vorgeht. Leipzig ist die einzige Stadt in Deutschland, in der die Polizei eine Sonderkommission Linksextremismus, die "SoKo LinX", eingerichtet hat. In einer Stellungnahme der sächsischen Polizei heißt es dazu: "Leipzig ist in Sachsen seit Jahren am stärksten mit politisch links motivierten Straftaten belastet. Dort werden regelmäßig und mit deutlichem Abstand die meisten dieser Straf- und Gewalttaten verzeichnet." Die Sonderkommission ermittelt im Moment bei rund 230 Straftaten, hauptsächlich Brandstiftung, Beschädigung von Eigentum und Landfriedensbruch. Aber bekannt wurden auch Fälle von Körperverletzung. Im November vergangenen Jahres wurde die Mitarbeiterin einer Immobilienfirma von maskierten Männern in ihrer Wohnung zusammengeschlagen. Die Polizei behandelt den Fall als linksextreme Gewalt.

Viele Leipziger sehen steigende Mieten als Problem. In einigen Stadtteilen sind sie in zehn Jahren um 50 Prozent gestiegen, und Connewitz gehört zu den attraktiveren Vierteln. Laut dem Immobilienportal Immowelt sind die Preise hier seit 2010 um 44 Prozent gestiegen. Wie in anderen deutschen Städten auch haben Immobilienentwickler in Leipzig Altbauten luxusrenoviert und sie damit für die meisten Menschen unerschwinglich gemacht. Auch das durchschnittliche Haushaltseinkommen in Leipzig ist zwar gestiegen, um  34 Prozent. Das gilt aber nicht für viele junge Leute, für Alte und für Migranten, so Roman Grabolle von der Wohnungsinitiative "Leipzig für alle".

Die "Distillery" muss umziehen

Deutschland Leipzig | Club Distillery | Steffen Kache
Steffen Kache findet die Ausschreitungen kontraproduktiv Bild: DW/B. Knight

Steffen Kache beobachtet die Entwicklung in Connewitz seit 25 Jahren aus nächster Nähe. Kache führt den Leipziger Techno-Club "Distillery" seit Mitte der 90er Jahre. Jetzt droht ihm das, was er von anderen nur zu gut kennt. Sein geliebter Club, der vom Bürgermeister unterstützt wird und ein Highlight der Leipziger Kulturszene, muss umziehen, weil die Eigentümer das Gebäude in Luxuswohnungen verwandeln wollen.

Die Distillery fing an in einem besetzten Gebäude, einer früheren Brauerei, wo sich Kache und seine radikal linken Freunde in den wirtschaftlich schwierigen Jahren nach der Wiedervereinigung niederließen. Connewitz sei der einzige Stadtteil ohne Nazis gewesen, erinnert er sich, darum sei es ihnen gegangen. Auch damals habe es Ausschreitungen gegeben. "Wir kennen das alles. Meine Wahrnehmung war eher, dass sich das im letzten halben Jahr beruhigt hatte. Was ich nicht verstehe, ist, dass das jetzt so explodiert. Ich persönlich find's total traurig, dass durch diese Gewalt die ganzen legitimen Forderungen konterkariert werden."

Kache bezweifelt inzwischen, dass die Unruhestifter vom vergangenen Wochenende aus Leipzig kamen. "Ich hab sehr viele Freunde, die direkt in Connewitz wohnen, auch Alternative. Die haben darauf gar keine Lust. Das hat meiner Meinung nach nichts mit Links zu tun. Das ist einfach nur Gewalt. Das ist einfach nur blinde, dumme Gewalt. Das hat für mich sehr viel mit Intelligenz zu tun."