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Rassismus überschattet Libyens Revolution

8. September 2011

Während die Suche nach dem ehemaligen Diktator al-Gaddafi anhält, sucht Tripolis seinen Weg zurück zu Normalität. Doch Berichte über wahllose Gewalt gegen Schwarzafrikaner halten die Erinnerung an die Vergangenheit wach.

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Gestikulierende Schwarzafrikaner in Tripolis(Foto: DW)
Schwarzafrikaner stehen unter GeneralverdachtBild: DW

"Die haben gestern meine zwei Brüder aufgegriffen und ins Gefängnis geworfen. Wir sind schwarz - und das ist unser einziges Verbrechen", sagt Zeinad Muhamed, ein Bewohner von Tripolis. Schon auf den ersten Blick wird klar, dass sich die Atmosphäre in dem ehemaligen Segelclub der libyschen Hauptstadt dramatisch verändert hat. Früher gingen hier die Besitzer teurer Segelyachten ein und aus. Heute warten vor dem Yachtclub, der gegenüber vom Haupthafen der Stadt liegt, Angehörige auf Nachricht der Männer, die in dem ehemaligen Club gefangen gehalten werden. Angehörige und Gefangene leben in der Medina, der Altstadt Tripolis. Sie sind alle Schwarzafrikaner.

"Kein einziger von denen ist Libyer. Das sind alles Ausländer, die wir da drinnen festhalten. Gaddafi hat ihnen Geld gegeben, damit sie uns ermorden. Was sollen wir denn sonst mit denen machen? Das sind doch Söldner", erklärt Abduhllah Abdulhakim, der dem Übergangsrat der Rebellen angehört. Der Offizier steht vor der Hauptpforte des Clubs. Der unangekündigte Besuch der Journalisten aus dem Ausland macht ihn sichtlich nervös. "Wissen Sie nicht, dass Gaddafi Journalisten wie Ihnen nie erlaubt hätte, so zu arbeiten, wie sie es gerade tun? Das ist doch ein Beweis dafür, dass das neue Libyen eine echte Demokratie ist", sagt er.

Problem: Hautfarbe

Eine Menschenansammlung in Tripolis, zum Teil mit Waffen ausgerüstet (Foto: DW)
Gaddafi ließ viele Einwanderer nach LibyenBild: DW

Zeinab Muhamed widerspricht dem: "Die behaupten, dass wir keine echten Libyer sind. Das stimmt einfach nicht. Ich wurde im Tschad geboren, aber wir sind vor zwanzig Jahren nach Sebah gezogen." Sebah ist eine Stadt 900 Kilometer südlich von Tripolis. Seinen libyschen Pass habe er kurz nach dem Umzug erhalten.

Auch Salwa Eisa lebt in der Altstadt. Sie wartet vor dem Tor und hat eine Tüte Lebensmittel für ihren inhaftierten Mann dabei. "Wir sind vor zwei Jahren aus dem Tschad hierher gezogen. Mein Mann Abdullah hat verschiedene Arbeiten gemacht, aber er hat nie Geld von Gaddafi akzeptiert, um Menschen zu töten", sagt die 36-Jährige. Wie die anderen Angehörigen vor dem Yachtclub glaubt sie, dass das Hauptproblem ihre Hautfarbe ist.

Gaddafi hat während seiner 40-jährigen Herrschaft viele Einwanderer aus den Nachbarländern nach Libyen gelassen. Sie waren auf der Suche nach einem besseren Leben in dem riesigen Land mit seinen nur sechs Millionen Einwohnern und großen Ölreserven. Die Mehrheit arbeitet als billige Arbeitskräfte. Aber die angeblich so große Zahl von schwarzafrikanischen Ausländern, die Gaddafi rekrutiert haben soll, ist der Grund für das Misstrauen von vielen Libyern gegenüber den Einwanderern.

Menschenjagd in der Medina

In dem Behelfsgefängnis stampfen Wächter und Angehörige über einen Teppich mit dem Porträt Gaddafis, das auf dem Boden neben dem Eingang liegt. Ein paar Meter daneben sitzen Dutzende Männer in einem mickrigen Schattenstreifen. "Ich bin letztes Jahr aus Ghana hierher gekommen, weil mein Bruder mir erzählt hatte, dass es einfach ist, einen Job als Straßenfeger zu finden. Die sind wohl alle schwarz. Ich schwör's dir: Ich habe in diesem Land noch nie eine Waffe in der Hand gehalten", sagt einer der Gefangenen, Abiki Martens. Wenig später wird uns verboten, weiter mit ihm und anderen Inhaftierten zu sprechen.

