Revolutionär und Dichter
17. Oktober 2013Mit dem Geniebegriff soll man ja vorsichtig sein. Doch die Fachwelt ist sich einig: Den Dichter Georg Büchner, im Jahre 1813 zur Welt gekommen, darf man getrost zu den Genies der deutschen Geistesgeschichte zählen. Und so ist es kein Wunder, dass aus Anlass des runden Geburtstags landauf und landab in Deutschland an Büchner erinnert wird. Und das schon lange vor dem eigentlichen Stichtag am 17. Oktober 2013.
Unterschiedliche Deutungen
Doch wie wird man ein Genie? So ganz einfach ist der "Fall Georg Büchner" dann doch nicht. Zumindest fallen die Argumente derjenigen, die Büchner zu den Großen der deutschen Literaturgeschichte zählen, höchst unterschiedlich aus. Die Literaturwissenschaftler fechten gar einen erbitterten Streit über die Deutungshoheit aus. Büchner ist für die einen vor allem ein Sozialrevolutionär, der auch zur Feder gegriffen hat. Für die anderen eher ein später Romantiker, der sich mit ganz jungen Jahren politisch engagiert hat, dann aber zum Grübler wurde, der herausfinden wollte, was die Welt zusammenhält.
Drei Theaterstücke, eine Novelle, eine politische Streitschrift, dazu ein paar Briefe und eine Handvoll wissenschaftliche Texte - das ist die Ausbeute seines kurzen Lebens. Büchner, unweit der hessischen Stadt Darmstadt geboren, wurde schon mit 19 Jahren zum Studenten der Medizin, konzentrierte sich dann auf Naturwissenschaften und legte seine Doktorarbeit mit einer Untersuchung über die Nervenstruktur von Fischen ab. Mit 23 wurde er Privatdozent in Zürich, kurze Zeit später starb er in der Schweiz elendig an Typhus.
Vom Revolutionär zum Denker
"Wie konnte ein so junger Mann in so kurzer Zeit, unter solchen Umständen, ein Werk von so ungeheurer weltweiter Ausstrahlung schaffen?", fragt Hermann Kurzke, der zum Jubiläumsjahr mit einer voluminösen Biografie auf den Markt gekommen ist. Kurzke deutet Büchner vor allem als Denker und Dichter - und setzt sich damit in scharfen Gegensatz zu so manch früherem Büchner-Experten. Vor allem in der sozialistischen DDR, aber auch in der westdeutschen Bundesrepublik der 1970er und 80er Jahre, war Büchner in erster Linie als sozial engagierter, schreibender Revolutionär bekannt.
Das hatte seinen Grund: "Der hessische Landbote" hieß Büchners schriftlicher Beitrag zur revolutionären Bewegung im Deutschland der 1830er Jahre. Von einer deutschen Nation, wie man sie heute kennt, konnte damals noch keine Rede sein. Herzogtümer und Kleinstaaten machten das Land zu einem politischen Flickenteppich. In seiner Streitschrift wandte sich Büchner gegen soziale Ungerechtigkeiten und Unterdrückung im damaligen Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Mit seinen Mitstreitern strebte der junge Büchner nichts anderes an als den Sturz der Landesfürsten. Das ging gründlich schief. Es gab Verhaftungen, Urteile gegen die Aufrührer, Gefängnisstrafen. Büchner setzte sich ab, flüchtete nach Straßburg, wo er kurz zuvor ein Medizinstudium begonnen hatte.
Auch die Franzosen spielen gerne Büchner
Fortan widmete er sich neben seiner wissenschaftlichen Laufbahn dem Schreiben. In "Dantons Tod" verarbeitete er französisches Revolutionsgeschehen und eigene Erfahrungen. "Dantons Tod" sei immer noch das "einzige Stück von Bedeutung über die französische Revolution", sagt Ralf Beil, der die zentrale Büchner-Ausstellung zum Jubiläumsjahr in Darmstadt vorbereitet (ab 13.10.2013). Nicht zufällig spielten selbst die französischen Bühnen Büchners Stück, sagt Beil.
Doch schon mit seinem nächsten Werk, dem romantischen Lustspiel "Leonce und Lena", verließ Büchner die revolutionären Pfade und zeigte Menschen auf der Bühne des Lebens aus Fleisch und Blut in all ihren Facetten. Für Hermann Kurzke kein Widerspruch: "Büchner gehört auf jeden Fall in eine Befreiungsgeschichte der Menschheit hinein, auch wenn vieles darin melancholisch ist und er das Scheitern einer Revolution in seiner Zeit beschreibt."
Ein psychologischer Schriftsteller
Schließlich verwies Büchners drittes Bühnenwerk "Woyzeck" noch einmal auf soziale Härten und Ungerechtigkeiten auf der Welt. Für viele Büchner-Interpreten, die sein Werk rein ideologisch verstehen wollten, ein gefundenes Fressen: Hier war einer, der über Revolution und den Gegensatz von Arm um Reich schrieb. Büchner wurde zum Vorläufer sozialistischer Ideologien. Doch das greift zu kurz, meint Kurzke und verweist auf Büchners fünften großen Text, die Novelle "Lenz", die einen Dichter in den Mittelpunkt stellt, der von Dämonen besessen ist. Eine komplexe Studie menschlicher Psyche. "Er spürte das Potential des Wahnsinns in sich selbst und hat sich von diesem Potential befreit, indem er einen Dichter beschreibt, der wahnsinnig wird", so Kurzke. Auch mit dem Glauben und dem Christentum habe sich der Dichter Georg Büchner vielfach beschäftigt.
Ralf Beil will in der Jubiläumssausstellung im Oktober all das zusammenführen, den dichtenden Revolutionär und den sensiblen Menschenkenner Büchner: "Für mich ist Georg Büchner nicht nur Literatur- und Kulturgeschichte ersten Ranges, sondern Weltwissen." "Was ist es, was in uns lügt, mordet, hurt und stiehlt", habe Büchner gefragt. Das seien Fragen, die heute überall in der Welt gestellt würden, ob in Indien, Amerika oder Europa, meint Beil.
Blick in die Zukunft
Büchner ist von höchster Aktualität, darin sind sich die Forscher einig. "Auf gewisse Weise ist er auch ein Vorläufer des Landes, das wir jetzt haben", sagt Hermann Kurzke. Vieles von dem, was Georg Büchner damals wollte, sei Wirklichkeit geworden. Büchner habe Fragen artikuliert, die für viele Völker auf der Erde aktuell sind und bleiben. Und so ist man sich zumindest in einem Punkt einig: Büchner war ein genialer Dichter mit vielen Facetten.
Zum Weiterlesen: Hermann Kurzke: Georg Büchner - Geschichte eines Genies, 592 Seiten, Beck Verlag 2013, ISBN 978 3 406644931.