Roth: "Türkei betreibt dreckige Politik"
8. Oktober 2014Die Vizepräsidentin des Bundestags, Claudia Roth, kritisiert das Stillhalten der Türkei im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) an der türkisch-syrischen Grenze. "Ich habe überhaupt kein Verständnis für die Politik der Türkei", sagte die Grünen-Politikerin der ARD. IS-Kämpfer würden in türkischen Krankenhäusern behandelt und Waffen über türkisches Gebiet geliefert. "Da muss die NATO jetzt mal auf den Tisch hauen und sagen: Es kann nicht sein, dass der NATO-Partner Türkei eine solche dreckige Politik betreibt." Offensichtlich wolle Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Kurden in der Region um die umkämpfte kurdische Stadt Kobane in ihrer Selbstständigkeit schwächen.
Kobane an der Grenze zur Türkei droht in die Hand des IS zu fallen. Bislang haben die an der Grenze stationierten türkischen Truppen nicht in die Kämpfe eingegriffen. Das Parlament in Ankara hatte der Regierung jedoch das Mandat erteilt, militärisch gegen Terrorgruppen in Syrien und im Irak vorzugehen. Erfasst werden nicht nur der IS, sondern grundsätzlich auch kurdische Gruppen wie die PKK, die von der Türkei als terroristisch eingestuft werden.
"Waffenbrüderschaft mit Erdogan beenden"
"Die Bundesregierung ist mitverantwortlich für die toten Demonstranten in der Türkei. Sie hat der Unterdrückung der Kurden und der Unterstützung des IS aus der Türkei nicht nur zugesehen, sondern Erdogan und sein AKP-Regime mit der Stationierung von Bundeswehrsoldaten und Patriot-Raketen sowie der Eröffnung neuer EU-Beitrittskapitel signalisiert, dass sie freie Hand für ihr schmutziges Spiel haben", erklärt Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Linken im Bundestag und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.
Die Bundesregierung müsse jetzt endlich Druck auf Erdogan machen, so Dagdelen. Die stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Türkischen-Parlamentariergruppe fordert darüber hinaus eine "sofortige Beendigung der Waffenbrüderschaft und die Einstellung der militärischen, polizeilichen und geheimdienstlichen Kooperation mit der Türkei". Das bedeute auch den sofortigen Abzug der Bundeswehr und der Patriots.
Bundesregierung: Kein Kurswechsel
Die Situation an der türkisch-syrischen Grenze war am Nachmittag auch Thema im Bundestag. Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, stellte sich den Fragen der Abgeordneten. Mehrere Oppositionspolitiker wollten wissen, was die Bundesregierung tun wolle, sollte sich der Kampf der IS auf türkisches Gebiet ausweiten. Roth wich einer klaren Antwort jedoch mit der Bemerkung aus, dass die Situation für Spekulationen viel zu ernst sei. Nur soviel sei festzustellen, dass sich im Falle eines Angriffs der IS auf die Türkei nicht automatisch ein Bündnisfall ergebe. Vielmehr müsse dazu ein Konsens unter den 28-Nato-Mitgliedsstaaten erzielt werden, was in der Nato-Geschichte nach 9-11 erst einmal eintrat.
Derzeit gebe es allerdings keine konkreten Signale aus der Türkei, militärisch gegen die IS vorgehen zu wollen, sagte Roth. Die beiden von der Türkei dafür genannten Vorbedingungen, eine Schutzzone am Boden und eine Flugverbotszone, setzten Bodentruppen voraus. "Da sehe ich aktuell bei niemandem eine entsprechende Bereitschaft", sagte Roth mit Bezug auf die 11 Staaten, die derzeit an den internationalen Maßnahmen gegen die IS beteiligt sind. Deutschland konzentriere sich in dieser Gemeinschaft auf die humanitären Leistungen, so Roth. Dies sei der Beitrag, "den man zurecht von uns verlangen kann".
Keine Mandatsänderung für "Active Fence"
Für die 271 Bundeswehr-Soldaten, die derzeit im Rahmen von "Actice Fence" in der Türkei stationiert sind, ergeben sich laut Bundesregierung keine Konsequenzen, sagte Roth weiter und verwies auf die 100 Kilometer Abstand zur Grenze. Der Einsatz bleibe "rein defensiv".
Zu den Vorwürfen, die türkische Regierung würde die IS unterstützen, verwies Roth auf die Aussagen des türkischen Außenministers Mevlut Cavusoglu bei seinem Besuch Mitte September in Berlin. Danach gebe es keine Unterstützung der IS, die seit September 2013 als Terrororganisation in der Türkei eingestuft ist. Die Türkei habe bereits "6000 Foreign Terrorist Fighters" mit einer Einreisesperre versehen, sowie 1000 Personen ausgewiesen. Über weitere Erkenntnisse verfüge die Bundesregierung nicht, so Roth.