Regierungswechsel in Ungarn
22. April 2002Nach Auszählung fast aller abgegebenen Stimmen errangen die Sozialisten mit ihrem Spitzenkandidaten Peter Medgyessy und ihr potenzieller Koalitionspartner, die Freien Demokraten, zusammen zehn Sitze mehr als die bisherige Regierung der nationalen Bürgerlichen Partei (Fidesz) unter Orban. Im Parlament sitzen 386 Abgeordnete. Auch in der ersten Runde am 7. April hatte die Opposition vorn gelegen.
Ministerpräsident beugt sein Haupt
"Lasst uns unser Haupt vor dem Willen der Wähler beugen", sagte Orban vor Tausenden von Anhängern im Budapester Millennium-Park. Er habe vor wenigen Minuten Medgyessy zu dessen Sieg gratuliert. Dieser sagte: "Die wichtigste Frage ist entschieden, nämlich die eines Regierungswechsels." Es wird erwartet, dass Medgyessy Ministerpräsident der neuen Regierung werden wird.
Die Sozialisten, hervorgegangen aus der Kommunistischen Partei, hatten zwischen 1994 und 1998 mit den Liberalen eine Regierung gebildet. Unmittelbar nach der ersten Wahlrunde hatten Umfragen noch auf einen Sieg Orbans schließen lassen. Den vorläufigen Ergebnissen zufolge stellt die Fidesz die größte Fraktion im neuen Parlament und könnte damit eine Minderheitsregierung bilden. Nach der ungarischen Verfassung muss der Präsident des Landes jedoch den Parteichef um eine Regierungsbildung bitten, dessen Gruppe die besten Chancen hat, dabei erfolgreich zu sein. Nur mit Unterstützung der Mehrheit des Parlaments kann ein Ministerpräsident seine Regierungsmitglieder vereidigen.
Hohe Wahlbeteiligung
Die Wähler bestimmten am Sonntag (21. April 2002) über die Besetzung von 201 Sitzen, über die in der ersten Runde keine Entscheidung gefallen war. Ungarn wählt nach einer Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht. 176 Sitze werden per Mehrheitswahl entschieden, 210 Sitze nach Parteilisten per Verhältniswahl. Die Wahlbeteiligung betrug am Sonntag 71 Prozent und lag damit genauso hoch wie in der ersten Runde. Es war die vierte Parlamentswahl Ungarns seit dem Ende des Kommunismus.
Orban hat die politische Mitte vernachlässigt
Orban hatte in jüngster Zeit verstärkt nationale Töne angeschlagen und damit sowohl die Wirtschaft als auch die Europäische Union (EU) irritiert, der das Land bis zum Jahr 2004 beitreten will. Medgyessy steht für eine marktfreundliche Wirtschaftspolitik und hat eine Kürzung der Kapitalsteuern sowie einen Verkauf staatlicher Anteile an Unternehmen angekündigt. Im Wahlkampf versprach er, das von Orban polarisierte Ungarn wieder einigen und den Beitritt zur EU vorantreiben zu wollen.
Ungarns Wirtschaft ist auch während der weltweiten Konjunkturflaute stärker gewachsen als der Durchschnitt der EU-Staaten. Die Inflation ist innerhalb eines knappen Jahres von mehr als zehn auf unter sieben Prozent gesunken. Die Arbeitslosenquote liegt bei 5,7 Prozent. (fro)