EU-Parlament ehrt Frauenbewegung im Iran
19. Oktober 2023Die verstorbene Jina Mahsa Amini und die feministische Bewegung "Frau, Leben und Freiheit" im Iran erhalten den Sacharow-Preis 2023. Der Preis ist die höchste Auszeichnung der Europäischen Union im Kampf für die Menschenrechte.
"Diese mutigen Frauen, Männer und jungen Menschen haben die Welt durch ihren Kampf für Gleichheit, Freiheit und Würde inspiriert", schrieb die maltesische EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola auf X, ehemals Twitter.
Auch die deutsche Europaabgeordnete Hannah Neumann von der Fraktion die Grünen/EFA erklärte auf X, die Auszeichnung sei "ein starkes Zeichen, dass das EU-Parlament in unerschütterlicher Solidarität mit all jenen steht, die für einen freien und demokratischen Iran kämpfen".
Die damals 22-jährige Kurdin Amini wurde im September 2022 von der iranischen Sittenpolizei festgenommen, weil sie angeblich das Kopftuch falsch trug. Ihr Tod während der Haft löste lang anhaltende massive Proteste gegen das Mullah-Regime aus. Viele wütende junge Frauen gingen auf die Straßen, verbrannten ihre Kopftücher und protestierten gegen die ultrakonservative Kleiderordnung.
Aminis Vermächtnis
Jina Mahsa Amini ist nicht die erste Iranerin, die mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet wurde. Im Jahr 2012 wurden die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh und der Filmemacher Jafar Panahi ebenfalls vom Europäischen Parlament geehrt.
Als Sotoudeh der Sacharow-Preis verliehen wurde, verbüßte sie gerade eine sechsjährige Haftstrafe im berüchtigten iranischen Evin-Gefängnis. Später sagte sie der DW, der Preis habe sie noch im Gefängnis in ihrem Kampf für die Sache bestärkt.
Heute würdigt die damalige Preisträgerin die neue Preisträgerin im Gespräch mit der DW : "Ich bin überzeugt, dass Mahsa als Auslöserin einer flächendeckenden Frauenbewegung diesen Preis verdient hat." Und Sotoudeh fügte hinzu: "Ich glaube, dass die Auszeichnung zur Fortsetzung einer Bewegung beitragen wird, an der Menschen aller Ethnien, Religionen und unterschiedlicher Ideologien teilnehmen. Ich kann mir keine andere Wirkung dieses Preises vorstellen, als diese Bewegung zu stärken und ihre Kontinuität zu gewährleisten."
Preise für einen anderen Iran
Anfang Oktober wurde bekannt, dass die ebenfalls inhaftierte iranische Aktivistin Narges Mohammadi mit dem Friedensnobelpreis "für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und für Menschenrechte und Freiheit aller" ausgezeichnet wurde.
Die Menschenrechtsaktivistin Shirin Ebadi, Friedensnobelpreisträgerin 2003, sagte dazu im DW-Interview, die Vergabe des Friedensnobelpreises an Mohammadi werde "die internationale Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtsverletzungen im Iran lenken, insbesondere auf die Diskriminierung von Frauen."
Frauen, Leben, Freiheit im Iran
Frauen im Iran müssen mit schweren Konsequenzen rechnen, wenn sie in der Öffentlichkeit ihre Haare zeigen. Ohne Kopftuch aus dem Haus zu gehen ist nach einem strengen "Moralkodex" verboten. Die Regeln werden von umherstreifenden Polizeitrupps, insbesondere aber der Sittenpolizei, durchgesetzt.
Anfang dieses Monats wurde der Welt erneut vor Augen geführt, welcher Brutalität iranische Frauen ausgesetzt sind. Augenzeugen zufolge wurde ein 16-jähriges Mädchen von der sogenannten Sittenpolizei in der Teheraner U-Bahn ins Koma geprügelt, weil sie keinen Hidschab trug.
"Seit der Gründung der Islamischen Republik im Iran im Jahr 1979 werden Frauen systematisch unterdrückt. Diejenigen, die sich nicht anpassen, werden bestraft", sagte Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi in einem Interview mit der DW im Juni 2021, das vor Antritt ihrer letzten Haftstrafe geführt wurde. "Frauen wie ich, die sich wehren, und andere Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten widersetzen sich diesem System. Die Machthaber versuchen alles, um uns zu brechen und zum Schweigen zu bringen."
Mohammadis Ehemann, Taghi Rahmani, sagte der DW im Juni, "zivile Institutionen im Ausland werden Druck auf die westlichen Regierungen ausüben, damit diese die Menschenrechte als einen der wichtigsten Aspekte in ihren Beziehungen zum Iran betrachten." Und weiter: "Die Regierungen sollten verstehen, dass Freiheit in einer globalisierten Welt ein Thema von internationaler Bedeutung ist", fügte er hinzu.
Rückblick auf frühere Sacharow-Auszeichnungen
Der nach dem sowjetischen Physiker und politischen Dissidenten Andrej Sacharow (1921-1989) benannte Preis wird seit 1988 jährlich an Personen und Organisationen verliehen, die sich für Menschenrechte und Grundfreiheiten einsetzen.
Nelson Mandela erhielt den ersten Sacharow-Preis 1988, zusammen mit dem sowjetischen Menschenrechtsaktivisten Anatoli Marchenko. Mandela saß damals noch im Victor-Verster-Gefängnis in Kapstadt. Der Anti-Apartheid-Aktivist kam erst 1990 nach 27 Jahren Haft frei. Marchenko war 1988 bereits tot.
Im Jahr 2013 wurde die Pakistani Malala Yousafzai die jüngste Sacharow-Preisträgerin aller Zeiten. Die 16-jährige Aktivistin wurde für ihren Einsatz für die Bildung von Mädchen ausgezeichnet.
Zu den letzten Preisträgern des Sacharow-Preises gehören die demokratische Opposition in Weißrussland unter der Leitung von Swjatlana Zichanouskaja (2020), der russische Anti-Korruptions-Aktivist Alexei Nawalny (2021) und im vergangenen Jahr die Menschen in der Ukraine, die nach der russischen Invasion 2022 "Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit" schützen, so das Preiskomitee.
Mitarbeit: Farsi-Redaktion der DW
Aus dem Englisch adaptiert von Dang Yuan.