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PolitikRumänien

Rumänien: Vertrauenskrise nach Annullierung der Wahl

7. Dezember 2024

Das rumänische Verfassungsgericht erklärt die Präsidentschaftswahl für ungültig. Die Entscheidung hat den Beigeschmack parteipolitischer Einflussnahme und verschärft die tiefe politische Krise in Rumänien.

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Eine Demo in Bukarest gegen den rechtsextremen Kandidaten Georgescu
Viele Menschen gingen in Bukarest und anderen Städten in den vergangenen zwei Wochen auf die Straße, um gegen den rechtsextremen Georgescu zu protestieren Bild: DANIEL MIHAILESCU/AFP/Getty Images

In Rumänien ist ein Ende des politischen Schocks nicht in Sicht. Vor knapp zwei Wochen gewann Calin Georgescu, ein weitgehend unbekannter TikTok-Kandidat, der rechtsextreme, pro-russische und esoterische Ansichten vertritt, völlig überraschend die erste Runde der Präsidentschaftswahl. Doch weniger als 36 Stunden vor Beginn der Stichwahl erklärte das rumänische Verfassungsgericht am Freitag (6.12.2024) die erste Wahlrunde für ungültig. Damit muss die gesamte Präsidentschaftswahl neu organisiert werden. Mit der Entscheidung erreicht die politische Krise der vergangenen Wochen einen neuen Höhepunkt - mit bislang noch kaum absehbaren Folgen.

Das Verfassungsgericht traf die Entscheidung, nachdem es noch Anfang der Woche die erste Runde der Präsidentschaftswahl für gültig erklärt hatte. Der Grund für die jetzige Kehrtwende: neue Erkenntnisse zur Beeinflussung der Wahl auf TikTok, zur Finanzierung der Wahlkampagne von Georgescu und zur Einmischung Russlands in die Wahl. Am Mittwoch hatte der amtierende rumänische Staatspräsident Klaus Johannis Geheimdienstdokumente freigegeben, in denen dazu Einzelheiten zu lesen waren, allerdings teils nur in sehr vager Form. So etwa wird in den Dokumenten eine russische Wahlbeeinflussung - die durchaus plausibel ist - lediglich indirekt behauptet, aber nicht belegt. Allerdings sprach auch US-Außenminister Antony Blinken am Donnerstag von einer Einmischung Russlands in die rumänischen Präsidentschaftswahlen. 

Calin Georgescu und Elena Lasconi
Die Kandidaten für die Stichwahl, die für den 8. Dezember geplant war: Calin Georgescu und Elena Lasconi

In Rumänien löste die Entscheidung des Verfassungsgerichts in Politik und Öffentlichkeit unterschiedliche Reaktionen aus: einerseits Kopfschütteln und Entsetzen, andererseits auch Zustimmung. Elena Lasconi, zweitplatzierte Kandidatin für die Stichwahl um das Präsidentenamt und Chefin der progressiv-liberalen Partei Union Rettet Rumänien (USR), sprach von einer "illegalen und unmoralischen Entscheidung" des Verfassungsgerichts und sagte: "Der rumänische Staat tritt die Demokratie mit Füßen." 

"Pakt mit dem Volk und mit Gott"

Der amtierende Premier und Chef der Sozialdemokraten (PSD), Marcel Ciolacu, der lange Zeit als Favorit in der ersten Wahlrunde gegolten hatte, nannte die Entscheidung hingegen "die einzige korrekte Lösung nach der Freigabe der Geheimdienstdokumente". Denn es habe sich gezeigt, dass das Ergebnis der rumänischen Wahl durch russische Einmischung eklatant verfälscht worden sei.

Der rechtsextreme Präsidentschaftskandidat, Calin Georgescu, bezeichnete die Entscheidung des Verfassungsgerichts als "Staatsstreich" und kommentierte sie in seiner üblichen messianischen Art: "Das korrupte System hat sein wahres Gesicht gezeigt und einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Ich aber habe einen Pakt mit dem rumänischen Volk und mit Gott." Auch andere rechtsextreme rumänische Politiker sprachen übereinstimmend von einem "Putsch", der in Rumänien stattfinde. George Simion, der Chef der rechtsextremen Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR), rief seine Anhänger jedoch zur Ruhe auf und dazu, "nicht auf die Straße zu gehen". 

