Santa Claus verdrängt das Christkind
24. Dezember 2002Dass an Weihnachten das Christkind Kindern und Erwachsenen Geschenke bringt, dieser Glaube gehört nicht gerade zu den zentralen Lehraussagen des Christentums. Historisch ist hier ein Brauch vom Fest des heiligen Nikolaus auf Weihnachten übergegangen.
In den Medien dominiert aber mittlerweile eindeutig Santa Claus, dieses künstliche amerikanische Abziehbild des Nikolaus. Für konservative Katholiken in Österreich Grund genug, Alarm zu schlagen. Auf einer österreichischen Website sammelt der "Verein Pro-Christkind" Unterschriften. Motto: "Rettet das Christkind - Stoppt den Weihnachtsmann". Eine solche Aktion mag skurril erscheinen – aber nur auf den ersten Blick. Denn die Bräuche verändern sich fortwährend, das ist das Normalste von der Welt.
Ein Kind kann keinen Geschenkesack tragen
Die erstaunliche Karriere des Weihnachtsmannes zu Lasten des Christkindes hat etwas damit zu tun, dass das Christentum heute weniger die Gesamtkultur prägt als früher. Weihnachten feiern nicht nur bekennende Christen. Die vollen Kirchen an Heiligabend beweisen: Das Fest bedeutet auch Zeitgenossen etwas, die sonst selten an Gottesdiensten teilnehmen oder die von sich sagen, sie seien Agnostiker.
Da verwundert es nicht, dass der säkularisierte Weihnachtsmann einen Siegeszug angetreten hat. Hinzu kommt: Der Weihnachtsmann ist in unserer bilderverwöhnten Welt möglicherweise anschaulicher als das Christkind. Dem Kind in der Krippe kann man schließlich keine Säcke mit Geschenken auf den Rücken laden. Und der erwachsene - wie Martin Luther sich ausdrückte - "heilige Christ", und niemand anders ist mit dem verniedlichenden Christkind gemeint, eignet sich weniger als süßlicher Lebkuchen-Verteiler.
Import von Weihnachtsbräuchen
Außerdem kann die christliche Religion heute weniger denn je beanspruchen, für das Weihnachtsbrauchtum allein zuständig zu sein. Mächtige Einflussnehmer sind hier mit am Werk. Nicht zuletzt die Wirtschaft. Auch eine zunehmend globalisierte Kultur, also Einflüsse aus anderen Ländern und Kulturräumen. Und dieser Einfluss wird noch wachsen.
Die Christen und die Kirchen mögen es bedauern, dass der Weihnachtsmann bei vielen Zeitgenossen die Nachfolge des Christkinds angetreten hat - daran wird sich aber realistischerweise kaum etwas verändern lassen. Das heißt freilich nicht, dass ihnen nur die Möglichkeit bliebe, der Verdrängung des eigenen Brauchtums tatenlos zuzusehen. Die Kirchen kommen nicht umhin, künftig deutlicher zu sagen, was nach ihrem Verständnis Feste wie Advent und Weihnachten wollen und was eben nicht.
Zweckentfremdetes Fest
Den Kulturkampf, den manche konservative Christen bereits heraufziehen sehen, muss es dennoch nicht geben. Die christlichen Feste stehen nicht erst heute in der Gefahr, für Ziele herhalten zu müssen, die nur wenig mit dem Glauben an den Gott der Bibel zu tun haben. Religion gibt es nicht nur in Reinnatur. Auch die schönste Kathedrale wurde nie nur zur höheren Ehre Gottes gebaut.
Die Bedürfnisse und Sehnsüchte der Menschen hinter den Bräuchen, also hinter dem Christkind nicht anders als hinter dem Weihnachtsmann, sind jedenfalls sehr verwandt. Nämlich die Hoffnung, das Licht einst über das Dunkel siegen zu sehen.