Sanfter Staatsstreich in Polen?
25. November 2015Schon die personelle Besetzung des Kabinetts von Beata Szydło war eine Überraschung, vor allem wegen der Posten des Verteidigungsministers und des Koordinators der Geheimdienste. Der erste, Antoni Macierewicz, gilt, neben dem Chef der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Jarosław Kaczyński, als der Hardliner im Kurs zu Moskau. Eifrig verbreitet er Verschwörungstheorien um das Thema Smoleńsk. Am 10. April 2010 starben bei einem Flugzeugabsturz bei Smoleńsk zahlreiche ranghohe polnische Würdenträger, unter ihnen Staatspräsident Lech Kaczyński. Szydło versprach im Wahlkampf, Macierewicz würde nicht in die Regierung kommen, da sie befürchtete, er würde zu viele mäßig konservative Wähler verschrecken. Jetzt ist er aber doch im Amt.
Der neue Geheimdienstkoordinator heißt Mariusz Kamiński und war früher Chef der Antikorruptionsbehörde CBA. Im März verurteilte ihn ein Gericht in erster Instanz wegen Amtsmissbrauchs zu drei Jahren Haft, drei Jahre lang durfte er auch kein öffentliches Amt bekleiden - Kamiński ging dagegen in Berufung. Die neue Regierungschefin störte das aber nicht und sie holte ihn ins Amt. Sofort danach folgte die Begnadigung durch den Präsidenten.
Präsident gegen Gerichte
Kritiker befürchten, dass das beispiellose Vorgehen des Staatsoberhauptes andere Beamte dazu ermuntert, eine Partei zu unterstützen, die ihnen Immunität bei illegalen Einsätzen und Straffreiheit zusichert. Außerdem habe der Präsident gesetzeswidrig gehandelt, meint Piotr Kładoczny vom Vorstand der Helsinki-Stiftung in Warschau. "Der Präsident kann einen rechtskräftig Verurteilten begnadigen, aber nicht einen Angeklagten. Ebenso wenig kann er ein Gericht zur Einstellung eines weiteren Verfahrens bringen", sagt Kładoczny.
Inzwischen meldeten sich Richter des zuständigen Berufungsgerichts in Warschau zu Wort. In einem Beschluss heißt es, es sei unakzeptabel, wenn man die Justiz als politisches Instrument darstellt. Das Gremium erinnert an die Gewaltenteilung und schreibt: "Die Judikative und Exekutive dürfen nicht miteinander konkurrieren und der Präsident kann die Justiz nicht von ihren Verfassungspflichten entbinden."
Neue Verfassungsrichter
Doch was recht und was unrecht ist, sollen in Zukunft auch neue Verfassungsrichter entscheiden. Wenige Tage nach der Vereidigung des neuen Sejms jagte die regierende Partei eine Gesetzesnovellierung durch beide Parlamentskammern durch, die auch diese Instanz auf die eigene Linie bringen sollte.
Die Abgeordneten und Senatoren der PiS stimmten in einer nächtlichen Parlamentssitzung darüber ab, dass die kürzlich nominierten fünf Verfassungsrichter neu gewählt werden. Mit Hilfe der Kukiz 15-Fraktion gab es dafür die notwendige Zweidrittel-Mehrheit. Eine Anhörung von Verfassungsrechtlern gab es nicht. Die Opposition sprach von einem "schmählichen Staatsstreich gegenüber dem Verfassungsgericht" und verließ demonstrativ den Saal noch vor der Abstimmung. Änderungsvorschläge wurden abgelehnt.
"Es ist sehr beunruhigend, wie die neuen Machthaber vorgehen. Nachdem sie die Mehrheit im Parlament haben und das Präsidentenamt bekleideten, sieht es danach aus, dass sie sich das Verfassungsgericht unterordnen wollen. Das wäre fatal - das höchste Tribunal ist der Rückhalt der Rechtsprechung", sagt Kładoczny von der Helsinki Stiftung in Warschau.
Die Medien sollen einen nationalen Auftrag erfüllen
Jetzt greift die PiS auch nach der Vierten Gewalt - den Medien. Die ungenierte Art präsentierte der neue Kulturminister Piotr Gliński live im Fernsehen. Kurz vor der Theaterpremiere einer Jelinek-Inszenierung von "Der Tod und das Mädchen" in Breslau, drängte er die Verantwortlichen die Aufführung zu verhindern, da im Vorfeld von Porno-Szenen auf der Bühne die Rede war. "Porno mit Staatsgeldern für Kultur wird es nicht geben", hießt es. Als eine Fernsehmoderatorin im Sender TVP nach der rechtlichen Grundlage für die Drohung fragte, antwortete er ausweichend und sprach dann auch noch eine weitere Drohung aus: "Das ist ein Propagandaprogramm, so wie die Propaganda und Manipulation, die euer Sender seit Jahren betreibt. Bald wird das enden, denn das öffentliche Fernsehen darf so nicht funktionieren".
Die Journalistin darf seither das Programm nicht mehr moderieren und der Kulturminister kündigt an, die Reform des Mediengesetzes befände sich schon in "finaler Phase". Bekannt ist schon, dass staatliche Fernseh- und Rundfunksender, sowie die Polnische Presseagentur PAP in "nationale Kulturinstitutionen" umgewandelt werden. Die jetzigen Vorstände sollen schnell ausgetauscht und mit neuen Leuten besetzt werden und in Zukunft jederzeit abberufen werden können.
Drohung oder Szenario?
Die öffentliche Reaktion sei übertrieben, sagt Andrzej Grajewski, ein Journalist der konservativen Wochenzeitung "Gość Niedzielny". Tatsächlich seien die öffentlichen Medien in Polen seit Jahren stark politisiert, das würden auch die Wahlkampagnen zeigen, sagt Grajewski. Die Frage sei nur, ob es zu einer pluralistischen Besetzung der Gremien komme oder regierungsnahe Funktionäre einfach durch andere regierungsnahe Funktionäre ausgetauscht würden. Zu weiteren Plänen, etwa einer Ankündigung der PiS Politiker, man würde sich bemühen, das starke ausländische Kapital aus dem regionalen Zeitungsmarkt zu verdrängen, wobei vor allem deutsche Verlage gemeint sind, sagt Grajewski: "Das geht doch gar nicht, außer man würde sie aufkaufen".
Die meisten Maßnahmen sind Teil eines lange ausgetüftelten Plans, den die Konservativen "Programm zur Erneuerung der Republik" nennen. Es trägt die Handschrift des ideologischen Kopfes der PiS - Jarosław Kaczyński. Nachdem die neue Regierung nun erst 10 Tage im Amt ist, heißt es auch, die bisherigen Schritte seien erst der Anfang.