Religion und Politik
24. März 2005Selbst als die USA vor zwei Jahren in den ersten Wochen des Irak-Krieges waren, unterbrach Präsident George Bush den Urlaub auf seiner Ranch in Texas nicht. Aber diesmal ging es um die moralische Grundfrage seines neo-konservativen Amerikas: Das Recht auf Leben.
Als Terri Schiavos Eltern den Rechtsweg ausgeschöpft hatten und scheinbar unwiderruflich die Einstellung der künstlichen Ernährung angeordnet worden war, wurde das Parlament in Washington aktiv. Die Politiker waren aus ihrem Osterurlaub zurückgekehrt und hatten speziell für Terri Schiavo ein neues Gesetz geschaffen, damit ihr Fall noch einmal von Bundesgerichten aufgegriffen werden konnte. Und damit dieses Gesetz rechtskräftig werden konnte, brauchte es die Unterschrift des Präsidenten.
Waffenlobby und christliche Rechte
"Unsere Gesellschaft, unsere Gesetze und unsere Gerichte sollten im Zweifel für das Leben sein,“ sagte George Bush, als er das Gesetz unterschrieb. Dabei hatten Meinungsumfragen Washingtons Politikern eindeutig gesagt, dass fast zwei Drittel der Wähler nichts davon halten, wenn sich die Politik in diesen Fall einmischt. Aber George Bush und seinen Republikanern saßen wichtigere Gruppen im Nacken als einfache Wähler: Die christliche Rechte.
Seit dem Wahlsieg von George Bush im vergangenen November wird immer deutlicher, wie groß der Einfluss der christlichen konservativen Bewegung auf alle Bereiche der Politik in den USA ist. Was vor wenigen Jahren die Waffenlobby NRA für alle Fragen der Waffenkontrolle war, ist jetzt die christliche Rechte für alle Fragen über Leben und Tod. Das geht von Abtreibung über öffentliche Moral bis hin zu individuellen Sterbeentscheidungen einzelner Bürger wie Terri Schiavo.
Ethik und Moral
Eine Karikatur in der Washington Post brachte die Lage vor kurzem auf den Punkt: Das Kapitol in Washington, auf der einen Seite wurde die Ethik aus dem Olymp amerikanischer Politik hinausgetragen und auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen, auf der anderen Seite wurde die christliche Moral ins Kapitol hineingetragen. Und es ist nicht irgendeine christliche Moral, die in den USA jetzt den Ton angibt. Es ist die Moral der missionierenden Evangeliker aus dem Süden des Landes, die mehr und mehr den Bürgern vorschreiben will, wie sie zu Leben haben.
Für säkulare Weltregionen wie Europa ist ein solcher Einfluss der Religion auf die Politik schwer verständlich. Vor einem halben Jahr wurde ich von einem Programm des öffentlich-rechtlichen Radios der USA, NPR, zu dem Einfluss der Religion auf die Politik in Deutschland interviewt. Unter anderem fragte die Moderatorin einer Sendung, die sich mit religiösen Themen befasste, unter welchen Umständen ich mir als Deutscher vorstellen könnte, dass Politik von Religion beeinflusst werden dürfte. Und ich war einen Moment sprachlos, ich konnte mir keine Umstände vorstellen, wo Religion die Politik übertrumpfen dürfte. Schließlich war eines der Freiheitsideale, dass sich Europa auf dem langen Weg aus dem Mittelalter zur Neuzeit erkämpft hatte, die Trennung von Staat und Kirche gewesen. Aber selbst die liberale amerikanische Moderatorin der Sendung schien meine Haltung nicht verstehen zu können.
Wo bleibt die Toleranz?
Die USA gehen gerade den umgekehrten Weg, die Religion kehrt mit Macht in die Politik zurück, die Toleranz für andere Haltungen, Philosophien und Religionen bleibt mehr und mehr auf der Strecke. Und tragische, private Schicksale wie die von Terri Schiavo, ihren Eltern und ihrem Ehemann werden zum Exempel der moralischen Mehrheit der USA.
Als Präsidentenbruder Jeb Bush, der Gouverneur von Terri’s Heimatstaat Florida, eine neue Windung in der unendlichen Geschichte von Terri’s langsamen Tod verkündete, tat er das natürlich auf einer Pressekonferenz, die live im Fernsehen übertragen wurde. Und dann blieben die Kameras noch drauf, als Jeb Bush mit seinen Mitarbeitern direkt im Anschluss vor allen Reportern noch kurz einmal öffentlich betete.