Renaissance der sozialen Plastik
10. Juli 2002In Ihrem jüngsten Projekt "Aktion 18" kritisieren Sie den Umgang der FDP mit dem Antisemitismus. Ist das Kunst oder eher Politik?
Seitdem sich die Politik zunehmend theatralisch gebärdet, ist die Grenze zwischen Politik und Kunst immer schwieriger zu ziehen. Ich weiß, dass ich definitiv kein Politiker bin. Mit Chance 2000, einer Partei der Minderheit, die die Mehrheit haben wollte, habe ich politische Erfahrungen gemacht. Auch wenn mir das Projekt sehr wichtig war und ich auch heute noch viel von ihm in mir trage, habe ich dabei gemerkt, dass ich selbst kein Politiker bin.
Wer ist denn eigentlich Ihr Publikum?
Das sind Menschen aus einfachen Verhältnissen zwischen 12 und 25 Jahren. Es sind Leute, die durch meine Arbeit irgendetwas spüren und sich durch eine obsessive Kraft wieder daran erinnern lassen, was sie einmal waren.
Auf Ihrer Homepage steht, dass "Kunst im politischen Raum noch Wirkung erzielen kann". Welche Wirkungen wollen Sie konkret erzielen?
Konkret kann ich das nicht sagen. Man könnte genauso wenig sagen, was Medien konkret bewirken. Ich arbeite in der Regel so, dass ich etwas ahne, dies aber nicht gleich in eine konkrete These umsetzen kann. Solche Ahnungen nehme ich sehr ernst, doch manche Leute wollen sie mir wegnehmen und verstehen nicht ihre Bedeutung. Im übrigen möchte ich nicht das Kräftefeld, das sich in der Arbeit ergibt, zerstören. In diesem Feld hat der Betrachter eine gewisse Rolle. Er rezipiert das Bild, das ich erzeuge und baut daraus ein eigenes, an dem ich wiederum teilnehme. Es handelt sich hier sozusagen um eine soziale Plastik.
Das klingt nach Beuys. Gibt es Vorbilder, auf die Sie sich beziehen?
Ich habe mich immer dagegen gewehrt, Vorbilder zu benennen. Dennoch habe ich zum Beispiel immer Filme von Fassbinder, Resnais, Herzog oder Buñuel gemocht. Auch Joseph Beuys hat mich sehr beeindruckt, etwa 1976 als ich ihn bei einem Vortrag erlebte. Sein Satz "die Ursache liegt in der Zukunft" hat mir enorme Freiheiten gegeben.
Welche gesellschaftliche Funktion kommt dem Theater heute noch zu?
Wir sollten das Theater zu einem Punkt führen, an dem wir uns treffen, um Schäden wie den Antisemitismus und den Holocaust zu verarbeiten. In anderen Kulturkreisen passiert dies bereits. Das kann allerdings nicht dadurch geschehen, dass wir bloß eine Bühnensituation simulieren. Der Zuschauer muss vielmehr mit in einen rituellen Kreis eintreten. Orte, an denen wir unsere Schäden der Gesellschaft spielerisch ausleben können, gibt es leider nicht mehr. Ich erinnere an Völker wie die Hauka in Ghana oder die Hereros in Namibia, die beispielsweise Schäden der Kolonialzeit abarbeiten. Das geschieht dadurch, dass sie selbst Kostüme der Kolonialherren überstreifen, deren Namen brüllen und rituelle Handlungen vollziehen. Sie arbeiten Schäden ab und erscheinen am nächsten Tag wieder bei der Arbeit und setzten ihr normales Leben fort. Wenn das Theater helfen kann, dass wir uns in ähnlicher Weise reinigen, dann wäre das für mich der ideale Kunst- und Theaterbegriff.
... Sie sprechen von rituellen Orten. Ist das Theater für Sie ein solcher Ort?
Ja. Allerdings passiert in den meisten Theatern kaum etwas - sie sind tote Räume. Wenn man sie ein Jahr schließen würde, so könnte man kaum einen Unterschied bei Ihnen feststellen, denn sie sind im Prinzip vollkommen inhaltsleer. Wenn ein Theater sich nur darauf beruft, dass Mutter Courage, Gründgens oder Herr Bierbichler auf der Bühne gestanden haben, dann ist das zu wenig. Es gibt aber auch Häuser, die können 10 Jahre geschlossen werden und behalten trotzdem ihre Wirkung und Inspirationskraft für die Besucher. Theater muss Freunde machen und die Menschen bereichern.