Referendum: Tsipras will Tatsachen schaffen
27. Juni 2015Nach einer Dringlichkeitssitzung seines Kabinetts trat Tsipras kurz vor ein Uhr morgens vor die Kamera und kündigte den Volksentscheid für Sonntag in einer Woche (05.07.2015) an. Gegenstand des Referendums sei "die Annahme oder Ablehnung der Vorschläge seitens der Institutionen", mahnte der Regierungschef. Darüber habe er bereits den französischen Präsidenten Francois Hollande, Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie EZB-Chef Mario Draghi in Kenntnis gesetzt.
Tsipras beklagte ein "erpresserisches Ultimatum" der Geldgeber und rief die Griechen auf, mit "Entschlossenheit, aber auch mit Gelassenheit eine Antwort zu geben auf Autoritarismus und harte Austeritätspolitik". Trotz seiner harten Haltung formulierte der Linkspolitiker allerdings auch eine Bitte an die Geldgeber: Sie sollen das am 30.Juni auslaufende Rettungsprogramm für Griechenland um einige Tage verlängern, damit das Volk in Freiheit und ohne "Druck oder Erpressungen" entscheiden kann.
Von langer Hand geplant?
Politikwissenschaftler Levteris Koussoulis ist empört: Die Regierung Tsipras habe von Anfang an lediglich Scheinverhandlungen geführt und das Vertrauen der EU-Partner arg strapaziert, klagt der Analyst im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Anscheinend verfolgten die Regierenden immer schon den Plan, die Bedingungen für einen Euro-Austritt Griechenlands zu schaffen und dabei das Land zu isolieren und anschließend zu stalinisieren" meint Koussoulis.
Dabei wollten sich eigentlich die Euro-Finanzminister an diesem Samstag in Brüssel auf ein Reformpaket für Athen einigen. Doch sie würden vermutlich gar nicht mehr zusammenkommen, glaubt Koussoulis. Jedenfalls mache dieses Treffen keinen Sinn mehr, behauptet der Politikwissenschaftler.
Lange Nacht der Unsicherheit
Mit seiner Ansprache habe der Regierungschef auch seine persönliche Ansicht zum Referendum zum Ausdruck gebracht, meint Politanalyst Stratos Ballis im TV-Sender Skai: Es sei eindeutig, dass Tsipras für die Ablehnung der Sparvorschläge plädiert.
Noch deutlicher brachte es in den ersten Samstagsstunden Innenminister Jorgos Katrougalos auf den Punkt: "Wir wollen ein besseres Abkommen, wir wollen Wohlstand in Europa. Deshalb sind wir dagegen. Alles andere wäre, als würden wir unseren eigenen Tod sowie den Tod unserer Kinder unterschreiben" donnerte der Jurist im TV-Interview. Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou rief die Bevölkerung zu einem "Akt des Widerstands" auf und erklärte, die Volksvertretung werde am Samstagmittag außerplanmäßig zusammenkommen und über das geplante Referendum beraten. Kommentatoren rechnen mit turbulenten Szenen bei dieser Debatte.
Kurz nach der Live-Ansprache des Premiers strömten viele Menschen in Athen und anderen griechischen Städten zu den Geldautomaten, um Geld abzuheben. Allzu lange Schlangen blieben aber zunächst aus - vermutlich wegen der fortgeschrittenen Stunde. Nach Informationen des TV-Senders Antenna kam es in der Nacht zum Samstag auch zu Rangeleien zwischen autonomen Demonstranten und der Polizei in der Athener Innenstadt. Es handelte sich offenbar um vereinzelte Zwischenfälle.
Scharfe Kritik von der Opposition
Und was ist, wenn die Griechen, entgegen aller Erwartungen der regierenden Linkspartei für ein Abkommen mit den Geldgebern stimmen? Auf diese Frage hat Innenminister Katrougalos eine aus seiner Sicht einfache Antwort parat: "Wenn sich das Volk für die Unterwerfung entscheidet, wenn sich das Volk umbringen will, dann ist dies eben die Verantwortung des Volkes", erklärt der Syriza-Jurist.
Damit wollen sich die führenden Oppositionspolitiker freilich nicht abfinden. Konservativen-Chef Antonis Samaras wirft dem Premier vor, ein Referendum über die Euro-Mitgliedschaft Griechenlands abhalten zu wollen, während der sozialistische Ex-Finanzminister Evangelos Venizelos von einem "Putschversuch" der Linkspartei spricht. Dimitris Tsiodras, Sprecher der sozialdemokratischen Partei To Potami, versucht es mit einem Hauch Ironie: "Nach fünf Monaten im Amt beschloss der Ministerpräsident, dass er keinen Beschluss fassen kann zur Frage, ob Griechenland in der Eurozone bleibt. Stattdessen will er nun das Ergebnis seiner Verhandlung dem griechischen Volk aufbürden."
Für Aufsehen sorgte unterdessen die Warnung sämtlicher Linkspolitiker in Griechenland: Wer sich für die Einigung mit den Geldgebern ausspreche, stecke mit ihnen unter einer Decke. Politikwissenschaftler Levteris Koussoulis ist empört: "Diese Menschen betrachten Macht als Selbstzweck und wollen in unserer Gesellschaft Zwietracht stiften", mahnt der Analyst im Gespräch mit der DW.