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Literatur

10 Buchtipps für den Sommer

Sabine Peschel | Jochen Kürten
29. Juli 2019

Es ist Sommer und oft sehr heiß: die ideale Zeit, um nichts zu tun. Damit Ihnen dabei nicht langweilig wird, sind hier unsere Empfehlungen für neue literarische Blicke auf die Welt.

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Symbolbild Sommer-Bücher
Bild: Getty Images/AFP/F. Florin

Ulrich Woelk: Der Sommer meiner Mutter

"Fly me to the moon, let me play among the stars…" Der versierte Erzähler Ulrich Woelk gibt mit der Liedstrophe, die er seinem Roman voranstellt, schon das große Thema der späten 60er Jahre vor: den Aufbruch. Ins Weltall, politisch und sexuell. Die Amerikaner umrunden mit Apollo 9 und 10 den Mond. Vater und Sohn in einer Kölner Vorstadt verfolgen fasziniert die Erkundung des Erdtrabanten. Moderne Ingenieurs-Technik ist Trumpf in diesem wohlgeordneten Vater-Mutter-Kind Universum.

Das ändert sich, als in den Altbau nebenan neue Nachbarn einziehen. Die flotte Ehefrau trägt Jeans: Hosen, die doch eigentlich Jugendlichen vorbehalten sind, eben weil die Eltern sie nicht tragen. Uschi und ihr Mann, der Universitätsdozent, versprühen einen links-intellektuellen, freiheitlichen Geist, und ihre 13-jährige Tochter Rosa – angeblich so genannt nach Rosa Luxemburg – wettert gegen die USA und den Vietnamkrieg. Die Doors und Janis Joplin liefern den Soundtrack dazu.

Dass dieser Sommer 1969 für die Mutter nicht gut enden wird, verrät bereits der erste Satz des Buchs. Es ist die Perspektive von Tobias, dem damals elfjährigen Sohn des konservativen Haushalts, aus der wir vom sexuellen Aufbruch seiner Mutter und der eigenen Initiation erfahren. Die Mondlandung von Apollo 11 jedenfalls verpassen beide.

Ulrich Woelk war in seinem ersten Leben Astrophysiker. Als Autor gelingt es ihm wunderbar leicht, die Romangeschehnisse mit der Mondlandung zu verknüpfen – und den Geist jener Zeit zwischen konservativer Verklemmtheit, Technikglauben und kultureller Revolution zu beschwören.

Ulrich Woelk, Der Sommer meiner Mutter, Roman, Verlag C.H. Beck, Januar 2019, 189 Seiten

Mustafa Khalifa: Das Schneckenhaus

Zugegeben, diese Empfehlung ist keine leichte Sommerlektüre. "Das Schneckenhaus" ist ein Bericht aus der Hölle, getarnt als Tagebuch-Roman. Man ist deshalb leicht versucht, das Buch des syrischen Autors unter falschen Annahmen zu lesen: als eine autobiografische, dokumentarische Schilderung, der sich Geschehnisse aus dem gegenwärtigen Syrien zuordnen lassen. Doch Khalifas Roman erschien schon 2007 auf Französisch, auf Arabisch ein Jahr später, Jahre vor Beginn der Aufstände gegen das Regime. Trotzdem gilt laut seiner deutschen Übersetzerin Larissa Bender das Buch als "Evangelium der syrischen Revolution".  

Mustafa Khalifa
Der Jurist und Autor Mustafa Khalifa lebt in ParisBild: A. Abdelwaha

Es ist kafkaesk, was dem jungen syrischen Absolventen der Pariser Filmhochschule Anfang der 80er Jahre bei seiner Rückkehr in sein Geburtsland widerfährt: Noch am Flughafen wird er festgenommen und in ein Gefängnis des Geheimdienstes gebracht, wo er sofort gefoltert wird. Man unterstellt ihm, ein Muslimbruder zu sein, dabei ist er als Christ getauft und noch dazu Atheist. Das ist der Auftakt zu 13 Jahren Haft, die meisten davon im schlimmsten aller syrischen Gefängnisse, dem Wüstengefängnis Tadmor bei der Oasenstadt Palmyra. Dort gerät der Gefangene zwischen die Fronten der inhaftierten Muslimbrüder, die ihn als Ungläubigen töten wollen, und den Wärtern, die ihn schlagen und foltern.

