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Renaissance des Kolonialismus?

Thomas Bärthlein25. April 2003

In der Intellektuellen-Debatte nach dem Irak-Krieg fallen die Tabu. Ein Kommentar von Thomas Bärthlein.

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Nachdem die Invasion der USA und Großbritanniens im Irak schneller und mit weniger Schäden als von vielen befürchtet zum Erfolg geführt hat, liest und hört man auch im kriegskritischen Deutschland weniger skeptische Kommentare in den Medien. So manche Intellektuelle versuchen sich mit der "neuen Weltordnung" zu arrangieren.

In der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zum Beispiel plädiert der Tübinger Ethnologe Thomas Hauschild dafür, "einen nichtkolonialen und nichtrassistischen Kolonialismus zu denken, der den benachteiligten Gebieten der Welt auf die Beine hilft". Die westlichen Intellektuellen hätten sich seit dem Vietnam-Krieg einseitig auf Kritik an den Mächtigen fixiert und könnten keine praktisch verwertbaren Erkenntnisse zur notwendigen Einrichtung von Protektoraten des Westens - wie in Afghanistan und im Irak - beitragen.

"Nein zum Kolonialismus" - lautet eine der häufigsten Parolen bei den Demonstrationen irakischer Schiiten in diesen Tagen. Vielleicht ist das gar nicht so weit hergeholt, wie es auf den ersten Blick scheint.

Klar - die neokonservativen Hardliner in den Vereinigten Staaten planen keine "Kolonie" im eigentlichen Sinne, keine dauerhafte Besetzung des Irak. Sie würden sich lieber heute als morgen neuen Einsatzorten zuwenden.

Doch hinter der Invasion im Irak steht mehr als nur ein wenig Menschenfreundlichkeit, mehr als die Sorge um
Massenvernichtungswaffen - so berechtigt sie ist -, und es geht auch um mehr als nur die eine oder andere Ölquelle.

Die Mischung aus dem oft missionarisch anmutenden Eifer von George W. Bush und Tony Blair und aus der Entschlossenheit, die eigenen geostrategischen Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen, weist wirklich auffällige Parallelen mit der kolonialen Mentalität des 19. Jahrhunderts auf.

Die Befürworter dieses neokolonialen Interventionismus ignorieren dabei die historischen Erfahrungen, die den Kolonialismus auf den Scherbenhaufen der Weltgeschichte befördert haben. Man muss gar nicht auf moralische, demokratietheoretische und völkerrechtliche Einwände zurückgreifen, die in diesen Kriegs- oder Nachkriegstagen
ohnehin nicht viel Konjunktur haben.

Nein, rein pragmatisch betrachtet darf nicht vergessen werden: Der Kolonialismus hat als politisches Ordnungs-Modell versagt. Er löst erstens keine Konflikte, auf ihn ist zweitens kein Verlass, und drittens provoziert er gewaltsamen Widerstand.

Punkt eins - die Bilanz der Kolonialherrschaft bei der Lösung
interner Konflikte der betroffenen Länder ist katastrophal.
Ethnische und religiöse Konflikte werden von Kolonialherren in der Regel entweder geschürt, um die eigene Macht zu sichern, oder aber unterdrückt. In beiden Fällen kommt es spätestens beim Abzug der Besatzer zur Explosion. Wie die Amerikaner dieses Problem im Irak bewältigen wollen, ist bislang ihr Geheimnis. Herrschaft von außen ist kein Ersatz dafür, dass die Menschen in einem Land selber lernen, miteinander auszukommen.

Punkt zwei, Verläßlichkeit: An welchen Krisenherden die selbst ernannten Weltpolizisten selektiv tätig werden, ist unberechenbar und richtet sich in der Regel eben doch nach ihren eigenen Interessen. Frankreich liefert mit seinen regelmäßigen Interventionen in Afrika immer wieder ein trauriges Beispiel. Viel dramatischere Katastrophen - Beispiel Ruanda - werden "übersehen". Die einzige Alternative bleibt eine Stärkung der Vereinten Nationen.

Das gilt auch - Punkt drei - für die Legitimation militärischer
Interventionen. Wenn sich die USA oder "der Westen" anmaßt, nach eigenem Ermessen weltweit zu intervenieren, stellt das die nachkoloniale Weltordnung mit dem Gewalt-Verbot der UN-Charta in Frage, die gerade auf den Erfahrungen und Ressentiments des Kolonialzeitalters begründet ist. Nicht nur in der arabischen Welt, von Dakar bis Dhaka, von Peking bis Pretoria sind kolonialistische
Allüren verhasst und werden auf entschiedene Opposition stoßen.

Auch ein "besserer", "wohlmeinender" Kolonialismus bietet keinen Ausweg aus diesen grundsätzlichen Problemen - Philanthropen hat es schließlich in den meisten Kolonialverwaltungen der Geschichte gegeben. Die Energie, die gerade in eine Wiederbelebung längst überholter Politik-Modelle gesteckt wird, wäre in der Verbesserung bestehender, wenn auch nicht perfekter multilateraler Institutionen besser investiert.