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Rechtsstaat weiter unter Beschuss

Peter Janku, z.Z. Bukarest16. Juni 2015

Die Korruption auf höchster Ebene hat in Rumänien eine neue politische und institutionelle Krise ausgelöst. Aus Bukarest berichtet Peter Janku.

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Der Parlamentspalast (Palast des Volkes) mit einer Baustelle in Bukarest (Foto: Jens Kalaene)
Bild: picture-alliance/ZB

Kaum hatte das rumänische Parlament den Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt, gegen den sozialdemokratischen Premier Victor Ponta wegen Korruption zu ermitteln, richteten sich alle Augen auf Präsident Klaus Iohannis und die obersten Richter der Republik. Wie würden sie auf diese Herausforderung reagieren?

Der Staatschef konterte sofort: Iohannis kritisierte die höchst umstrittene Entscheidung der Parlamentsmehrheit gegen die Justiz und forderte den Premierminister zum Rücktritt auf. Die Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes, Livia Stanciu, unterstrich ihrerseits, die Vorfälle im Parlament zeigten, dass das Gesetz in ihrem Land "nicht für jedermann" gelte.

Angriff auf Justiz?

Pontas Verbündete in Partei und Parlament hingegen versuchten, der Geschichte einen anderen Dreh zu geben. In einer eilig zusammengerufenen Sitzung des Exekutivkomitees der Sozialdemokraten, an der auch der Senatspräsident und frühere Premierminister Calin Popescu Tariceanu teilnahm, sollte der Rücken des unter Korruptionsverdacht stehenden Regierungschefs gestärkt werden. Dessen Botschaft fiel nach dem Treffen lapidar aus: "Die Unabhängigkeit der Justiz muss bewahrt und unterstützt werden", sagte Ponta. Auch der Senatspräsident betonte, "das erschütterte Vertrauen in die Justiz muss wieder hergestellt werden". Tariceanu schlug die Gründung einer parlamentarischen Kommission "zur Bewertung der Demokratie" vor.

Das Problem dabei ist, dass Präsident, Richter, Staatsanwälte und Opposition zwar Ähnliches fordern, doch eine ganz andere Auslegung von Begriffen wie Justiz, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit an den Tag legen. Ponta wird verdächtigt, sich der Geldwäsche, Urkundenfälschung, Steuerhinterziehung und Interessenkonfliktes schuldig gemacht zu haben. Man wirft ihm unter anderem vor, als Anwaltspartner seines Freundes und ehemaligen Ministerkollegen Dan Sova nicht erbrachte Dienstleistungen in Rechnung gestellt zu haben.

Victor Ponta, Premierminister Rumäniens (Foto: epa)
Premier Ponta beteuert seine Unschuld - und klagt über eine "politisierte Justiz"Bild: picture-alliance/dpa/B. Cristel

Parlament schützt Ponta

Doch Ponta, der vor vier Monaten versprochen hatte, zurückzutreten, falls die Antikorruptionsbehörde DNA Ermittlungen gegen ihn aufnehmen sollte, hat seine Position grundlegend revidiert. Nun beteuert er lautstark seine Unschuld und beklagt eine angeblich durch und durch "politisierte Justiz", die die "alleinige Macht haben und Parlament sowie Regierung ersetzen will".

Der Staatschef selbst besitzt laut Verfassung kaum die nötigen Befugnisse, um Premierminister, Senatoren und Abgeordnete zur Räson zu bringen, wenn sie Kraft ihrer parlamentarischen Mehrheit Verfahren der Justiz blockieren und die Aufhebung der Immunität von Politikern verhindern.

Auch die National-Liberale Partei (PNL), die wichtigste Oppositionspartei, scheiterte am vorigen Freitag mit ihrem Versuch, ein Misstrauensvotum gegen Ponta im Parlament durchzusetzen. Noch schien der Schutzschild, der um Ponta aufgebaut wurde, zu halten. Gleichzeitig brachte die Regierungsmehrheit mehrere Änderungen des Strafgesetzbuches im Parlament zur Aussprache. Beobachter kritisieren, dass diese Änderungen, sollten sie tatsächlich abgesegnet werden, die Verfahren der Justiz gegen korrupte Politiker erheblich erschweren würden.

"Gewaltenteilung in Gefahr"

Die Bekämpfung der Korruption auf höchster Ebene würde so zunichte gemacht, warnt Professor Mircea Vasilescu, Chefredakteur der Wochenzeitschrift "Dilema Veche". Gleichzeitig sei die Gewaltenteilung "in akuter Gefahr". Unter Druck sei auch die Pressefreiheit, "die durch die wirtschaftliche Macht und eine oft direkte Einflussnahme von regierungsnahen Medienzaren erheblich eingeschränkt ist".

Der rumänische Rechtsstaat, so der Historiker und Politologe Vladimir Tismaneanu, könne in einer vergleichbaren Weise scheitern wie vor einem Vierteljahrhundert, als nach dem Ende des Ceausescu-Regimes der erste postkommunistische Staatschef Ion Iliescu im Juni 1990 Tausende Bergarbeiter aus dem westlich von Bukarest gelegenen Schiltal gegen die demokratische Opposition zu Hilfe rief.

Der gewaltsame Einsatz gegen friedliche, für eine Demokratie westlichen Zuschnitts demonstrierende Studenten, Journalisten, Intellektuelle und Oppositionspolitiker endete blutig. "Die Anarchie wurde ausgelöst, um die Freiheit zu liquidieren und das Einparteien-System wieder einzuführen", erläutert Tismaneanu. Der Politologe sprach in diesem Zusammenhang von einer "Konterrevolution" und verglich Iliescus damalige Haltung mit der Einstellung seiner Nachfolger an der Spitze der Sozialdemokratischen Partei: des wegen Korruption verurteilten ehemaligen Premierministers Adrian Nastase sowie von dessen politischem Zögling Victor Ponta. Alle drei eine, so Tismaneanu, "dieselbe Verachtung für den Rechtsstaat, dieselbe Willkür, derselbe Personenkult und derselbe Zynismus".

Mircea Vasilescu beklagt eine verfahrene Situation. Die jetzige Konfrontation sei eine systembedingte Auseinandersetzung zwischen "Feinden und Freunden" einer echten, liberalen Demokratie. Um eine Gesellschaftsentscheidung zugunsten des Rechtsstaates herbeizuführen, so Vasilescu, müsse man Geduld haben und "auf die öffentliche Meinung setzen, die im Herbst vergangenen Jahres durch die Wahl des deutschstämmigen Präsidenten Klaus Iohannis durchaus gezeigt hat, dass sie sich zur Verteidigung der Demokratie mobilisieren lässt".