Saakaschwili macht die Georgienwahl spannend
30. Oktober 2020Georgien baut seine parlamentarische Demokratie um und aus. Das künftige Parlament in der früheren Sowjetrepublik wird an diesem Samstag nach neuen Regeln gewählt: 120 der insgesamt 150 Sitze werden nach Parteilisten, die restlichen über Direktmandate besetzt. Bisher war die Aufteilung etwa gleich. Das Novum ist eine Zwischenstufe auf dem Weg zum reinen Verhältniswahlrecht, das ab der nächsten Wahl gelten soll. Auch neu: Die Fünf-Prozent-Klausel wurde auf ein Prozent gesenkt, was die Parteienlandschaft deutlich bunter machen dürfte: Es treten 48 Parteien und zwei Bündnisse an.
Ein Machtwechsel gilt als eher unwahrscheinlich. Die seit 2012 regierende Partei "Georgischer Traum" liegt in Umfragen vorn und könnte über die Liste mit 33 bis 56 Prozent rechnen. Bisher regiert sie alleine, fraglich ist, ob das auch nach der Wahl so bleibt.
Die Regierung profitiere bisher von ihrem relativ erfolgreichen Umgang mit der Coronavirus-Epidemie, sagt Korneli Kakatschia, Leiter des Georgischen Politik-Instituts. Einen Lockdown hat es in Georgien nicht gegeben. Die Ansteckungszahlen unter den rund 3,7 Millionen Einwohnern lagen monatelang im dreistelligen Bereich, steigen seit September allerdings stark an. Ohne die Epidemie würde die Regierungspartei schlechter abschneiden, sagt Kakatschia im DW-Gespräch.
Auf Platz zwei folgt in den Umfragen ein oppositionelles Bündnis, dem auch die "Vereinte Nationale Bewegung" angehört, die Partei des früheren Präsidenten Michail Saakaschwili. Ihm werden 16 bis 22 Prozent vorausgesagt. Die übrigen Parteien müssen mit einstelligen Ergebnissen und weniger rechnen.
Saakaschwili: Mit Provokation zum Comeback?
Der erneute Comeback-Versuch einer so schillernden Figur wie Saakaschwili macht diese Wahl erst richtig spannend. Der 52-jährige Ex-Präsident lebt seit dem Ende seiner Amtszeit im Exil, meist in der Ukraine, und mischt von dort in der Heimat politisch mit - bislang ohne Erfolg. Seine Anhänger, die sich als national-patriotische Kräfte positionieren, konnten weder über Parlaments- noch über Präsidentschaftswahlen an die Macht zurückkehren.
In Georgien wurde Saakaschwili wegen Amtsmissbrauchs in Abwesenheit verurteilt und schließlich ausgebürgert, weil er die ukrainische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Er bestreitet alle Vorwürfe. Seine Partei hat angekündigt, ihn zum Ministerpräsidenten machen zu wollen. Das sei ein Versuch, Parteianhänger "für Wahlen zu mobilisieren", sagte Kacha Gogolaschwili, Experte bei der Rondeli-Stiftung, einer georgischen Denkfabrik, der DW.
In der Ukraine fällt Saakaschwilis Bilanz gemischt aus. Der einst erfolgreiche Reformer wurde 2015 zum Gouverneur im Gebiet Odessa ernannt. Doch er überwarf sich mit dem damaligen Präsidenten Petro Poroschenko, verlor seinen Posten und wurde aus dem Land gedrängt.
Nach dem Machtwechsel in Kiew kehrte Saakaschwili 2019 in die Ukraine zurück und wurde im Mai dieses Jahres Chefberater des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Sachen Reformen. Seine Ernennung löste in Georgien Empörung aus, die Regierung in Tiflis zog ihren Botschafter aus Kiew ab. Saakaschwilis provokativ wirkenden Äußerungen belasten immer stärker das Verhältnis zwischen der Ukraine und Georgien. Er beschreibt die Regierung in Tiflis als "prorussisch" und ruft zum Machtwechsel auf. Kiew bemüht sich, das als Meinung einer Privatperson abzutun.
Distanz zu Russland, Annäherung an die NATO
Außenpolitik spielt bei der Parlamentswahl kaum eine Rolle. Während im benachbarten Berg-Karabach ein faktischer Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien tobt, positioniert sich Georgien als neutrale Stabilitätsinsel im Südkaukasus. Die meisten georgischen Parteien bekennen sich zum prowestlichen Kurs des Landes, den Saakaschwili als Präsident eingeschlagen hatte. Es gibt nur zwei Kräfte, die als offen prorussisch gelten, doch ihr Einfluss scheint gering. Eine dieser Parteien, "Allianz der Patrioten Georgiens", hat Medienberichte über ihre angebliche Verbindungen zum Kreml dementiert.
Die regierende Partei "Georgischer Traum", die vom Milliardär Bidsina Iwanischwili als Gegenprojekt zu Saakaschwilis "Vereinter nationalen Bewegung" gegründet und an die Macht geführt wurde, verzichtet zwar auf antirussische Rhetorik, bleibt aber dennoch auf Distanz zu Moskau.
Russische Touristen sind in Georgien willkommen, doch eine Normalisierung der Beziehungen sei wegen der russischen Anerkennung der abtrünnigen georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien nicht möglich, heißt es in Tiflis. 2019 sorgte ein Besuch russischer Parlamentarier in Georgien für Straßenproteste. Daraufhin setzte Moskau die Flugverbindung mit dem Nachbarland erneut aus, die erst 2015 komplett wiederhergestellt worden war. Georgische Behörden werden immer wieder von Hackern angegriffen, deren Spuren nach Russland deuten.
Ohne es an die große Glocke zu hängen, betreibt Georgien eine Annäherung an die Europäische Union und die NATO und strebt Aufnahme in beide Bündnisse an. Westliche Militärberater reformieren seit Jahren georgische Streitkräfte. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg lobte Ende September das Engagement Georgiens und empfahl, sich auf eine Mitgliedschaft vorzubereiten