Neue Altbauten
6. September 2010Kaum einer muss in Sachen Rekonstruktion so viel aushalten können wie Wilhelm von Boddien. Er ist Geschäftsführer des Fördervereins für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. Und damit Zielscheibe der Gegner: zu teuer und rückwärtsgewandt sei die Rekonstruktion. Er hält dagegen: "Was guckt man sich im Urlaub denn an, wenn man Städte besichtigt? Man besichtigt doch in erster Linie die historischen Viertel und nicht irgendwelche seelenlosen Neubauten."
Dabei ist die Berliner Museumsinsel bereits von Historie gesegnet. Hier stehen unter anderem das Alte Museum von 1828, die Alte Nationalgalerie von 1876 und der Dom von 1905. Reicht das nicht? "Das Schloss ist zwar nicht Alles, aber ohne das Schloss ist Alles nichts", provoziert Wilhelm von Boddien und meint damit, dass das Schloss eine wichtige Lücke in dem gesamten historischen Ensemble der Museumsinsel schließen wird.
Ursula Schirmer von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz hat da ihre Zweifel. Aus ihrer Sicht ist ein wieder aufgebautes Schloss erst einmal ein Neubau, der allerdings - im Gesicht eines historischen Gebäudes - auch mit öffentlichen Mittel finanziert wird, wie denkmalgeschützte Gebäude. "Bei der Vergabe von Geldern hat eine Dorfkirche oder selbst die Berliner Elisabethkirche von Schinkel gegen das Stadtschloss keine Chance. Dafür sind die nicht spektakulär genug."
Emotionale Entscheidungen
Auch ist sie sich nicht sicher, ob der stark umstrittene Abriss des Palastes der Republik, der an jener Stelle stand, wo nun das Stadtschloss errichtet werden soll, richtig war. "Das war eine politische Entscheidung, schließlich war der Palast der Republik das Symbolgebäude der DDR schlechthin", sagt Schirmer. "Aus Sicht des Denkmalschutzes ist das bedenklich - wir sind da emotional noch viel zu nah dran. Um eine objektivere Entscheidung zu treffen, braucht es einige Generationen. Diese Zeit wird manchen Gebäuden jedoch eben nicht gegeben."
"Jede Epoche sollte mit anspruchsvoller Architektur ihren eigenen Beitrag leisten und keinen baukulturellen Stillstand pflegen", sagt Carl Zillich von der Bundesstiftung Baukultur. Leider scheint es dafür aber keinen Konsens zu geben, zumindest von Seiten der Geldgeber wie Investoren oder öffentliche Hand. "Für den Wiederaufbau von historischen Gebäuden findet sich viel häufiger Geld, als für einen klugen Neubau." Architekten stünden meistens nur geringe Mittel zur Verfügung. Gesichtslose, austauschbare Gebäude seien die ästhetische Folge - kein Wunder, dass sich kaum einer mit solcher Architektur identifizieren kann.
Überwinden von Traumata
Die meisten Rekonstruktionen und Restaurationen seien in Deutschland "aus dem Affekt heraus" beschlossen worden und sollten nach dem Zweiten Weltkrieg helfen, die Traumata der Zerstörung zu überwinden. Als prominentes Beispiel gilt hier die Dresdener Frauenkirche. Hier wurden allerdings, anders als beim Berliner Stadtschloss, übrig gebliebene Baumaterialien integriert.
Die Aufregung um Authentizität kann Fördervereinschef von Boddien nicht nachvollziehen, schließlich werde doch seit Menschengedenken rekonstruiert. Wen interessiere es denn heute noch, dass der Glockenturm auf dem Markusplatz in Venedig kein Original, sondern ein Nachbau ist? "Die moderne Architektur hat in Berlin nach der Wende sechs Millionen Quadratmeter Platz gehabt, um sich zu beweisen. Warum ist es jetzt so ein Problem, wenn wir auf nur 150.000 Quadratmeter genau das wieder errichten, was dieser historische Ort verlangt?"
Hirnschmalz und Kreativität
Hans-Joachim Kuke sieht das ähnlich. Er ist stellvertretender Vorsitzender eines weiteren Vereins, der ein Schloss wiederauferstehen lassen will: das Potsdamer Stadtschloss. "Rekonstruktionen sind eine legitime Bauaufgabe und schon immer ein wichtiges Bedürfnis vieler Völker und Länder gewesen. Menschliche Gemeinschaften sind eben nicht bereit, Gebäude aufzugeben, die ihnen für ihre Identität wichtig sind." Dafür sei es auch legitim, wenn beispielsweise wie im Fall des Potsdamer Stadtschlosses nur die Fassade originalgetreu wiederaufgebaut wird. "Fassadismus" spotten Kritiker, die den Mehrwert von solchen Gebäuden nicht erkennen können, da doch nur der äußere Schein, also die Fassade, dem Betrachter Historie vorgaukelt.
"Eine Fassade ist doch ungemein wichtig", antwortet darauf Architekturhistoriker Kuke. "Worauf achten wir denn, wenn wir einem Menschen begegnen? Als erstes doch auf das Äußere, ob jemand beispielsweise eine schöne Nase oder Augen hat." Und wer wolle denn heute noch ein Plumpsklo benutzen, ganz abgesehen von den einzuhaltenden Bauvorschriften.
"Eine Rekonstruktion ist eine ungemein künstlerische Leistung, ich verstehe gar nicht, warum das häufig so abgetan wird. Es braucht eine Menge Hirnschmalz und Kreativität, um heutige Richtlinien wie zum Beispiel Wärmedämmung in eine historische Rekonstruktion zu integrieren." Wie historisch wertvoll diese neuen Altbauten sind, wird der Denkmalschutz allerdings erst in etwa 50 Jahren entscheiden können.
Autorin: Nadine Wojcik
Redaktion: Conny Paul