Scharfe Töne aus Moskau
30. Dezember 2016Auf den Paukenschlag in Washington folgt ein Sturm der Entrüstung in Moskau.
Drei Wochen vor seinem Ausscheiden aus dem Amt bestraft der amerikanische Präsident Barak Obama Russland für die mutmaßlichen Hackerangriffe auf die USA mit Sanktionen und massenhafter Diplomatenausweisung - und russische Politiker sparen nicht mit ungewöhnlich scharfen Reaktionen. So spricht der frühere Staatspräsident und heutige Ministerpräsident Dmitri Medwedew in seinem Tweet von "antirussischer Agonie".
Schlimmer als eine lahme Ente
Auch Konstantin Kossatschow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Föderationsrat, dem russischen Oberhaus, nimmt dieses Wort in den Mund. "Das ist nicht einmal die Agonie von lahmen Enten, sondern die von politischen Leichen", erklärt er gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur TASS in Anspielung auf die amerikanische Tradition, den scheidenden Präsidenten als "Lame Duck" zu bezeichnen. Obama, so der einflussreiche russische Außenpolitiker, setze die Reputation der USA als "adäquaten Staat, der politische Kontinuität bei der Machtübergabe gewährleistet", aufs Spiel.
Die Sprecherin des Außenministeriums Maria Sacharowa twittert, das amerikanische Volk sei von seinem eigenen Präsidenten erniedrigt worden. Die ganze Welt beobachte zur Zeit, wie eine Gruppe "erbitterter und engstirniger außenpolitischer Versager" dem Ansehen der USA und seiner Führungsrolle einen "vernichtenden Schlag" versetze.
"Da hat sich eindeutig viel angestaut"
Kremlnahe Politologen suchen nach Motiven für Obamas Entscheidung, wobei sie bezeichnenderweise den offiziellen Grund, die Vergeltung für Hackerangriffe, praktisch ausblenden. So meint Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift "Russland in der globalen Politik" und Vorsitzender des formal unabhängigen "Rates für Außen- und Sicherheitspolitik", Barak Obama habe zum Ende seiner Präsidentschaft endlich die Möglichkeit bekommen, seine wahre Meinung über einige langjährige Gesprächspartner auf der internationalen Bühne kundzutun.
Zuerst, so der Experte, gab es die beispiellose Entscheidung, im UN-Sicherheitsrat die Resolution gegen den israelischen Siedlungsbau nicht zu blockieren. "Dies ist das Ergebnis einer langen Abneigung Obamas gegen (den israelischen) Premier Benjamin Netanjahu". Nun, sagt Lukjanow, folge ein diplomatischer Krieg gegen Russland im Stil der 70er Jahre. "Da hat sich eindeutig viel angestaut, aber früher wollte, konnte oder traute sich der US-Präsident nicht, all dem freien Lauf zu lassen".
"Klare Absicht, Russland schaden zu wollen"
Pavel Podlesny, ein führender Experte im Institut für USA- und Kanadastudien der Russischen Akademie der Wissenschaften, meint dagegen, in der amerikanischen Elite gebe es viele Beleidigte, die nicht damit klarkämen, dass "die Mechanismen der Beilegung des Syrien-Konflikts ohne die USA ausgearbeitet werden und dass Moskau als einer der Vermittler in diesem Prozess auftritt". Mit anderen Worten, die Hacker-Sanktionen sind nach Meinung des Experten zumindest teilweise eine Reaktion auf den jüngsten russisch-türkisch-iranischen diplomatischen Vorstoß Wladimir Putins zur Befriedung Syriens.
Das Hauptziel der Sanktionen sieht Pavel Podlesny darin, "Russland möglichst viele Probleme zu bereiten". Eine weitere Absicht Obamas sei, seinem Nachfolger, Donald Trump, den außenpolitischen Start zu erschweren. Fjodor Lukjanow sieht das genau so: Trump und sein Außenminister würden nun in den amerikanisch-russischen Beziehungen zwangsläufig "auf einem noch viel tieferen Punkt beginnen müssen, als vorher".
Dabei ging der Experte allerdings davon aus, dass Moskau, wie in solchen Fällen üblich, mit der Ausweisung einer gleichen Zahl von amerikanischen Diplomaten antworten würde. Die Tatsache, dass Wladimir Putin einen entsprechenden Vorschlag seines Außenministeriums ablehnte, relativiert die Befürchtung einer substantiellen Verschlechterung der Ausgangslage für die Beziehung zwischen dem russischen und dem künftigen amerikanischen Präsidenten.
Schwierige Lage für Trump
Auch der liberale Oppositionspolitiker und ehemalige Duma-Abgeordnete Dmitri Gudkow sieht in Obamas Entscheidung hauptsächlich innenpolitische Motive. Es sei im Interesse der scheidenden Administration gewesen, "diesen Skandal zu initiieren". Zum einen, "um Trump in eine schwierige Lage zu versetzen, denn eine schnelle Rücknahme dieser Sanktionen nach seinem Amtsantritt würde Gerüchte befeuern, Putin habe ihm im Wahlkampf geholfen".
Außerdem, so der bekannte russische Oppositionelle im Gespräch mit der DW, sei es nur menschlich, wenn jemand versuche, seine Niederlage anderen in die Schuhe zu schieben. Die Demokraten mit Obama an der Spitze wollten sich mit diesen Sanktionen in gewissem Sinne für den verlorenen Wahlkampf rechtfertigen, auch gegenüber ihren Sponsoren, meint Dmitri Gudkow. Auf das eigentliche Thema, die Hackerangriffe, geht auch er wenig ein. Deren Bedeutung sei seiner Überzeugung nach bei weitem nicht so groß, wie manche behaupteten.