Handys gegen die Armut
20. September 2013Ständig klingelt irgendwo in Afrika ein Handy - kein Wunder: 545 Millionen Menschen auf dem Kontinent haben inzwischen eines. Damit hat sich die Zahl der Nutzer nach Angaben der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) seit 2005 mehr als versechsfacht. "Das Handy hat unser Leben in vielen Bereichen sehr verbessert, zum Beispiel im Handel, in der Bildung. Und es hat die Beziehungen zu anderen Menschen vereinfacht", schreibt DW-Hörer Ahmed Maigari Kumo aus Nigeria auf Facebook. "Ich kann meine Kunden jederzeit erreichen und meine Geschäfte gut führen", postet Dimitri Forever aus Benin.
Handys sind Entwicklungsmotoren, sie treiben die Wirtschaft an, und helfen damit auch im Kampf gegen die Armut - das wird immer wieder behauptet. Verlässliche Studien, die den Zusammenhang zwischen Handynutzung und Armut untersuchen, gibt es allerdings nur wenige. Die Weltbank etwa hat herausgefunden: Jedes weitere Handy pro 100 Menschen in einem Entwicklungsland sorgt für ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent-Punkten. "Wir sehen einen deutlichen Zusammenhang zwischen Handynutzung und steigendem Haushaltseinkommen in Afrika", sagt Weltbank-Analystin Samia Melhem. "Die Leute telefonieren ja nicht nur mit ihrer Familie, das Handy ermöglicht ihnen auch, mehr Geschäfte zu machen." In einigen Haushalten sei das monatliche Einkommen durch das Handy um zehn bis 30 Prozent gestiegen, so Melhem.
Mobiles Wirtschaftswunder
Gerade dort, wo die Infrastruktur am schlechtesten ist, eröffnen Handys völlig neue Möglichkeiten. Das gilt zum Beispiel für die Landwirtschaft. Die meisten Afrikaner sind Bauern - durch die Handys seien sie wettbewerbsfähiger geworden, erklärt Innocent Mungi von der tansanischen Regulierungsbehörde für Kommunikation TCRA. "Die Bauern mussten früher meilenweit bis zum nächsten Markt reisen, um ihre Produkte zu verkaufen. Jetzt können sie über ihr Handy Preise mit den Kunden verhandeln und die Kunden können direkt zu den Bauern kommen", sagt Mungi. Die Bauern würden so mehr Geld verdienen als früher. Landwirte und Fischer können per Handy Marktpreise und Wetterdaten abfragen und so ihre Geschäfte profitabler organisieren. Auch Händler sind unterwegs erreichbar und können schneller disponieren.
Handys ersetzen Bankkonten
Die Mehrheit der Afrikaner hat kein Bankkonto. Übers Handy können sie trotzdem preiswert Geld überweisen und sogar kleine Kredite aufnehmen. "Dank des mobilen Bankings müssen die Leute nicht mehr so weit reisen oder zur Bank gehen - sie holen einfach bei einem Shop auf der Straße Geld oder überweisen von ihrem mobilen Bankkonto. Das hat die Armut erheblich verringert", so Telekommunikations-Experte Mungi aus Tansania. Zu den erfolgreichsten "Mobile Banking"-Projekten gehört derzeit M-Pesa, ein System des kenianischen Unternehmens Safaricom. 2007 in Kenia gestartet, nutzen mittlerweile Millionen Menschen in Ostafrika M-Pesa. Nachahmer gibt es in Südafrika und Uganda.
Und so funktioniert es: Der Kunde lässt sich bei M-Pesa registrieren, bekommt eine Nummer und ein Passwort und damit ein mobiles Konto. Von zu Hause oder unterwegs kann er mit dem Handy Geld überweisen. Landesweit organisieren Agenten mit ihren Shops die Ein- und Auszahlung der Summen. Inzwischen lassen sich auch Strom- und Wasserrechnungen per Handy bezahlen. Selbst der Einkauf in manchen Supermärkten, Eintrittskarten, Flugtickets, Schulgebühren und sogar Löhne werden bereits per Handy überwiesen.
Mobiltelefone helfen auch im Gesundheits- und Bildungssektor: Sie vernetzen Ärzte in abgelegenen Regionen mit städtischen Krankenhäusern und ermöglichen Patienten Diagnosen oder Hinweise zu Medikationen.
Wachstum für alle?
Nicht zuletzt ist der Zugang zu Informationen viel einfacher geworden - auch Lernstoff lässt sich mobil austauschen und abrufen. Gerade da besteht in Afrika aber noch Aufholbedarf: Denn wie können Informationen verstanden und richtig angewendet werden, wenn nach wie vor ein Fünftel der Bevölkerung nicht lesen und schreiben kann?
Handys bieten Zugang: zu Informationen, Menschen, Märkten. Sie sorgen für wirtschaftliches Wachstum, aber ist das am Ende auch gleich verteilt? "Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage", sagt Samia Melhem von der Weltbank. Eine klare Antwort habe sie nicht. "Wir sehen Mobiltelefone als Instrumente, die einen demokratischeren Zugang zu Informationen und Sozialleistungen ermöglichen und einen besser verteilten Wohlstand. Wir sehen sie als Werkzeuge, um Ungerechtigkeit zu reduzieren."
Einige Afrikaner sind da kritischer. "Mein Leben hat es nicht verändert, im Gegenteil: Die Armut hat zugenommen", postet Silvester Gunda aus Tansania auf der DW-Facebook-Seite. "Die Leute kaufen sich ein Telefon, obwohl sie von weniger als einem Dollar am Tag leben müssen. Dann kaufen sie auch noch Guthaben - dabei haben sie noch nicht einmal etwas gegessen."