Sag einfach Du zu mir
20. Januar 2013Gutes Benehmen hat in Deutschland einen Namen: Freiherr Adolph Knigge. Er schrieb Ende des 18. Jahrhunderts ein Werk und gab ihm den vielsagenden Titel "Über den Umgang mit Menschen". Irrtümlicherweise hält sich bis heute die Vorstellung, Knigges Buch sei ein Benimmratgeber. Das ist zwar ein Mißverständnis, denn Knigges Schrift ist eher eine soziologische Abhandlung. Doch bis heute gilt Knigge als DIE Institution für gute Umgangsformen. Hans-Michael Klein ist Vorsitzender der Deutschen Knigge-Gesellschaft. Er gibt Seminare in Sachen Umgangsformen, wozu selbstredend auch der korrekte Umgang mit dem förmlichen Sie und dem vertraulichen Du gehört.
Der Fachmann unterscheidet ganz grundsätzlich zwei Lebensbereiche. "Für beide gelten komplett unterschiedliche Regeln: Im Privaten bietet immer der Ältere dem Jüngeren das Du an - ganz gleich ob Mann oder Frau." Im Berufsleben zählt hingegen nicht das Alter, sondern die Stellung innerhalb der Unternehmenshierarchie, erklärt Klein: "Demnach muss immer Chef oder Chefin den Angestellten das Du anbieten – egal wer älter und wer jünger ist. Wenn man sich hingegen auf Augenhöhe begegnet, zum Beispiel zwei Abteilungsleiter, dann bietet der Kollege mit der längeren Betriebszugehörigkeit das Du an“, erläutert Klein. Klingt logisch und eingängig.
Das Du und seine Tücken
Doch der Teufel steckt wie immer im Detail. Ein Du ist längst nicht gleich Du: Es gibt das sogenannte "Hamburger Du", was an sich schon irritiert, denn eigentlich handelt es sich dabei um eine Regel für das Siezen in Kombination mit dem Vornamen. Beispiel: "Markus, könnten Sie mal bitte…" Klassischerweise wird das Hamburger Du in sogenannten "asymmetrischen Beziehungen" angewendet, also wenn der Chef den Mitarbeiter ruft. Asymmetrisch, weil der Chef auf der beruflichen Hierarchie höher steht, und weil die Anredeweise nur in eine Richtung funktioniert: Der Mitarbeiter wäre schlecht beraten, das Hamburger Du umgekehrt auf den Chef anzuwenden…
Die Bayern sind bekanntermaßen ein eigenes Völkchen, weswegen es eine bajuwarische Spezialität auch beim Duzen gibt. In der Landeshauptstadt pflegt man das sogenannte "Münchner Du": Es handelt sich dabei um das komplette Gegenteil des Hamburger Du, denn hier wird das "Du" mit dem Familiennamen kombiniert. Beispiel: "Huber, komm' geschwind einmal her."
Aufbauend auf dem Münchener Du gibt es noch das "Kassiererinnen-Du", das sehr situationsgebunden angewendet wird: Die Kassiererin weiß den Preis eines Artikels nicht, also brüllt sie über die Köpfe der Leute hinweg, quer durch den Laden: "Frau Meier, weißt Du, was die Birnen kosten?"
Ein weiteres, ganz besonderes Du ist das Genossen-Du, also die Anrede unter Anhängern der Sozialdemokratie: Man duzt sich, denn man ist Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft Gleichgesinnter. Einer Anekdote zufolge traute sich einst ein schüchterner Parteigenosse nicht, den inzwischen verstorbenen, für seine bärbeißige Art bekannten Herbert Wehner ganz unfeierlich zu duzen. Also fragte er ihn, ob er ihn duzen dürfte. Die Antwort Wehners war wenig hilfreich: "Das können Sie halten, wie Du willst."
Die Anrede als Spiegel der Gesellschaft
Konventionen zur Anrede unterliegen einem Wandel, erläutert Holger Klatte, Sprecher des Vereins Deutsche Sprache: "Die Anredeform war und ist stets Ausdruck einer sich ändernden Gesellschaft und der Dynamik innerhalb einer Gruppe, der man sich zugehörig fühlt." Damit seien die Anredeformen ein Spiegel der Gesellschaft.