Keine Anzeichen von Unruhe

Als Rumäniens Staatspräsident, Klaus Johannis, am Freitagabend Stellung zur Entscheidung des Verfassungsgerichts nahm, schien er um die richtigen Worte zu ringen. In einer kurzen Ansprache sagte er in hölzernem und bürokratischem Ton, Rumänien sei "stabil, sicher, demokratisch" und "nicht in Schwierigkeiten". Johannis kündigte an, dass er verfassungsgemäß Präsident bleiben werde, bis ein Amtsnachfolger vereidigt worden sei, und versprach: "Ich werde mich als Präsident so einbringen wie bisher." Für viele Beobachter dürfte das nach Realsatire geklungen haben - schließlich war Johannis in den vergangenen Jahren als Präsident kaum noch in Erscheinung getreten.

Befürchtungen, dass es zu Unruhen kommen könnte, haben sich am Freitag nicht bewahrheitet. Generell sind gewalttätige Auseinandersetzungen eher unwahrscheinlich. Die schrecklichen Erfahrungen beim blutigen Aufstand gegen den Diktator Ceausescu im Dezember 1989 und in den Wirren der Monate danach, vor allem die gewalttätigen Märsche der Bergarbeiter aus dem Schiltal auf Bukarest, wirken für viele bis heute traumatisch nach. Der größte Teil der Öffentlichkeit möchte solche Szenarien unbedingt vermeiden. Die rumänische Gendarmerie, die neben der Polizei für öffentliche Sicherheit und Ordnung zuständig ist, dementierte am Freitag, dass sie in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden sei.

Justiz in den Augen vieler diskreditiert

Eine reale Gefahr ist demgegenüber das Machtvakuum in den kommenden Monaten. Voraussichtlich erst im März wird es eine neue Präsidentschaftswahl geben können. Der amtierende Präsident, Klaus Johannis, ist kein starker Akteur. Und auch eine Regierungsbildung nach der Parlamentswahl vom vergangenen Sonntag (1.12.2024) könnte Monate dauern, da Rumänien weiter im Wahlkampfmodus ist. So droht eine längere politische Lähmung des Landes.

Was halten die Rumänen von dem Überraschungssieger?

Die Entscheidung des Verfassungsgerichts könnte auch die tief sitzende Vertrauenskrise der rumänischen Gesellschaft in den Staat und in die demokratischen Institutionen noch mehr verstärken. Denn das Urteil vom Freitag ist nur das jüngste von mehreren, mit denen sich das Gericht - und die Justiz generell - in den Augen vieler Menschen in Rumänien diskreditiert hat.

Anfang Oktober 2024 schloss das Verfassungsgericht die rechtsextreme Präsidentschaftskandidatin Diana Sosoaca von der Wahl aus, da ihre politischen Erklärungen "mit den Werten der Demokratie nicht vereinbar" seien und Rumäniens Mitgliedschaft in der EU und der NATO in Gefahr brächten. Gleichzeitig wurden jedoch Calin Georgescu und der AUR-Chef George Simion, die selbst immer wieder gegen die EU und die NATO hetzen und die antisemitischen Legionärs-Faschisten der rumänischen Zwischenkriegszeit verherrlichen, nicht von der Wahl ausgeschlossen.

"Land der unbegrenzten Möglichkeiten"

Die politische Gerüchteküche in Rumänien spekuliert, dass sich die regierenden Sozialdemokraten, die Staat und Verwaltung seit 35 Jahren dominieren, ein Wahlszenario zurechtgelegt hätten, in dem der Premier und PSD-Chef Marcel Ciolacu und der AUR-Chef Simion in die Stichwahl hätten kommen sollen - die dann Ciolacu hätte gewinnen sollen. Nun sind viele Rumänen überzeugt, dass das Verfassungsgericht erneut als verlängerter Arm des politischen Establishments agiert hat - nachdem in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl alles anders gekommen war als geplant - mit Georgescu auf Platz eins und Elena Lasconi auf Platz zwei. Demnach sei vor allem Lasconi eine Bedrohung für die alten Systemparteien, denn sie und ihre Partei würden es durchaus ernst mit Anti-Korruptions- und anderen Reformvorhaben meinen. 

Der prominente rumänische Jurist und ehemalige Amtsrichter, Cristi Danilet, seit vielen Jahren aktiv in der demokratischen Zivilgesellschaft, kommentierte die Entscheidung des Verfassungsgerichts auf Facebook sarkastisch: "Das Gericht hat eine Grundsatzentscheidung getroffen, mit der man sämtliche Fehler beheben kann. Rumänien ist zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten geworden."

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Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter