Regierungschefin kann Hongkong nicht beruhigen
9. Juli 2019Auf einer Pressekonferenz beteuerte Carrie Lam, dass der umstrittene Gesetzentwurf zur Auslieferung beschuldigter Personen an China nicht mehr vorgelegt werde. "Das Gesetz ist gestorben", sagte Lam. Allerdings ging die pekingtreue Regierungschefin der chinesischen Sonderverwaltungszon nicht auf die Forderung der Demonstranten ein, den Gesetzentwurf formell zurückzuziehen. "Es gibt weiter anhaltende Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Regierung und Sorgen, ob die Regierung das Verfahren im Legislativrat neu beginnen wird", räumte die Regierungschefin ein. "Deswegen lassen Sie mich hier wiederholen: Es gibt keinen solchen Plan." Von einem offiziellen Rückzug sprach Lam aber wieder nicht.
Das Eingeständnis von Fehlern
Das Gesetzesvorhaben, das erstmals Auslieferungen an Festland-China ermöglicht hätte, hat die größten Proteste seit der Rückgabe der einstigen britischen Kronkolonie an China im Jahr 1997 ausgelöst. In den vergangenen Wochen gingen in der Finanzmetropole wiederholt hunderttausende Demonstranten auf die Straße. Die Polizei rückte mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Aktivisten vor.
Angesichts der Massenproteste legte Lam das Gesetz Mitte Juni zunächst auf Eis. Die Proteste dauerten aber an und richteten sich zunehmend gegen die Frau an der Spitze selbst.
Die 62-Jährige räumte in ihrer Erklärung Fehler ein und zeigte sich gesprächsbereit. Sie willigte unter anderem ein, ohne Vorbedingungen Studenten zu treffen. Auch sprach sie von "grundlegenden, tief verwurzelten Problemen" in Hongkong. Dabei könne es um wirtschaftliche Probleme, fehlenden Wohnraum und politische Spaltungen gehen. Diese Probleme müssten "identifiziert" und angegangen werden. Die Forderung der Protestbewegung, einen unabhängigen Richter mit der Untersuchung des Vorgehens der Polizei gegen Demonstranten zu betrauen, wies Lam allerdings zurück.
Protestbewegung will weitermachen
Die Protestbewegung hält auch nach der Erklärung Lams an der Forderung fest, dass die Vorlage für das Auslieferungsgesetz auch formell zurückgezogen wird. Deshalb wollen die Führer der Demokratiebewegung ihre Aktionen fortsetzen. "Keine unserer öffentlichen Forderungen wurde erfüllt", schrieb der Ex-Studentenführer Joshua Wong auf Twitter. Der richtige Weg, das Gesetz zu streichen, sei ein formeller Rückzug, da der Entwurf bis nächsten Juli im legislativen Programm erhalten bleibe.
Andere Aktivisten forderten Lam auf, sich an rechtsstaatliche Verfahren zu halten. Den Begriff "gestorben" gebe es in keinem der Gesetze oder legislativen Vorgänge Hongkongs, sagte Bonnie Leung von der Menschenrechtsfront (CHRF), die viele Proteste organisiert hatte.
Demonstranten fürchten wachsende Einflussnahme Pekings
Das Gesetz hätte es Hongkongs Behörden ermöglicht, von der chinesischen Justiz verdächtigte Personen an die Volksrepublik auszuliefern. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass Chinas Justiz nicht unabhängig sei und als Werkzeug der politischen Verfolgung diene. Auch drohten Folter und Misshandlungen. Viele sahen das Auslieferungsgesetz als "Werkzeug zur Einschüchterung" in Hongkong.
China hatte London bei der Übergabe Hongkongs 1997 zugesichert, dass in der ehemals britischen Kronkolonie Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit für mindestens 50 Jahre gewahrt blieben. Hongkongs wiedererstarkte Oppositionsbewegung wirft der pekingtreuen Regierung vor, diese als "Ein Land, zwei Systeme" bekannte Regelung zunehmend zu unterlaufen. Die Demonstranten fürchten eine wachsende Einflussnahme der Regierung in Peking auf Hongkong.
Kritik aus Deutschland
Aus Deutschland kam Kritik an dem Hickhack um das Auslieferungsgesetz: Wenn das ruhende Gesetzesvorhaben ohnehin auslaufe, "kann man es auch jetzt zurückziehen", sagte der Grünen-Politiker Jürgen Trittin. "Das wäre nach dem langen Lavieren von Lam endlich ein deutliches Zeichen an China." In Hongkong stehe "die internationale Verlässlichkeit Chinas auf dem Prüfstand", sagte das Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Die Bundesregierung dürfe nicht hinnehmen, dass Peking Hongkong zur "inneren Angelegenheit" erkläre. Es gehe um die Frage, ob die völkerrechtliche Vereinbarung "ein Land, zwei Systeme" respektiert werde oder nicht.
ml/ww (dpa, afp, ape)