Unter unmenschlichen Bedingungen überlebt der Gefangene. Vielleicht ist es sein Schweigen, das ihn rettet, vielleicht sein heimliches Beobachten, und sicherlich das Gedanken-Tagebuch, das er im Kopf führt. Es aufzuschreiben, hilft ihm nach seiner Freilassung, sich dem Leben wieder anzunähern. 

Der Jurist und Autor Mustafa Khalifa war zwölf Jahre lang, von 1982-1994 in Syrien inhaftiert, auch jahrelang in Tadmor. Sein Tagebuch-Erzähler berichtet so realistisch und völlig ideologiefrei, in einer präzisen, manchmal fast poetischen Sprache vom Grauen, dass man schmerzvoll mitfühlt. Ein Roman, der auch heute noch erklärt, wie Gewalt in Syrien ausgeübt wird. Ein Buch, das man nie vergessen wird.

Mustafa Khalifa: Das Schneckenhaus. Tagebuch eines Voyeurs, Roman, Nachwort und Übersetzung aus dem Arabischen von Larissa Bender, Weidle Verlag, März 2019, 311 Seiten

Refugees Worldwide 2, Literarische Reportagen

Vorgestellt wurden diese Reportagen auf Deutsch erstmals im September 2018 beim Internationalen Literaturfestival Berlin. Inzwischen liegen sie in Buchform vor, das Ergebnis eines globalen Projektes. Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus aller Herren Länder schreiben über ihre Erfahrungen im Umgang mit Geflüchteten. 

Es sind bekannte Autorinnen wie die Iranerin Fariba Vafi oder die Kanadierin Karen Connelly, die in insgesamt 16 Reportagen die Geschichten von Geflüchteten erzählen. Flucht ist ein globales Phänomen, und Heimatverlust, Exil, Fremdheit und Ausbeutung sind oftmals die Folge. Was die Menschen in die Flucht getrieben hat, darüber sprechen viele nicht gern. Hier erhalten sie eine Stimme.

Mehrere Reportagen berichten vom grausamen Schicksal der Rohingya, der laut UN am meisten verfolgten Minderheit der Welt. Wenn die 22-jährige Mumtaz Begum vor ihrer mit Pailletten besetzten Baracke erzählt, wie und weshalb sie nach Indien kam und unter welch schwierigen Bedingungen sie dort überlebt, dann wird aus einer Statistik ein Mensch, der unsere abgestumpften Gefühle erweckt.

Ungeheuerliches erlebt haben viele der Menschen, von denen hier erzählt wird, manchmal auch Witziges und, zum Beispiel wenn Kinder nach 23 Monaten ihren Vater wiedersehen, auch Schönes. Besonders macht den Band, dass die Autoren auch immer den Blick auf ihre eigene Perspektive lenken und gleichzeitig unser Verhalten mitreflektieren. Denn wir sind beteiligt, ungewollt oder nicht.

Ulrich Schreiber und Eva Philippi (Hg.): Refugees Worldwide 2, Literarische Reportagen, Verlag Klaus Wagenbach, April 2019, 255 Seiten

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Susanne Koelbl: Zwölf Wochen in Riad

Es ist noch nicht lange her, dass sich mit Saudi-Arabiens jungem Machthaber Mohammed bin Salman vorsichtige Hoffnungen verknüpften: auf mehr Freiheiten für Frauen, Geld für Infrastrukturprojekte, weitsichtige Vorausplanung für die Zeit nach dem Öl, außenpolitisch auf mehr Kompromissbereitschaft, eine stärker lösungsorientierte Rolle des wahabitischen Herrscherhauses im Weltgeschehen – zum Beispiel im Jemen. 

Doch wie glaubhaft ist der Kronprinz tatsächlich in seinen Modernisierungsbestrebungen? Die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi hat bewiesen, dass das Königshaus auch weiterhin mit grausamster Härte gegen Andersdenkende vorgeht. Kann die Welt trotzdem noch auf Reformen hoffen?