Denn Wechsel in den Anredeformen lassen sich schon im Mittelalter dokumentieren. "Damals wurden höhergestellte Personen mit 'Ihr' angesprochen, also in der zweiten Person Plural", sagt Klatte. Später wurden in der sozialen Hackordnung Höherstehende in der dritten Person Singular mit "Er" oder "Sie" angesprochen. "Hat der Herr wohl geruht?" In der frühen Neuzeit kam der Absolutismus in Mode, wonach der Monarch eine allumfassende Machtfülle beanspruchte. Um dies zu betonen, ließ er sich mit dem sogenannten "pluralis majestatis" anreden, also "Er" oder "Sie" in Kombination mit der dritten Person Plural: "Haben Eure Majestät wohl geruht? Wünschen Er ein morgendliches Bad?"
Duzen heute
Heute ist der Umgang mit dem Du sehr viel freier als früher. Besonders dynamisch ist das Du in der Werbung: Marketing-Experten, die naturgemäß das Beste der Kundschaft wollen, überlassen nichts dem Zufall, daher auch nicht die Wahl der Anredeformen. Bei der Werbung für ein teures Produkt heißt es eher: "Machen Sie eine Probefahrt", "Gönnen Sie sich ein Wellness-Wochenende", "Genießen Sie das reichhaltige Buffet". Ein bekannter schwedischer Möbelanbieter wirbt hingegen für seine Produkte: "Wohnst du noch oder lebst du schon?" Das Du signalisiert in diesem Falle eine Verbundenheit, eine Zugehörigkeit zur Gemeinschaft derer, die es gerne heimelig haben.
Ein Du kann aber auch beleidigend, weil respektlos aufgefasst werden. Als Deutschlands wohl bekanntester TV-Rüpel Dieter Bohlen vor einigen Jahren einen Polizisten duzte, landete der Fall vor Gericht. Zu seiner Verteidigung führte Bohlen an, das Duzen gehöre zu seinen normalen Umgangsformen. Das Gericht folgte der Argumentation. Gut für Bohlen, er hätte sonst 500 Euro zahlen müssen, was für ihn sicherlich verschmerzbar gewesen wäre.
Doch ist die Causa Bohlen nun ein typischer Fall von Prominenten-Bonus? Oder anders gefragt: Dürfen normale Menschen Beamte duzen? "Je nachdem", sagt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer von der Kölner Staatsanwaltschaft. "Ob und wann eine Beleidigung vorliegt, wird in Paragraph 185 Strafgesetzbuch geregelt. Nach herrschender Rechtsauffassung würde das Duzen eines Polizisten als solches den Beleidigungs-Straftatbestand nicht erfüllen, sondern es muss eine ehrverletzende Absicht vorliegen." Es kommt also mal wieder auf den Einzelfall an…
Vorsicht: Falle
Die wahren Fallstricke lauern indes nicht beim Umgang mit Sie und Du als solchen, sondern beim Übergang vom Sie zum Du. Benimm-Experte Klein schildert die drei schlimmsten Pannen:
Platz Eins: Auf der ausgelassenen feucht-fröhlichen Betriebsfeier bietet der Chef das Du an. Doch was ist am nächsten Arbeitstag? Hält der Vorgesetzte das Angebot aufrecht? Wird er sich überhaupt erinnern? Hans-Michael Klein rät: "Am besten eine direkte Ansprache vermeiden und eine unpersönliche Anrede verwenden. Zum Beispiel: 'Wollten wir nicht heute über Thema XY sprechen?'“ In jedem Falle müsse der Mitarbeiter abwarten, wie der Chef reagiere. "Es ist ein absolutes Tabu, den Vorgesetzten an das Duz-Angebot zu erinnern", sagt Klein.
Platz Zwei: "Niemals darf man als älterer Mitarbeiter dem jüngeren Chef das Du anbieten“, sagt Klein. Die Initiative müsse in jedem Falle vom Vorgesetzten ausgehen, ganz unabhängig von dessen Alter.
Platz Drei: Ein angebotenes Du dürfe man keinesfalls schroff abweisen. Wenn man schon ein Du ablehne, dann müsse man seinem Gegenüber wenigstens die Möglichkeit geben, das Gesicht zu wahren. Klein rät: "Sagen Sie in diesem Fall: 'Ich freue mich über das Angebot und die entgegengebrachte Wertschätzung, bitte aber um die Chance, Sie noch besser kennenzulernen.’"
Hans-Michael Klein gibt den Teilnehmern seiner Benimm-Seminare immer eine goldene Regel an die Hand: "Reagieren Sie stets adäquat." Also: Bloß nicht unangenehm auffallen! Diese Benimmregel ist universell, leicht zu merken und gilt nicht nur beim Duzen.