"Nachts hörte ich Kollegen weinen"
24. Juni 2020DW: In vielen Berichten über die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie ist von unbezahlten Überstunden die Rede. Haben Sie auch diese Erfahrung gemacht? Wie lange dauerte ein Arbeitstag für Sie?
Arbeiter: Zwei Jahre lang war ich bei Tönnies als Werksarbeiter. Wir waren selten nach den vereinbarten 8 Stunden fertig. Oft waren es 12 oder sogar 13. Wir haben die Überstunden aufgeschrieben. Doch auf dem Gehaltszettel war am Ende nichts davon zu sehen.
Wie waren die Arbeitsbedingungen?
Es war sehr kalt und feucht, die Fließbänder bewegten sich sehr schnell. Ich hörte Kollegen nachts weinen in der Unterkunft, weil sie so schlimme Schmerzen hatten, ihre Hände waren ganz geschwollen. Doch wir machten uns gegenseitig Mut, sagten zueinander: Halt durch.
Ein Freund von mir hat mich immer wieder gebeten, dass ich ihn mitnehme, er wollte unbedingt in Deutschland arbeiten. Ich sagte ihm: Nimm zumindest genug Taschengeld mit, um dir ein Ticket zurück nach Hause zu leisten. Das war ein guter Rat, denn nach einem einzigen Tag bei Tönnies hielt mein Freund es nicht mehr aus und kehrte nach Rumänien zurück.
Gab es regelmäßige Kontrollen?
Wenn Kontrollen kamen, wurde die Geschwindigkeit des Fließbandes verlangsamt, dann war unsere Arbeit leichter. Aber man wusste ja vorher, dass eine Kontrolle kommt. Wieso macht man das nicht unangekündigt? Nur dann könnten Kontrolleure sehen, wie die Lage wirklich ist.
Wurden Sie als Werksarbeiter auf solche Kontrollen vorbereitet?
Uns wurde nahegelegt, nichts zu sagen. Nach dem Motto: 'Wenn die Kontrolle kommt, sagt, dass ihr kein Deutsch sprecht.' Auch wenn einige von uns die Sprache sprechen.
Wurde auf irgendeine Weise von Seiten der Firma Druck auf Sie ausgeübt?
Ja. Ganz schlimm war es, wenn wir krank waren: Die Vorarbeiter brüllten uns an, dass wir ihnen bloß nicht mit Krankmeldungen ankommen sollten! Als ich einmal stark erkältet war - was schnell passierte, weil wir immer in der Kälte arbeiteten - und angeschrien wurde, reichte es mir. Da habe ich aufgehört.
Waren Ihre direkten Vorgesetzten Deutsche oder Osteuropäer?
Der große Chef war Deutscher, aber der Vorarbeiter am Fließband war Rumäne, denn er musste ja übersetzen, die meisten Arbeiter sprechen kein Deutsch. Diese Vorarbeiter waren meistens Rumänen, die das Glück hatten, in der Schule Deutsch gelernt zu haben. Von ihren Vorgesetzten hatten sie die Anordnung, dafür zu sorgen, dass sich die Leute nicht krankmelden.
Wie waren die Bedingungen in Ihrer Unterkunft?
Einige Unterkünfte, in denen ich gewohnt habe, waren sehr sauber, aber es gab auch Ausnahmen. Es war immer sehr eng, manchmal waren 10, 12 oder zeitweise sogar 14 Leute in einer einzigen Wohnung. Die monatliche Miete lag bei 200 Euro pro Person. Die Gebäude gehörten den Subunternehmen. Ein rumänischer Subunternehmer hat zum Beispiel ein ganzes Gebäude mithilfe eines Kredits von der Bank gekauft und dann die Wohnungen an Arbeiter vermietet. Aber es ist einfach nicht fair, so viele Menschen in eine einzige Wohnung zu stecken!
Sehen Sie also die Subunternehmen als Hauptproblem?
Ja. Ein Freund von mir ist direkt bei einem deutschen Betrieb angestellt und hat keine Probleme. Er hat keine Angst, wenn er zur Arbeit geht. Keiner brüllt ihn an, keiner beschimpft ihn. Wir hoffen, dass in Deutschland der Gesetzesentwurf zum Verbot von Werkverträgen vom Parlament gebilligt wird.
Haben Sie Kontakt zu ehemaligen Kollegen, die heute noch bei Tönnies arbeiten?
Ja, zu zwei Kollegen, die jetzt in Quarantäne sind. Sie sagen, man habe ihnen genug Essen und Wasser gebracht. Aber sie sind sehr verunsichert, sie wissen nicht, wie alles weitergeht. Einer von ihnen hat schon lange Gesundheitsprobleme, aber er erzählt mir, es gehe ihm gut - zumindest im Moment.
Die Identität des rumänischen Arbeiters ist der DW bekannt. Er möchte nicht, dass sein Name veröffentlicht wird. Inzwischen arbeitet er für einen anderen Betrieb in Deutschland und sagt, er sei mit den Arbeitsbedingungen zufrieden.
Das Gespräch führte Lavinia Pitu.