Russland beschleunigt Abschottung im Internet
16. Januar 2018Ob Haftstrafen für Einträge in sozialen Netzwerken, Verbot von VPN-Diensten oder erweiterte Datenspeicherung: Die Freiheit im Internet wird in Russland Jahr für Jahr abgebaut. Die jüngsten Pläne gehen noch weiter. Laut einem Bericht des Webportals RBK erteilte Präsident Wladimir Putin Ende 2017 seiner Regierung den Auftrag, bis August 2018 mit den BRICS-Staaten (außer Russland sind es Brasilien, Indien, China und Südafrika) über eigene Root-Nameserver für das sogenannte Domain-Name-Systems (DNS) zu verhandeln. Diese Server stellen weltweit Informationen bereit, mit denen Adressen im Internet (z.B. dw.com) mit den Servern verknüpft werden, von denen die Inhalte ausgeliefert werden. Mit eigenen Root-Servern könne Russland eine Art "eigenes Internet" schaffen, so die Einschätzung in Fachkreisen.
Als Begründung wird "die Dominanz der USA und einiger Länder der Europäischen Union bei der Internet-Regulierung" genannt. Russland sieht darin eine "ernste Gefahr" für seine Sicherheit, zitierte RBK aus dem Sitzungsprotokoll des russischen Sicherheitsrates. Eigene Root-Server sollen Russland unabhängig von Kontrollinstanzen wie ICANN (International Corporation for Assigned Names and Numbers) machen und "bei Ausfällen oder gezielter Einwirkung" schützen.
Putin sieht Internet als Werkzeug der CIA
Seit dem Konflikt mit dem Westen, ausgelöst durch die Krim-Annexion, scheint aus Moskaus Sicht die Gefahr einer Konfrontation im Cyberspace gewachsen. Russland testete sein Internet und fand Schwachstellen. "Wir sind ein zu großes Land und Volkswirtschaft, um mit dieser Gefahr leben zu können", sagte Igor Schtschegolew, Putins Berater und ehemaliger Minister für Kommunikation, in einem RBK-Interview. Als Beispiele nannte er Nordkorea und Syrien, wo das Internet für einige Tage ausfiel. Hinter dem Ausfall in Nordkorea im Dezember 2014 werden die USA vermutet, Washington schwieg damals dazu. Sich komplett abzuschotten sei nicht das Ziel Moskaus, so Schtschegolew. Es gehe darum, bei "externer Einwirkung" das Internet im Land arbeitsfähig zu halten.
In seiner Einschätzung des Internets als Instrument der USA bleibt Putin sich treu. Das Netz sei als ein Projekt des US-Geheimdienstes CIA entstanden und entwickele sich in diesem Sinne weiter, sagte einst der Kremlchef. Tatsächlich wurde die Technologie des Internet unter anderem von Mitarbeitern und im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums entwickelt.
Vorbereitung auf Cyberkrieg
Der deutsche Internet-Experte Wolfgang Kleinwächter, emeritierter Professor an der dänischen Universitär Århus, war 2013 bis 2015 ICANN-Vorstandsmitglied. Auch Russland kennt er gut: "Der russischen Regierung passt das ganze System nicht, denn es ist so aufgebaut, dass Regierungen bei ICANN nur eine beratende, aber keine entscheidende Rolle spielen. Niemand hat, wie im UN-Sicherheitsrat, einen ständigen Sitz mit einem Veto-Recht." Außerdem gehe es Moskau darum, sich "auf eine Art Cyberkrieg" vorzubereiten.
Der Moskauer Blogger Alexander Pluschtschew hat noch eine Erklärung: "Für einige dürfte der Aufbau eines 'Internets für BRICS' einen sehr lukrativen Staatsauftrag bedeuten", so Pluschtschew. Der praktische Sinn wäre gering.
