Raubkunst: Das Luf-Boot im Berliner Humboldt Forum
11. Mai 2021Kaum ein Thema wurde in den letzten Wochen rund um die Eröffnung des neuen Berliner Humboldt Forum in Kunstkreisen so heiß diskutiert wie die Rückgabe von Kunstschätzen aus kolonialem Erbe - insbesondere die Restitution der Benin-Bronzen. Zuletzt einigten sich Staatsministerin Monika Grütters und deutsche Museumsverantwortliche darauf, dass Deutschland die wertvollen Skulpturen 2022 an ihr Herkunftsland Nigeria zurückgibt.
Mit dem kürzlich erschienen Buch "Das Prachtboot: Wie Deutsche Kunstschätze der Südsee raubten" des Historikers Götz Aly könnte die Restitutionsdebatte erneut Fahrt aufnehmen. Denn Kolonien besaßen die Europäer nicht nur in Afrika, sondern auch im Südpazifik.
Raubkunst aus der Südsee: Das Luf-Boot
Aus dem heutigen Papua-Neuguinea stammt das Luf-Boot, das größte und prominenteste Ausstellungsstück aus Ozeanien, das ab Herbst 2021 im neuen Humboldt Forum bewundert werden kann. In seinem Buch deckt Aly nicht nur auf, wie das 16 Meter lange Auslegerboot nach Berlin gelangte, sondern auch unter welchen Umständen: Deutsche Kolonialherrscher führten eine brutales Regime auf den Hermitinseln im Bismarck-Archipel, deren größte die Insel Luf ist. "Wer die Wilden beraubte oder einen von ihnen niederschoss, Frauen vergewaltigte und junge Männer zur Zwangsarbeit verschleppte, musste in aller Regel keine Strafe befürchten", schreibt Aly in seinem Buch. Dies entsprach dem deutschen Kolonialprogramm, wie es Bismarck im Sommer 1884 im Reichstag dargelegt hatte. Und so ist davon auszugehen, dass auch das Luf-Boot geraubt und nicht rechtmäßig erworben wurde.
Das hatte Hermann Parzinger, der Direktor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), zu der auch die Sammlung des Humboldt Forum gehört, bislang allerdings anders dargestellt. In einem aktuellen Statement, das der "Süddeutschen Zeitung" vorliegt, erklärt das SPK nun, man werde das Boot weiterhin zeigen - nur jetzt als "Mahnmal der Schrecken der deutschen Kolonialzeit".
Ein "Mahnmal des Schreckens" ist das Luf-Boot in der Tat. Bevor die Deutschen das sogenannte "Schutzgebiet Deutsch-Neuguinea", das sich über 3000 Kilometer im Pazifik erstreckte, vereinnahmten, verfügten die Inselbewohner über eine hochentwickelte Kultur. Zwar kannten sie keine Schrift, aber sie pflegten viele Rituale und waren begabt in Kunst und Handwerk: Ohne Nägel bauten sie wunderschöne, reich bemalte und vor allem hochseetaugliche Boote, mit denen sie enorme Distanzen zurücklegten und auf denen bis zu 50 Menschen Platz fanden.
Wunderwerk der Menschheitsgeschichte: Das Luf-Boot
Vor der Ankunft der Europäer gab es hunderte solcher Boote auf den Hermitinseln. Alle bis auf ein einziges - jenes, das sich heute im Berliner Besitz befindet - wurden bei sogenannten Strafexpeditionen, wie sie während der Kolonialzeit nicht unüblich waren, zerstört. In seinem Buch beschreibt Aly, wie 1882/83 viele der 400 Einwohner der Insel Luf einer Strafexpedition, die der Hamburger Unternehmer Eduard Hernsheim bei Bismarck angezettelt hatte, zum Opfer fielen. Mehr als 300 Marinesoldaten überfielen die Insel, zerstörten die Hütten und zerschlugen die Boote, obwohl die Bewohner keinen Widerstand leisteten. Übrig blieben nur 50 bis 100 Menschen. Sie bauten das heute einzigartige Boot. Und auch das sollte ihnen weggenommen werden.
20 Jahre nach dem Überfall besuchte Max Thiel, zu diesem Zeitpunkt Direktor von Hernsheim & Co, die winzige Insel. Neben den Erträgen aus den Plantagen war der Handel mit sogenannten "Kuriositäten der Naturvölker" ein ertragreicher Nebenverdienst der damaligen Geschäftsleute. Thiel kannte zudem Felix von Luschan, den damaligen Leiter der Ozeanien-Abteilung im Berliner Völkerkundemuseum, dem Vorgänger des Humboldt Forums.
Offiziell gibt es seitens Hernsheim & Co keine Belege dafür, ob das Boot den Inselbewohnern abgekauft wurde oder ob es ihnen gestohlen wurde. Fakt ist, dass Thiel für 6000 DM, damals eine wirklich hohe Summe, das Boot an das Völkerkundemuseum weiterverkaufte. In seinem Buch beschreibt Aly, dass man lange behauptet habe, nur die Kultur der Insulaner bewahren zu wollen: Ihre Bevölkerung sei so zurückgegangen, dass das Boot nicht mehr gebraucht werde. Jahrelang hielt sich die Legende, die Deutschen hätten das Boot gerettet. Aber auch nur, weil sie mi ihrem "indirekten Völkermord" die Kultur der Inselbewohner ausgelöscht hätten, wie Götz Aly in seinem Buch nüchtern feststellt.
In Berlin konnte das ozeanische Hochsegelboot über viele Jahre im Ethnologischen Museum im Stadtteil Dahlem bewundert werden, bis es 2018 in eine eigens dafür angefertigte 20 Meter lange Kiste verpackt und ins Berliner Stadtschloss überführt wurde. Mit seinen 16 Metern ist das Boot so riesig, dass man dort extra ein Loch in der Fassade freihielt, um es hinein zu befördern.
Insgesamt rund 65.000 Objekte aus der Südsee befinden sich im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Lange Jahre fragte kaum jemand danach, ob diese und weitere Kulturgüter aus anderen Ländern auch rechtmäßig erworben worden waren. Dabei gab es zum Beispiel schon Anfang des 20. Jahrhunderts erste Rückforderungsersuche aus Nigeria. Die Kunsthistorikerin Bénédicte de Savoy trug maßgeblich dazu bei, dass die Restitution von Kunstschätzen aus Afrika ins Rollen kam. Womöglich gelingt es mit Götz Aly einem weiteren Historiker, Licht in die dunklen Depots der ehemaligen Völkerkundemuseen zu bringen und dafür zu sorgen, dass so grausige Geschichten, wie die rund um den Raub des Luf-Bootes ans Licht kommen.