Susanne Koelbl ist es gelungen, mehr als einen Blick hinter die Kulissen des verschlossenen Landes zu werfen. Die Auslandsreporterin des Nachrichtenmagazins Spiegel, die seit vielen Jahren aus Zentralasien und dem Nahen Osten berichtet, konnte sich drei Monate lang in Saudi-Arabien aufhalten und frei im Land bewegen. Sie mietete sich eine Wohnung, aktivierte alte Kontakte, fand neue Freunde und vor allem Freundinnen, traf königliche Hoheiten und im Land lebende Ausländer. Ihr faszinierendes Länderporträt lebt von den persönlichen Eindrücken, aber es beruht auch auf Recherche und ihrer Expertise. Es zeigt ein Land, dessen Transformationsprozess für den Rest der Welt von größter Bedeutung ist.

Susanne Koelbl: Zwölf Wochen in Riad. Saudi-Arabien zwischen Diktatur und Aufbruch, DVA / Random House, Mai 2019, 320 Seiten

Friedrich Ani: All die unbewohnten Zimmer

Die Romane von Deutschlands erfolgreichstem Krimi-Autor sind nie nur Geschichten von Verbrechen und ihrer Aufklärung, sondern immer auch Gesellschaftsromane. Diesmal führt Friedrich Ani seine Leser wieder nach München, wo sie nicht nur dem bekannten Ermittler Tabor Süden, sondern gleich noch drei weiteren sonderbaren Helden aus seinem Krimi-Universum begegnen. Da ist Fariza Nasri, die füllige, ältere Polizistin, die endlich aus der Provinz in die bayerische Hauptstadt zurückversetzt wurde, zur Hälfte syrischer Abstammung wie ihr Autor Ani. Sie unterstützt Hauptkommissar Polonius Fischer, den ehemaligen Mönch, und Jakob Franck, der als pensionierter Leiter der Mordkommission Gespenster sieht. Frisch sind diese Spürnasen alle nicht mehr.

Seine aktuelle Brisanz erhält der 500-Seiten Roman durch die Geschichte um einen Polizistenmord und zwei syrische Flüchtlingskinder, die beim Stehlen von ein paar Äpfeln erwischt werden. Ani erzählt langsam, komplex, und koppelt dabei unaufdringlich die Handlung mit aktuellen Themen wie der Flüchtlingspolitik. Sein Buch ist kein vor Spannung funkelnder Kriminialroman, sondern ein mit einer Krimihandlung unterlegtes Zeitporträt. Gerade das macht es so lesenswert. 

Friedrich Ani: All die unbewohnten Zimmer, Kriminalroman, Suhrkamp Verlag, Juni 2019, 494 Seiten

Lukas Hartmann: Der Sänger

Mit dem nüchtern klingenden Titel "Der Sänger" hat der Schweizer Schriftsteller, der im August 75 Jahre alt wird, seinen neuen Roman versehen. Doch der Roman geht dem Leser gehörig unter die Haut. Es ist eine wahre Geschichte, die der Erzählung zugrunde liegt: Joseph Schmidt (1904-1942) war einst ein berühmter Sänger in Deutschland, zu Tode gekommen ist er in Folge nationalsozialistischer Hetze.

Hartmanns Buch verfolgt die letzten Monate im Leben des Österreichers Joseph Schmidt, der 1942 in einem Internierungslager in der Schweiz an Herzversagen starb. Es war ein Tod mit Ansage. Der in der Bukowina geborene Schmidt, der Ende der 1920er Jahre in Deutschland zum Startenor aufstieg und seinen Ruhm auf zahlreichen Bühnen im In- und Ausland bis zum Machtantritt der Nazis mehrte und der auch vor den Filmkameras Erfolge feierte ("Ein Lied geht um die Welt"), starb, weil ihn die braunen Machthaber aufgrund seiner jüdischen Herkunft durch halb Europa hetzten. Schmidt starb aber auch, weil ihm in der "neutralen" Schweiz nicht geholfen wurde. Lukas Hartmann legt seinen Schweizer Landsleuten einen ergreifenden wie bitterbösen Roman zum runden Geburtstag vor: "Der Sänger" ist das Porträt eines leidenden Mannes - und eine herzzerreißende literarische Anklageschrift.

