Restauration in Rumänien
6. Mai 2013Andrei Marga war vieles in seinem Leben: vor 1989 Funktionär im kommunistischen Studentenverband Rumäniens und Professor für Philosophie, nach 1989 Rektor einer Universität und danach Bildungs- sowie später Außenminister. Im September 2012 wurde er zum Chef des Rumänischen Kulturinstitutes ICR ernannt, der wichtigsten staatlichen Kultureinrichtung des Landes.
Kaum im Amt, legte der 66-jährige Marga im privaten Bukarester Nachrichtensender Realitatea TV sein Verständnis von rumänischer Kulturpolitik dar. "Wir brauchen wieder ein natürliches Kulturkonzept", sagte er und warb dafür, den rumänischen Ursprung bedeutender Errungenschaften in der Welt bekannt zu machen: "Wie viele Leute wissen schon, dass die Höhlentierkunde in Rumänien begründet wurde, oder dass der Heizkörper eine transylvanische Erfindung ist?"
Zurück zur nationalen Kultur
In vielen rumänischen Medien wird der ICR-Chef seitdem als Handelsvertreter für Heizungstechnik verspottetet. Doch Marga macht unerschrocken weiter: In einem Grundsatzpapier zur ICR-Kulturpolitik spricht er davon, dass die "experimentelle Ausrichtung" des ICR beendet sei. Unter seiner Leitung, so Marga, würden endlich wieder "allgemein anerkannte und allgemeingültige Werke der nationalen Kultur in den Vordergrund gestellt".
Was Marga etwas hölzern formulierte, ist auch die ideologische Leitlinie der Drei-Parteien-Allianz "Sozialliberale Union" (USL), die in Rumänien seit Dezember letzten Jahres mit Zwei-Drittel-Mehrheit regiert: Weg vom "Unrumänischen", zurück zu Nation und Tradition. Innerhalb der USL ist es vor allem die Nationalliberale Partei (PNL), der auch Andrei Marga angehört, die eine nationalistische und aggressive antieuropäische Rhetorik pflegt. Doch auch der Ministerpräsident Victor Ponta, der zugleich Vorsitzender der wendekommunistischen "Sozialdemokratischen Partei" (PSD) ist und sich im Ausland gern als weltoffener Europäer gibt, wettert im Inland oft gegen die "Brüsseler Kolonialpolitik" und ruft seine Landsleute zu mehr "rumänischer Würde" auf.
Wiederentdeckung des kommunistischen Kulturbetriebs
Dabei war in den letzten Jahren gerade das rumänische Kulturinstitut eine Vorzeigeeinrichtung, die Rumänien nach außen hin so "würdig" vertrat wie wenige andere Institutionen des Landes. Der langjährige ICR-Leiter, der Philosoph Horia-Roman Patapievici, betrieb nach Jahrzehnten der Abschottung eine Politik der Öffnung und entkoppelte die Einrichtung vom staatlichen Einfluss.
Im Zuge des politischen Machtkampfes in Rumänien im letzten Jahr unterstellte die Ponta-Regierung das Institut per Dekret der Kontrolle des Parlamentes. Während Patapievici aus Protest dagegen im August 2012 zurücktrat, führten regierungstreue Medien eine monatelange Hetzkampagne gegen ihn und verleumdeten ihn als "Verschwender" und "Betrüger".
Andrei Marga setzte unterdessen viele Ankündigungen seines Grundsatzpapiers um: Altes ICR-Personal wurde ausgetauscht, renommierten Kulturprojekten und Festivals die Finanzierung entzogen. Als förderungswürdig erachtet Marga hingegen Größen des einstigen national-kommunistischen Kulturbetriebs wie den Schriftsteller Dumitru Radu Popescu, unter der Ceauşescu-Diktatur ZK-Mitglied und Chef des Schriftstellerverbandes.
Vergessene Werte
Wegen dieser Politik kam es jüngst zum Eklat: Mehrere bekannte Intellektuelle wie der Schriftsteller Mircea Cărtărescu, der Essayist Andrei Pleşu und der Historiker Neagu Djuvara verweigerten als Zeichen ihres Protestes gegen die ICR-Politik Ende März ihre Teilnahme am Pariser Salon du livre, der größten Buchmesse Frankreichs, deren Schwerpunktland dieses Jahr Rumänien war.
"Die USL-Regierungsmehrheit hat das ICR mit einer Mischung aus Nationalismus, Populismus, Inkompetenz, Klientelismus und Dummheit zerstört", sagt der ehemalige ICR-Leiter Horia-Roman Patapievici heute. "Unter Marga ist das ICR wieder zu der Behörde geworden, die bestimmt, was in der zeitgenössischen rumänischen Kultur national ist und was nicht."
Auch zahlreiche ICR-unabhängige Intellektuelle sehen das ähnlich. Dabei zählt es zu den Absurditäten der aktuellen rumänischen Kulturpolitik, dass sie ausgerechnet ihre auch international anerkannten Werte ignoriert. Beispiel: der rumänische Komponist George Enescu. Sein Porträt ziert den Fünf-Lei-Geldschein, doch seit Jahrzehnten gibt es keine kohärente Edition seiner gesammelten oder auch nur wichtigsten Werke auf CD. Eines der Häuser, in denen der große Komponist wohnte und wirkte - ein Landhaus im nordostrumänischen Dorf Mihăileni - wird derzeit als Lager für Kartoffeln genutzt. Die in Wien lebende rumänische Pianistin Raluca Ştirbăţ hat eine Initiative zur Rettung des Hauses gestartet. "Wenn nicht schnell etwas geschieht, kann es nicht mehr gerettet werden", sagt sie. "Es gibt ein Versprechen vom Kulturministerium, dass es zum Denkmal erklärt wird. Doch es gibt im Fall Enescu noch viele andere ernste Probleme, und sie sind seit Jahrzehnten ungelöst."
Institutionalisierte Ignoranz
Ob fehlende kritische Editionen literarischer Klassiker Rumäniens, eine Bestandsaufnahme des Werkes des Bildhauers Constantin Brâncuşi oder der Verfall denkmalgeschützter Kirchenburgen in Siebenbürgen - der Publizist Sorin Şerb könnte Dutzende Fälle vernachlässigter kultureller Werte in Rumänien aufzählen. Die Gründe dafür seien vielfältig, sagt Şerb. "Neben einer seit langem spürbaren exzessiven Politisierung der Kulturpolitik sind in den letzten Jahren auch Tausende von Intellektuellen aus Rumänien weggegangen", erzählt Şerb. "Sie wurden von der Wirtschaftskrise vertrieben, aber auch von der institutionalisierten Ignoranz."
Der umtriebige Andrei Marga hat sich unterdessen in ganz spezieller Weise um die rumänische Kultur verdient gemacht, wie im Dezember vergangenen Jahres herauskam: nämlich als Informant der Geheimpolizei Securitate. Unter anderem schrieb er Berichte über die renommierte US-amerikanische Anthropologin Katherine Verdery. Sie ist eine profunde Kennerin der Kulturpolitik unter der Ceauşescu-Diktatur und forschte in den 1970er und 1980er Jahren über den Protochronismus. Das war damals eine offiziöse nationalistische Ideologie, derzufolge die Rumänen in vielen geistes- und naturwissenschaftlichen Bereichen ihrer Zeit immer weit voraus waren. Bei Studienaufenthalten in Rumänien traf Katherine Verdery in den 1980er Jahren mehrmals mit Andrei Marga zusammen. Der damalige Philosophie-Professor protokollierte die Gespräche mit ihr für die Securitate - jedes Mal minutiös.