Richard Wagners "Ringe"
27. März 2013Zum 200. Geburtsjahr Richard Wagners haben Bühnen im deutschsprachigen Raum ihren Vorrat an Wagner-Produktionen gründlich überholt und massiv aufgestockt. In der laufenden Saison zählt man von Zwickau bis Köln und von München bis Kiel ganze 38 Wagner-Premieren. Spitzenreiter bei diesen Neuinszenierungen ist Wagners letzte Oper "Parsifal". Mit "Die Feen" und "Das Liebesverbot" entdeckt man jedoch auch die frühen Werke des Meisters. Dabei bleibt die Tetralogie "Die Ring des Nibelungen", mit 16 Stunden Musik auf vier Abende verteilt, der Mittelpunkt von Wagners Universum.
Ein Erlebnis der besonderen Art
"Denke Dir die wunderbar unheilvolle Liebe Siegmund's und Siegelind's, Wodan in seinem tief geheimnisvollen Verhältnisse zu dieser Liebe, dann in seiner Entzweiung mit Fricka, in seiner wüthenden Selbstbezwingung, als er - der Sitte zu lieb - Siegmunds Tod verhängt; endlich die herrliche Walküre, Brünnhilde, wie sie – Wodan's innersten Gedanken errathend - dem Gotte trotzt, und von ihm bestraft wird...". So schwärmte der Komponist in einem Brief an seinen Freund Franz Liszt. Für das Publikum bleibt "Der Ring des Nibelungen" ein Erlebnis besonderer Art, für ein Theater eine enorme logistische wie finanzielle Anstrengung.
Die Spitzenreiter: München und Wien
Noch lange vor dem Wagner-Jubiläumsjahr lieferten sich die Intendanten der großen Opernhäuser einen erbitterten Kampf um die besten Wagner-Sänger, von denen es gar nicht so viele gibt. Nun kann man in München oder Wien die hervorragende Sopranistin Nina Stemme als Brünnhilde oder den Heldentenor Stephen Gould als Siegfried erleben. Beide rechtzeitig geschmiedete "Ringe" (in Szene gesetzt von Sven-Eric Bechtolf in Wien und von Andreas Kriegenburg in München) zählten zu den meist beachteten Neuproduktionen im Vorfeld des Wagner-Jahres. Dabei sorgen die Dirigenten Franz Welser-Möst und Kent Nagano für eine solide musikalische Deutung inklusive Katharsiserlebnis im Finale von "Götterdämmerung".
Berlin: die Stadt mit zwei "Ringen"
In der Hauptstadt herrscht eine einmalige Situation: Beide großen Opernhäuser halten den "Ring"-Zyklus im Wagner-Jahr für unentbehrlich. Auch wenn die Inszenierung von Guy Cassirer an der Staatsoper von der Presse verrissen wurde, hat die Produktion mit Daniel Barenboim einen der führenden Wagner-Dirigenten unserer Zeit.
Eine richtige Sensation verspricht die Wiederaufnahme der legendären "Ring"-Inszenierung des 2000 verstorbenen Regisseurs Götz Friedrich an der Deutschen Oper vom 21.-29. September. Die Szenenbilder des mittlerweile fast drei Jahrzehnte alten Klassikers, der für Generationen von Wagner-Regisseuren Maßstäbe setzte, haben nichts an ihrer Ausdruckskraft eingebüßt. Kein Geringerer als der Dirigent Sir Simon Rattle setzt mit diesem Heimspiel seiner viele Jahre dauernden Wagner-Reise eine Krone auf.
Dafür wird Ingo Metzmacher, ein weiterer großer Maestro, zum ersten Mal den kompletten "Ring" an der Oper Genf dirigieren. Einen Vorgeschmack hatte man Anfang März mit "Das Rheingold" (Inszenierung: Dieter Dorn). "Wagners Seele singt wieder" titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Im November 2013 und Januar 2014 folgt die Fortsetzung mit "Die Walküre" und "Siegfried". Geschlossen und als Zyklus zu erleben wird der "Ring" im Mai 2014.
Von wegen Provinz
Im Wagner-Jahr entstehen interessante Produktionen nicht nur auf den großen Bühnen. Den neuen "Ring" in Mannheim hebt der Regieveteran Achim Freyer gemeinsam mit dem jungen israelischen Dirigenten Dan Ettinger aus der Taufe. Ettinger, ein ehemaliger Assistent von Daniel Barenboim, ist seit 2009 Generalmusikdirektor am Nationaltheater Mannheim. Für seinen "Ring"-Dirigat in Tokyo erntete er bereits viel Lob.
Eine beachtliche Leistung ist auch das Projekt "RING Halle Ludwigshafen", eine Koproduktion des Theaters im Pfalzbau Ludwigshafen, der Oper Halle und der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Seit November 2010 wurde Wagners Operntetralogie auf den Bühnen in Ludwigshafen und Halle erarbeitet, und im März und April 2013 ist der gesamte Zyklus innerhalb einer Woche beiden Städten zu erleben. Die Regie führt Hansgünther Heyme, und die musikalische Leitung hat Karl-Heinz Steffens, ehemaliger Solo-Klarinettist der Berliner Philharmoniker und Generalmusikdirektor in Halle.
Nach 58 Jahren "Ring"-Abstinenz hat auch das Anhaltische Theater Dessau, einst als "Bayreuth des Nordens" bekannt, sich dem Zyklus wieder vorgenommen. Im Wagner-Jahr werden allerdings nur die letzten zwei Teile der Tetralogie ("Siegfried" und "Götterdämmerung") aufgeführt. Der Grund ist originell: Man zieht den "Ring" von hinten auf. Damit folgt der Generalintendant André Bücker der ursprünglichen Idee: Wagner hatte zunächst den Schluss der Erzählung in Form einer Dichtung mit dem Titel "Siegfrieds Tod" verfasst. Erst im Laufe der Jahre erweiterte er dann das Werk um die Vorgeschichte und kam somit auf den Vieropernzyklus.
Auch der "Cottbuser Ring" wird 2013 komplett sein. Um den Zyklus zu stemmen hat das Theater zehn Jahre gebraucht: 2003 brachte Martin Schüler, Intendant des Staatstheaters Cottbus, "Das Rheingold" auf die Bühne, 2008 und 2010 folgten "Die Walküre" und "Siegfried". Mit "Götterdämmerung" (Premiere am 30. März) ist der Zyklus nun komplett: eine große Leistung der kleinen Oper.
Also: es muss nicht Bayreuth sein.