Sanfte Töne vom Kap der Guten Hoffnung
13. September 2019Aus Südafrika kommen derzeit vor allem schlechte Schlagzeilen: Von Gewalt und Ausländerhass ist da die Rede, von Frauenfeindlichkeit und von Mord. Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Apartheid wird das Land erneut von Problemen erschüttert, die den Sieg von Demokratie und Versöhnung verblassen lassen.
Trotz dieser schwerwiegenden Rückschläge haben viele Menschen den tiefen Wunsch, ihre Unterschiede zu überwinden und sich über kulturelle und ideologische Grenzen hinwegzusetzen - mit der Kreativität als universeller Sprache der Begegnung. Die Deutsche Welle unterstützt eine Initiative, die mit Hilfe der Musik genau das versucht zu erreichen: Im Rahmen der Partnerschaft mit dem Beethovenfest lädt die DW jedes Jahr Musiker aus aller Welt nach Bonn ein, um an einem einzigartigen Musik-Austauschprogramm teilzunehmen: dem Campus-Projekt.
Musik als Sprache der Kulturen
Nachdem in den letzten Jahren junge Menschen aus China, Mexiko, der Ukraine und Indien in Bonn begrüßt wurden, liegt der Schwerpunkt 2019 auf Südafrika.
Zur Eröffnung des Campus-Konzerts im World Conference Center Bonn spricht der Südafrikanische Botschafter in Deutschland, Phumelele Stone Sizani. Die Musik habe in seinem Land seit jeher eine zentrale Rolle zwischen den vielen Kulturen gespielt, erklärt er dem Publikum.
"Musik ist eigentlich Teil von allem, was wir tun, und sie hatte einen großen Einfluss auf mein Leben. Ich weiß mittlerweile aber auch, dass die Musik überall eine universelle Sprache ist." Menschen, die die lokale Musik in die Welt tragen, seien genauso Botschafter der südafrikanischen Kultur wie er, so Sizani.
Andere Länder, andere Sitten
Das Konzert beginnt pompös mit William Waltons "Johannesburg Festival Ouvertüre für Orchester", geschrieben im Jahre 1956. Das symphonische Stück vereint klassische Melodien mit afrikanischen Rhythmen, für die ein eigens erweiterter Bereich für Perkussionsinstrumente zum Einsatz kommt. Waltons Meisterwerk spiegelt die verschiedenen Einflüsse und Traditionen des Landes vielschichtig wieder und erinnert dabei an erstklassige Filmmusik.
Aufgeführt wird das Stück vom Bundesjugendorchester, dessen begabte Instrumentalisten im Alter von 14 bis 19 Jahren auch alle anderen Interpreten des Abends begleiten. Angeführt wird das Ensemble von Brandon Phillips, dem charismatischen Dirigenten des Cape Town Philharmonic Orchestra.
Anschließend betreten die Stars des Abends die Bühne. Dieses Jahr treffen zwei einmalige A-cappella-Gruppen aufeinander: Just 6, sechs junge Männer aus Johannesburg, und Sjaella, sechs junge Frauen aus Leipzig. Die beiden Gruppen zeichnen sich nicht nur durch ihre verschiedenen musikalischen Traditionen, sondern vor allem auch durch ihre unterschiedlichen Herangehensweisen an die Stimmtechnik aus:
Bei Just 6 gibt es den traditionellen isicathamiya-Gesang des Zulu-Stamms zu hören, die sechs Damen von Sjaella konzentrieren sich dagegen hauptsächlich auf geistliche Musik aus Europa. Beim gemeinsamen Auftritt auf der Bühne scheinen die verschiedenen Stimmen der Sängerinnen und Sänger allerdings zu einem melodischen Zusammenspiel zu verschmelzen, das die Kulturen, Sprachen und Musikstile Südafrikas und Deutschlands in sich vereint.
"Obwohl die Sjaella-Frauen in der klassischen Tradition ausgebildet sind und Just 6 nach Gehör singen, haben sie musikalisch einfach unglaublich gut zueinander gepasst", erzählt Campus-Projektleiter Thomas Scheider. "Von Beginn an waren sie voneinander fasziniert, von ihren unterschiedlichen musikalischen Hintergründen. Just 6 von der technischen Perfektion der Frauen - und diese vom weichen, federnden Klang der Jungs, die alles nach Gehör singen."