Die Wurzel des Internets im Visier
Russlands Vorhaben zielt buchstäblich auf die Wurzel des Internets. Die ganze weltweite Kommunikation zwischen Computern läuft über 13 DNS-Rootserver. Auf den Rechnern sind die Zonefiles der so genannten Top-Level-Domains (TLD) wie .com (weltweit), .de für Deutschland oder .ru für Russland gespeichert. Zehn Rootserver stehen in den USA, je einer in den Niederlanden, Schweden und Japan. Dazu gibt es aber mittlerweile weltweit hunderte von Kopien, genannt Anycast-Server. Allein in Russland gibt es zehn Anycast-Server in Moskau, St. Petersburg oder Jekaterinburg.
Alle Rootserver sind selbständig. Der A-Rootserver, auf dem die Master-Copy des DNS gespeichert ist, unterstand bis September 2016 der US-Regierung. Jetzt ist eine Tochtergesellschaft von ICANN dafür zuständig. ICANN selbst ist nach der Beendigung des Vertrages mit dem US-Handelsministerium ein privates gemeinnütziges Unternehmen mit Sitz in Kalifornien. Es wird von einem 20-köpfigen Direktorium geleitet, dem Experten aus allen Teilen der Welt angehören.
Begrenzte Einwirkung, politisch kontraproduktiv
Wolfgang Kleinwächter sieht wenig Sinn in einem eigenen russischen Rootserver-System. "Was immer hochgespielt wird, ist die Behauptung, die US-Regierung könnte ein Land vom Internet abschalten. Das ist völliger Unfug. Selbst wenn der US-Präsident Kontrolle über den A-Rootserver hätte - die er jetzt nicht mehr hat - wäre die Löschung des Zonefiles einer Länderkennung wie .ru ein sinnloser Akt, denn dieses Zonefile würde auf all den anderen Root- und Anycast-Servern weiter existieren. Vielleicht würde sich das Versenden von E-Mails um Millisekunden verzögern", sagt Kleinwächter. "Aber wie sollten die Amerikaner durchdrücken, dass Länder-Zonefiles aus politischen Gründen von den Anycast-Servern in Moskau verschwinden? Ein solcher Befehl aus dem Weißen Haus wäre nicht nur politisch völlig kontraproduktiv; er würde auch gar nicht funktionieren und würde zu einer Lachnummer für die globale Internet-Community".
Das bestätigt David Conrad, Technikvorstand bei ICANN: "Es gibt keinen Ausschaltknopf. Theoretisch ist es möglich, dass die US-Regierung ICANN zwingen könnte, da es ein Unternehmen mit Sitz in den USA ist, etwas zu tun, was die Top-Level-Domain mit Bezug zu Russland beeinflussen könnte, zum Beispiel -.ru vom Rootserver zu nehmen", sagt Conrad. Das würde Verbindungen erschweren, der Effekt wäre aber begrenzt. In Wirklichkeit basiere das DNS auf Vertrauen. "Wenn die US-Regierung so etwas Verrücktes tun würde, dann wäre dieses Vertrauen zerstört und es würde garantiert eine Generation von alternativen Rootservern geben. Der Schaden für das Internet als globalen Marktplatz und Kommunikationsmittel wäre viel größer als der Nutzen", so der ICANN-Vorstand.
Technisch sei es für Russland machbar, eigene Rootserver aufzubauen. Eine schwierigere Aufgabe dürfte sein, alle dazu zu bewegen, sie zu nutzen. Wolfgang Kleinwächter glaubt nicht, dass Länder wie China, die gerade wirtschaftlich global expandieren, dem russischen Beispiel folgen würden.
Ende des Internets wie wir es kennen?
Sollte Russland mit seinem Vorhaben doch Erfolg haben, könnte die Konsequenz ein Ende des Internets wie wir es kennen sein - Stichwort Fragmentierung. Doch die Fachleute bleiben optimistisch und argumentieren wirtschaftlich. "Wenn ich fragmentiere, hat dieses Fragment einen geringeren Wert", sagt Kleinwächter. "Im Grunde wäre das ein Schuss ins eigene Knie."