Lukas Hartmann: Der Sänger, Diogenes Verlag, April 2019, 288 Seiten

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Jan Christophersen: Ein anständiger Mensch

Wahlverwandtschaften auf der Insel: "Ein anständiger Mensch" des 1974 geborenen Jan Christophersen variiert den berühmten Roman Goethes und "überträgt" ihn in die Gegenwart. Christophersens Hauptprotagonist Steen Fries ist ein anerkannter Autor und Spezialist in Sachen Anstand. Seine Bücher sollen dem Leser Orientierung verschaffen und in einer ungeordneten und immer weniger überschaubaren Welt zu moralischem Halt verhelfen. Mit seiner Frau Frauke hält sich Steen gern auf "seiner" Insel auf, einem fast menschenleeren Rückzugsort in der Ostsee. Fürs Wochenende erwarten die beiden Ute und Gero zu Besuch; Ute ist Steens Lektorin im Verlag, Gero deren neuer Partner.

Die Vier streifen durchs Gelände, tauschen sich aus, kochen gemeinsam. Dann erinnert Frauke ihren Mann an ein früheres Versprechen: dass irgendwann auch eine freizügige Beziehung möglich sein müsse. Doch ein Versprechen ist das eine, das richtige Leben etwas anderes. Die jahrelang gut austarierte Ehe gerät ins Wanken. Und dann ist doch noch die Sache mit den Pilzen. Ein selbstgekochtes Menü entwickelt sich zur Katastrophe.

Jan Christophersen hat einen süffisanten und leicht lesbaren Sommer-Roman über die Nöte und Sorgen der intellektuellen Mittelschicht geschrieben. Der Anstand, der gepredigt wird, bleibt leeres Versprechen: Was Steen in seinen Büchern ausbreitet, ist die hohe Kunst des anständigen Lebens. Doch lässt sich das auch leben, wenn die Welt ins Wanken gerät? Der Roman bekommt im letzten Viertel noch einmal eine bittere Note, die "Ein anständiger Mensch" an ein überraschendes Ende führt.

Jan Christophersen: Ein anständiger Mensch, Mare Verlag, Juli 2019, 349 Seiten

Patrick Deville: Taba-Taba

Vor Überraschungen birst der neue Roman des französischen Autors Patrick Deville, der hierzulande wohl immer noch ein literarischer Geheimtipp ist. Wie schon in seinen fünf vorherigen Romanen bietet Deville dem Leser eine schier nicht enden wollende Erzählkette aus historischen und erfundenen Figuren, aus Orten und Landschaften, Handlungen und Ereignissen. Diesmal jedoch bleibt Deville in seiner Heimat. Spielten seine anderen Bücher in Asien, Lateinamerika und Afrika, so siedelt der 60-jährige Franzose "Taba-Taba" zunächst einmal an seinem Geburtsort an der nordfranzösischen Atlantikküste an. Dort, in einer Anstalt für geistig Behinderte, wurde Deville als Sohn des Anstaltsleiters geboren.

Patrick Deville
Patrick DevilleBild: picture-alliance/dpa/A.Dalmau

Doch was heißt bei diesem Autor schon Heimat? Zwei Jahre hat Deville vor allem die französische Provinz bereist, das ist die Grundlage zum neuen Roman. Vom Hier und Jetzt aber bricht der Autor auf ins 19. Jahrhundert, springt in die Gegenwart, umschifft souverän Zeiten und Räume wie ein literarischer Zauberkünstler. "Taba-Taba" ist ein Buch über Frankreich und französische Geschichte, über Kolonialismus und dessen fatale Folgen. Detailversessen nimmt der Autor den Leser mit auf eine Reise in die globalisierte Welt. Und wofür steht nun der Titel? In den ersten Jahren, als der kleine Patrick sich mit einem der Anstaltsinsassen anfreundete, hörte er immer wieder diese magisch klingende Formel: Taba-Taba. Wofür sie steht, das muss der Leser selbst herausfinden.