"Die sind nicht inhaftiert worden. Wir behalten die Leute lediglich hier, bis wir unsere Untersuchungen beendet haben. Diejenigen, die nichts mit der Gewalt zu tun gehabt haben, werden wir sofort wieder auf freien Fuß setzen. Die Schuldigen werden in das Hauptgefängnis in Tripolis, das Jdeida-Gefängnis, verlegt", sagt Ali Mohamed. Der bewaffnete Mann gibt sich als "Hauptkommissar" des Nationalen Übergangsrates aus. Vertreter des Rates vor Ort erklären, dass sie genug Material hätten, um die Schuld der Gefangenen zu beweisen: Waffen etwa, die in den Häusern gefunden wurden, Schusswunden oder auch Handybilder, die die Gefangenen mit Waffen in der Hand zeigen, seien Beweis dafür. Und auch die Tatsache, dass viele bei Gaddafi-Anhängern untergebracht waren.

Immer wieder Festnahmen

Gefangene in Tripolis (Foto: DW)
Gefangene des neuen RegimesBild: DW

"In dieser Gegend kennt jeder jeden", erklärt einer der Gefängniswärter. Ein anderer fügt hinzu, dass Gefangene unter Gaddafi grausam gefoltert wurden, wohingegen jetzt die Gefangenen genug zu essen bekämen und die Wärter sie nicht einmal berühren würden.

Auf Anfrage erfahren wir, dass 50 Gefangene in dem Behelfsgefängnis gehalten werden. "Ich kann keine genaue Zahl der Leute, die wir in den letzten Tagen gefangenen genommen haben, nennen. Aber ich schätze, dass es etwa 5000 Menschen in der ganzen Stadt sind", sagte der Sprecher des Militärrates in Tripolis während einer Pressekonferenz vergangene Woche.

Viele internationale Journalisten in Tripolis sprechen mittlerweile von einer regelrechten "Menschenjagd" in und um die Hauptstadt. Vergangene Woche beobachteten Mitarbeiter der Deutschen Welle die Festnahme von mindestens 30 Schwarzafrikanern in der Altstadt von Tripolis. In Zehnergruppen sperrten die Rebellen die engen Gassen der Altstadt ab und zogen zu Fuß mit ihren Gefangenen ab. Mehrere Bewohner erzählten, dass sie Angst hätten. Viele wollten entweder zurück in ihre Heimatländer oder weiter nach Europa ziehen.

Wachsende Besorgnis

Mohamed El-Gadi von der lokalen Nichtregierungsorganisation Together for my Country glaubt, dass einige der Berichte schlicht übertrieben sind: "Wir haben einige der Inhaftierungszentren in den letzten paar Tagen besucht. Und wir haben dort keinerlei Anzeichen von Misshandlungen gefunden."

Einige größere Nichtregierungsorganisationen kommen zu einem anderen Schluss: Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ruft in einem Bericht den Nationalen Übergangsrat auf, die "willkürlichen Festnahmen und Misshandlungen von afrikanischen Gastarbeitern sowie von schwarzafrikanischen Libyern, die angeblich Söldner sind, sofort zu beenden." Sie schürten ein Klima von Angst. "Es ist gefährlich in Tripolis, eine dunklere Hautfarbe zu haben", sagt Sarah Leah Whiston, Nahost- und Afrika-Direktorin bei Human Rights Watch.

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International prangert mehrfache willkürliche Gewalt gegen schwarzafrikanische Bürger an, unter anderem auch die Misshandlung von Krankenhauspatienten durch bewaffnete Rebellen. "Wir befürchten, dass das, was gerade geschieht, nicht von unabhängigen Beobachtern gesehen wird", sagt Direktor Claudio Cordone.

In der Altstadt von Tripolis, der Medina, ruft der Muezzin zum Abendgebet. Nachts werden Männer sich wieder in ihren Häusern verstecken, und Jugendbanden werden durch die engen und schmutzigen Gassen ziehen. Vielleicht werden sie bald ihre Väter im Gefängnis besuchen müssen.

Autor: Karlos Zurutuza, Tripolis

Redaktion: Robert Mudge, Naomi Conrad