Ganz im Sinne Beethovens
Im Laufe des Abends führt das Bundesjugendorchester auch drei Stücke des südafrikanischen Komponisten Hendrik Hofmeyr auf, außerdem ein sinnliches Orchesterstück mit dem Titel "Fatse la heso" (Mein Land) des südafrikanischen Komponisten Michael Mosoeu Moerane.
Da das Konzert Teil des Beethovenfests ist, kommen auch zwei Clärchen-Lieder des in Bonn geborenen Komponisten zur Aufführung. Die Intendantin des Beethovenfestes, Nike Wagner, meint, dass das Beethovenfest den perfekten Rahmen für einen solchen internationalen Austausch von Musikstilen biete und Beethovens Glauben an die menschliche Einheit und das friedliche Zusammenleben unterstreiche:
"(Es gibt) europäisch gesinnte Klangkörper in Südafrika. Ich wusste auch, dass das Land außerordentlich vielsprachig ist, und dass sie dort den Gesang lieben, sodass sich da besondere Gesangskulturen herausgebildet haben. Es gibt also diese beiden Musiktraditionen in Südafrika - und das ist eine ganz fantastische Tatsache, da ich denke, dass wir darin eine Art demokratisches Gelingen auch sehen dürfen."
Weltpremiere in Bonn
Im Rahmen des Campus-Projekts gibt die DW jedes Jahr ein neues Musikstück in Auftrag, welches dann beim Beethovenfest vorgetragen wird. Dieses Jahr wurde der südafrikanische Komponist Tshepo Tsotetsi damit beauftragt. Zum krönenden Abschluss des Abends wurde das Stück vom Bundesjugendorchester - mit Hilfe von Just 6 und Sjaella - uraufgeführt.
Der 29-jährige Komponist und Saxophonist schilderte der DW vor dem Konzert, dass er schon seit Monaten an der Komposition mit dem Titel "Birth of Change" (Geburt der Änderung) arbeite. Tsotetsi betont, dass er mit seinem Stück Aufmerksamkeit auf die "nicht so sichtbaren Menschen in unserer Gesellschaft" lenken wolle, die unbemerkt unseren Alltag erleichtern.
"In dem Stück erzähle ich die Geschichte eines Bäckers und darüber, wie der Erfolg seines kleinen Unternehmens davon abhängt, dass er immer wieder neue Wege finden muss, um seine Arbeit zu erledigen. Oder stellen Sie sich den Job einer Putzfrau mal vor. Das ist kein glamouröser Beruf. Aber in meinem Leben habe ich schon so viele Reinigungskräfte getroffen, die dennoch glänzende Persönlichkeiten waren und die optimistischste Einstellung zum Leben überhaupt hatten", schwärmte der junge Komponist im Gespräch mit DW.
Der dritte Satz der Komposition war ein besonderer Publikumsliebling: der sich wiederholende Text "My bread is so delicious" (Mein Brot ist so lecker) in Anlehnung an den soeben erwähnten Bäcker unterhielt und bewegte das Publikum zu gleichen Teilen.
Ein magischer Abend
Tshepo Tsotetsis Begeisterung ist schon fast ansteckend: "Es ist schon magisch zu sehen, wie diese Menschen aus zwei verschiedenen Ländern ihre Klänge miteinander verflechten und dabei doch an dem afrikanischen Einfluss festhalten. Und überhaupt mitzuerleben, wie gut alle miteinander klarkamen und arbeiteten, war so ziemlich das Beeindruckendste, was ich seit langem erlebt habe", meinte er der DW gegünuber.
Das Publikum, die Organisatoren und das Jugendorchester scheinen aber genau dieses Gefühl mit ihm auch geteilt zu haben. Das Wort, das nach dem Konzert im Foyer des World Conference Center Bonn unter den Zuschauern am meisten zu hören war, ist schließlich ebenfalls das kleine Adjektiv "magisch."
Genau diese magischen Momente teilen die Interpreten des Campus-Projekts 2019 an diesem Freitag noch einmal mit einem Publikum in Berlin.