Russland: Propaganda und Shows statt Journalismus
5. Mai 2006Der Generalsekretär des russischen Journalistenverbandes, Igor Jakowenko, sagte der Deutschen Welle, in Russland werde Journalismus als solcher aus den Medien verdrängt. Diese Entwicklung habe vor einigen Jahren mit der Vernichtung von NTW begonnen, erläuterte Jakowenko. Er machte darauf aufmerksam, dass inzwischen alle Fernsehkanäle verstaatlicht und alle führenden russischen Fernsehjournalisten von den Bildschirmen verbannt seien. Jakowenko sagte: „Parfenow, Schenderowitsch, Sorokina, Mitkowa, Schuster - sie alle sind aus dem Fernsehen verschwunden und wurden ersetzt durch PR-Leute und Polittechnologen vom Typ Gleb Pawlowskij.“
Vorbereitung auf Präsidentenwahl?
Der Medienmarkt wird Jakowenko zufolge neu aufgeteilt, wobei die größten Marktanteile unter staatliche Kontrolle kommen: „Zurzeit läuft der Verkauf der Zeitungen Kommersant, Komsomolskaja prawda, aber auch anderer Blätter, die an Gasprom-Media oder an andere staatsnahen Strukturen kommen“. Der Leiter des russischen Journalistenverbandes unterstrich, es handele sich dabei um die massive Vorbereitung eines gewaltigen propagandistischen Salvenfeuers für die Jahre 2007 und 2008.
Mittel zur Volksverdummung?
„Für Journalismus ist heute in Russland kein Platz mehr“, bedauert Jakowenko. Ihm zufolge wird heute in Russland Journalismus durch Propaganda, Polittechnologien und billige Shows ersetzt. Dadurch werde das Fernsehen zu einem Mittel der Volksverdummung. Dennoch ist Jakowenko optimistisch, was die Entwicklung der Pressefreiheit in Russland betrifft: „Das Potential in Richtung unfreier Journalismus in Russland ist praktisch erschöpft. Ich denke, dass es im Lande genügend Kräfte gibt, die sich nicht damit abfinden werden, unter Bedingungen wie in Turkmenistan, Nordkorea oder Belarus zu leben.
Zunehmend totale Kontrolle
Freimut Duve, ehemaliger Beauftragter der OSZE für die Freiheit der Medien, wies in einem Gespräch mit der Deutschen Welle ebenfalls darauf hin, dass der Einfluss des russischen Staates auf Journalisten immer stärker wird: „Ich kann der russischen Staatsregierung nicht zubilligen, dass sie immer stärker eine Total-Kontrolle des Journalismus übernimmt. Putin ist der Eigentümer formal von Gasprom, zu 100 Prozent, also Gasprom ist eine Tochter des Staates. Und in dem Moment, wo Gasprom eine Zeitung kauft, ist es eine indirekt staatlich kontrollierte Zeitung, und das geht für keine demokratische Entwicklung.“
„Bürokratische Form von Diktatur“
Der ehemalige OSZE-Medienbeauftragte ist der Ansicht, je mehr Putin direkt oder indirekt über Gasprom Medien kontrolliere, um so weniger könne man von irgendeiner Art demokratischer Prozesse sprechen. Duve stellte fest: „Wir haben es zu tun mit einer bürokratischen Form von Diktatur, das muss ich schon sagen. Am Tschetschenien-Krieg können wir auch die Form der sehr harten diktatorischen Praxis dieses Staates im Umgang mit der freien Meinungsäußerung feststellen.“
Schlechte Noten für Russland
Duves Meinung schließt sich auch Katrin Evers von der internationalen Organisation Reporter ohne Grenzen an. Der Deutschen Welle sagte sie: „Aus Sicht von Reporter ohne Grenzen fehlt in Russland ein ganz wichtiges Element der Zivilgesellschaft, nämlich eine freie und unabhängige Medienlandschaft. Die existiert so gut wie gar nicht mehr.“ Evers betonte, die Lage der unabhängigen Medien sei in Russland wirklich desolat. Die jüngsten Demonstrationen prominenter russischer Journalisten in Moskau bestätigten dies nur. Russland ist derzeit auf der von den Reportern ohne Grenzen erstellten Rangliste zur Pressefreiheit auf Platz 138. Damit befindet sich Russland im unteren Drittel.
Staat kontrolliert Themen
Evers sagte, Putin habe es geschafft, mittlerweile nicht nur die elektronischen Medien in staatliche Hand zu bringen. Die Vertreterin der Reporter ohne Grenzen betonte: „Auch die Printmedien werden mittlerweile mehr oder weniger zum Stillschweigen gebracht, zumindest erhöht sich der Druck ganz stark bei den Printmedien. Finanzielle Forderungen wegen Verleumdung, auch der Druck auf Anzeigenkunden machen es den verbliebenen Printmedien sehr schwer, überhaupt zu überleben.“ Auf diese Weise würden auch Themen wie Tschetschenien komplett unter staatliche Kontrolle gebracht.
Attacken gegen Journalisten
Ein weiteres Problem ist Evers zufolge Gewalt gegen Journalisten: „Es ist wirklich dringend, die Gewalt gegen Journalisten einzudämmen, und auch gegen Straflosigkeit vorzugehen, denn allein im letzten Jahr gab es zwei ermordete Journalisten und in diesem Jahr schon einen. Täter sind bislang nicht wirklich verurteilt worden. Es gab zahlreiche Attacken auf Journalisten und Medienmitarbeiter.“ Ferner erschwere das neue NGO-Gesetz ausländischen Journalisten die Arbeit. Evers sagte: „Sie bekommen kaum noch Akkreditierungen, beziehungsweise sie werden nicht verlängert, oder Akkreditierungen nur noch für ein halbes Jahr. Es gab zahlreiche Ausweisungen im vergangen Jahr.“
Mikhail Bushuev
DW-RADIO/Russisch, 3.5.2006, Fokus Ost-Südost