Religion und Klimaschutz: "Aus den Kirchenbänken aufstehen"
2. September 2022"Fridays for Future" auch bei den Kirchen: Bei der Vollversammlung des Weltkirchenrats in Karlsruhe stand am Freitag ein Protestmarsch an. Manche der Kirchen und Kirchenvertreter aus dem globalen Süden leiden schon dramatisch unter den Folgen des Klimawandels. Der Mitgründer und Chef der multireligiösen NGO Greenfaith, Fletcher Harper, drängt die Kirchen auf konkretes Handeln und auf mehr Beteiligung an Protesten. Der 58-jährige Harper selbst ist Geistlicher der Episkopalkirche. Das Titelbild zeigt eine Protestaktion von Greenfaith in Guatemala.
Deutsche Welle: Herr Harper, hier bei der Vollversammlung des Weltkirchenrats kann man drastische Schilderungen hören von Betroffenen des Klimawandels. Die Kirchen rufen seit langem zur Bewahrung der Schöpfung auf. Da beten und mahnen die Kirchen viel. Tun die Kirchen genug, um da auch politisch etwas zu erreichen?
Fletcher Harper: Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Kirche, zusammen mit anderen religiösen Gruppen weltweit, eine entscheidende und kraftvolle Veränderung vornehmen müssen. Es reicht nicht, nur zu beten und Erklärungen abzugeben. Wir müssen uns aus den Kirchenbänken erheben und auf die Straßen und in die Wahlkabinen gehen, um ein klares Signal zu senden. Ein Signal, dass es keine neuen Projekte für fossile Brennstoffe geben kann und dass es einen gerechten Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen geben muss. Und die reichen Länder der Welt, die für die Klimakrise verantwortlich sind, müssen sich großzügig zu einem gerechten Übergang verpflichten. Dieser Wandel ist notwendig, und zwar sofort.
Sie erwarten mehr politisches Engagement der Kirchen und entschiedeneres Handeln der Kirchen. Gilt das auch für die Kirche als Gebäudeeigentümer, als Bauherr. Zumindest in Europa und in Nordamerika kommt da einiges zusammen?
Ja, auch das ist wichtig. Wir müssen immer mit gutem Beispiel vorangehen. Denn unser Handeln muss mit dem übereinstimmen, was wir von den politischen Entscheidern verlangen. Also müssen wir die Kohlenstoffemissionen unserer eigenen Einrichtungen reduzieren oder auf null setzen. Wir müssen als Kirchen, wo immer wir können, erneuerbare Energien nutzen. Und genauso sollten wir den politischen und finanziellen Verantwortungsträgern sagen, dass sie vorangehen müssen. Derzeit werden die Möglichkeiten einzelner Einrichtungen oder Träger ja oft durch die Politik oder die Gesetzgebung oder durch das Fehlen von Finanzmitteln eingeschränkt. Deshalb muss das Handeln gemeinsam geschehen. Es geht um eine ganzheitliche Botschaft.
Schon heute kann der Protest gegen den Raubbau an der Natur, beispielsweise im Amazonasgebiet, riskant sein. Kann es für lokale Kirchenvertreter an der Basis gefährlich werden, stärker zu protestieren und zu widerstehen?
Es ist bereits gefährlich. Wir wissen, dass es mutige Kirchenführer, Geistliche und Laien gibt, die ihre Stimme erheben und die bedroht werden. Oftmals werden ihre Familien bedroht. Manche werden belästigt oder körperlich eingeschüchtert, und manche werden getötet. Deshalb ist es so wichtig, dass die Kirchen als Ganze aufstehen. Wir brauchen Kirchen in den Metropolen der Welt, die auf diese Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen und den Regierungen, ob in Brasilien oder in anderen Ländern, sehr deutlich machen, dass dies nicht zu tolerieren ist und dass sie die Menschenrechte der indigenen Völker und der Umweltschützer durchsetzen müssen. Wir müssen uns im Klaren sein, dass es sich um einen ernsten Kampf handelt. Es gibt sehr mächtige wirtschaftliche und politische Interessen, die in den Status quo investiert haben. Da ist die Solidarität der Religionsgemeinschaften ein wichtiges Gegengewicht, um Bedrohungen auszugleichen.
Bei der Vollversammlung des Weltkirchenrats sind Delegierte aus 120 Ländern, viele Vertreterinnen und Vertreter des globalen Südens. Greenfaith selbst hat Akteure in Afrika und Asien. Vermissen die mehr Unterstützung aus dem Norden?
In Afrika haben wir mutige Mitarbeiter und Freiwillige, die sich gegen eine knapp 1500 Kilometer lange Rohölpipeline in Ostafrika einsetzen, die East African Crude Oil Pipeline (EACOP). Sie arbeiten mit unserem Team in Frankreich zusammen, wo Total Energy als Hauptgeldgeber des Projekts seinen Sitz hat. Unsere Leute in Ostafrika sagen den Kollegen in Frankreich: Total sagt, dass sie Entschädigungen zahlen würden - aber sie tun nichts dergleichen. Sie sagen, sie würden fair warnen und über die Auswirkungen dieses Projekts informieren – aber nichts passiert. Deshalb sind wir überzeugt, dass wir zuallererst die Stimmen und die Realitäten, mit denen unsere Partner im Süden leben, in den globalen Norden tragen müssen. Denn für sie geht es um Leben und Tod. Wir müssen die Realität überprüfen, damit sich Führungskräfte und Politiker, die sich gerne grünwaschen und sagen, alles sei in Ordnung, mit der Realität auseinandersetzen müssen. Wir müssen also den Menschen im Süden zuhören, ihren Stimmen Gehör verschaffen und ihnen beistehen.
Engagieren sich auch Bischöfinnen oder Bischöfe oder leitende Geistliche für Ihre Bewegung?
Einige. Aber wir brauchen mehr. Wir brauchen die Bischöfe und die Führer der Kirche, die sich selbst in die Pflicht nehmen. Sie müssen auf die Straße gehen und an Protestmärschen teilnehmen. Die Kirchen müssen sich von Investitionen in fossile Brennstoffe trennen. Sie müssen sich zu Wort melden, wenn die Menschenrechte bedroht sind. Bislang sagen die Leute oft: "Oh, das ist politisch und die Kirche muss sich in ihrem politischen Engagement zurückhalten!". Aber es geht längst um grundlegende menschliche, religiöse und moralische Werte. Fragen Sie doch hier Delegierte aus Regionen, die längst den Klimawandel spüren: Es ist eine Frage von Leben und Tod. Deshalb ist klar, die Bischöfe und Kirchenführer müssen sich stärker engagieren.
Greenfaith wurde 1992 im Nachgang der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung, dem sogenannten "Erd-Gipfel" in Rio de Janeiro, gegründet. Die Gründungspartner kamen aus 14 Ländern und mehreren Religionen. Heute gibt es ein Netzwerk mit Ablegern unter anderem in Ländern Afrikas und Asiens.
Interview: Christoph Strack