Rekord bei Opiumanbau in Afghanistan
16. November 2013Der Opiumanbau in Afghanistan boomt. Wie die Vereinten Nationen in dieser Woche in Kabul mitteilten, stieg die Zahl der Schlafmohnplantagen am Hindukusch auf einen traurigen Rekord: Auf 209.000 Hektar Land hat man laut UN-Angaben die Mohnsorte entdeckt, aus deren Samenmilch das Rauschmittel Opium hergestellt wird. Auch in den zwei nördlichen Provinzen Faryab und Balkh, die zuvor als drogenfrei galten, fanden die Kontrolleure illegale Plantagen. Der bisherige Höchststand lag bei 193.000 Hektar an Schlafmohnfeldern und stammte aus dem Jahr 2007.
Noch alarmierender waren die Erntezahlen im Land: Mit 5500 Tonnen stieg die Menge des gewonnenen Opiums im Vergleich zum Jahr 2012 um die Hälfte an. Afghanistan bleibt somit Spitzenreiter in der Drogenproduktion. Das Land liefert über 80 Prozent des weltweiten Opiums, aus dem in einem weiteren Produktionsschritt Heroin hergestellt wird.
Drogenzentrum Südafghanistan
Der Chef des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) Juri Fedotow nannte die Ergebnisse der Studie "ernüchternd". Die neuesten Entwicklungen seien "eine Bedrohung für die Gesundheit, Stabilität und Entwicklung in Afghanistan".
Fedotows Warnung scheint berechtigt: Ende 2014 will die NATO ihren Einsatz am Hindukusch weitgehend beenden. Die Befürchtung ist groß, dass die afghanische Polizei dann dem Drogenhandel machtlos gegenübersteht. Im Jahr nach dem Abzug der Bundeswehr aus der nordostafghanischen Provinz Badachschan nahm die Anbaufläche von Schlafmohn dort nach UNODC-Angaben um 25 Prozent zu.
Wie in den Vorjahren liegen die Hauptanbaugebiete im Süden des Landes - und damit in Krisenregionen wie Helmand und Kandahar. Die afghanische Regierung erklärte sich außer Stande, den Drogenanbau in diesen Unruheherden zu stoppen. "Die südlichen Provinzen sind die unsichersten Provinzen unseres Landes und Hochburgen der Taliban", sagte Baaz Mohammad Ahmadi, Vorsitzender der Drogenbekämpfung im afghanischen Innenministerium. "Deshalb ist es erforderlich, die Gebiete mithilfe der internationalen Sicherheitskräfte zu stabilisieren."
Als wichtigste Ursache für die gestiegene Anbaufläche nannten die UN-Experten den hohen Preis, den die Droge auf dem Weltmarkt erzielt. Aktuell erhält man für ein Kilogramm Opium 145 Dollar. Viele Bauern in Afghanistan seien auf das Geld angewiesen, um ihre Familien zu ernähren, betont der Afghanistan-Chef der UNODC, Jean-Luc Lemahieu.
Geldquelle für den heiligen Krieg
Der Drogenanbau hat in Afghanistan lange Tradition. "Der Opium-Boom ist ein Resultat des seit mehr als 30 Jahren andauernden Krieges", sagt Thomas Ruttig, Co-Direktor der Recherche-Organisation "Afghanistan Analysts Network". Nachdem sowjetische Truppen 1979 das Land überfallen hatten, stieg die Zahl der Schlafmohnfelder drastisch an. Mit dem erwirtschafteten Geld konnten sich die Mudschahidin Waffen für den Krieg gegen die Besatzer kaufen.
In den achtziger Jahren wuchs der Anbau in Afghanistan kontinuierlich an - auch deshalb, weil die Militärregierung im Nachbarland Pakistan eine rigide Anti-Drogenpolitik durchsetzte. "Doch der Drogenhandel verschwand nicht einfach, er kam über die Grenze nach Afghanistan", sagt Experte Ruttig. Als die Taliban an die Macht gelangten, ließen sie den Bauern freie Hand bei der Kultivierung von Opium - und besteuerten die Plantagen.
Nicht einmal die Truppen der ISAF-Mission konnten den Drogenmarkt in Afghanistan eindämmen. Dabei hätte man laut Expertenmeinung diese Maßnahme gebraucht, um das Land zu stabilisieren. "Doch viele Soldaten hatten überhaupt kein Mandat, um gegen Drogengeschäfte vorzugehen", sagt Thomas Ruttig. Auch Deutschland habe seinen Truppen ein solches Mandat nicht gegeben und darauf verwiesen, dass Drogenbekämpfung die Aufgabe der afghanischen Regierung sei.
"Afghanistan nicht allein lassen"
Genau diesen Ansatz kritisierten die UN-Experten. Jean-Luc Lemahieu appellierte in Kabul an die internationale Gemeinschaft, ihre Verantwortung ernst zu nehmen. Schließlich blieben nur zehn Prozent des Gewinns in Afghanistan. "Mehr als 90 Prozent der Profite werden außerhalb von Afghanistan gemacht", sagte der UNODC-Mitarbeiter. "Kein Land sollte bei der Lösung solch enormer Probleme allein gelassen werden."
Dass die afghanische Regierung ihren Teil zur Stabilisierung beitragen muss, darüber sind sich auch die Experten einig. "Bisher stand der Drogenanbau in Afghanistan zum Teil unter politischer Protektion", sagt Thomas Ruttig. Der Afghanistan-Fachmann hofft, dass die neuen Zahlen ein Umdenken in der Regierung bewirken: weg von "Fassadenmaßnahmen" hin zu einer ernsthaften Anti-Drogenpolitik.