Patrick Deville: Taba-Taba, aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller, Bilger Verlag, Februar 2019, 488 Seiten


Robertson Davies: Der Fünfte im Spiel

Es ist immer wieder verblüffend, welch schöne literarische Überraschungen der deutsche Buchmarkt in Sachen Wiederentdeckung zu bieten hat. Zwei Beispiele aus diesen Wochen: Der Kanadier Robertson Davies (1913-1995) gilt in seiner Heimat als Klassiker, seine Romane sind in Kanada Schullektüre. Hierzulande ist Davies weniger bekannt, ein paar ältere Bücher sind noch antiquarisch zu haben. Der Schweizer Dörlemann-Verlag, der sich auf die Wiederentdeckung (fast) vergessener Werke der Welt-Literatur spezialisiert hat, zaubert jedes Jahr zwei, drei dieser literarischen Perlen ans Tageslicht.

"Der Fünfte im Spiel", 1970 im Original erschienen, erzählt von drei Freunden, die durch ein lange zurückliegendes magisches Ereignis miteinander verbunden sind. Der Ich-Erzähler Dunstan Ramsay steht im Mittelpunkt - und dürfte ein paar autobiografische Züge des Autors aufweisen. Dunstan erzählt seine Geschichte im Rückblick vom Jahr 1969 aus, erinnert sich an einen verhängnisvollen Wintertag im Jahre 1908, an dem sich die Biografien der drei zum ersten Mal kreuzen. Was dann folgt, ist ein ebenso prall geschilderter wie hintergründiger erzählerischer Bogen über sechs Jahrzehnte Freund- und Feindschaft. Für alle Freunde von Paul Auster, der in seinen besten Romanen ja immer Magie und Wirklichkeit zu einer unnachahmlichen Einheit zu verbinden wusste. Auster mag sich von Davies einiges abgeschaut haben: Der Kanadier beherrscht das Spiel aus Psychologie und erzählerischen Überraschungen perfekt: 1. Weltkrieg und Liebesdrama, Psychiatrie und Zirkus: All das vereint Davies zu einem warmherzigen Roman über drei Charaktere, die dem Leser ans Herz wachsen. Große, klassische Literatur!

Robertson Davies: Der Fünfte im Spiel, aus dem Englischen von Maria Seifert, Dörlemann Verlag 2019, April 2019, 416 Seiten


Barbara Pym: Vortreffliche Frauen

Klassische Literatur im Sinne großartiger Charaktere und vortrefflicher Dialoge bietet auch die zweite bemerkenswerte Wiederentdeckung des Frühjahrs aus dem englischen Sprachraum: Barbara Pyms (1913-1980) bereits 1952 erschienener Roman "Vortreffliche Frauen". Auch der war hierzulande lange vergriffen, auch dieses Buch ist eine literarische Offenbarung – zumindest, wenn sich Leserinnen und Leser an feiner britischer Noblesse erfreuen können.

Pym hat "Vortreffliche Frauen" in den späten 40ern und frühen 50ern angesiedelt: Mildred Lathbury ist alleinstehend, nicht besonders auffällig und lebt im Nachkriegs-London ein wenig aufregendes und bescheidendes Lebens. Dann ziehen neue Nachbarn ein. Der Mann des Ehepaars gefällt Mildred. Und nicht nur der. Andere Charaktere treten hinzu. Pym ist eine Meisterin der leichtfüßigen Dialogführung: Scherz, Satire, Ironie: All das findet sich in diesem hinreißenden Gesellschaftsroman, in dem Frauen den Takt angeben. Doch Vorsicht: Unter der Oberfläche verbirgt sich auch viel Leid, die um sich greifende Einsamkeit der Personen, der Kampf der Geschlechter.

Auch Barbara Pym selbst hatte es lange Zeit nicht leicht in ihrer Heimat, wurde ihr Werk dort doch zeitweise vergessen. Drei Jahre vor ihrem Tod, 1977, war die Wiederentdeckung dann allerdings fulminant. Ihre Romane wurden mit denen Jane Austens verglichen, 2015 wurde "Vortreffliche Frauen" zu einem der bedeutendsten englischen Romane des Jahrhunderts gewählt. Wenn das keine Empfehlung ist, nun zur deutschen Übersetzung zu greifen...

Barbara Pym: Vortreffliche Frauen, aus dem Englischen von Sabine Roth, DuMont Verlag, Juni 2019, 350 Seiten