Schengen-Routing gegen Datenschnüffler
19. Februar 2014Die Abkürzung "www" bedeutet "world wide web", steht also für ein weltweites und damit grenzenloses Netz. Doch die massenhafte Ausspähung des Internetverkehrs durch die NSA, die in den vergangenen Wochen für massive Verstimmungen im Verhältnis zu den USA geführt hat, fördert offenbar Überlegungen, den Datenverkehr stärker in nationale Bahnen zu lenken. Dass es dafür schon sehr konkrete Pläne gibt, bestätigte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer wöchentlichen Podcast-Ansprache: Sie wolle in diesen Tagen mit der französischen Regierung unter François Hollande darüber sprechen, wie ein europäisches Kommunikationsnetzwerk aufgebaut werden könnte, um die Überwachung durch US-Geheimdienste zu umgehen.
Schengen-Regeln für Datenpakete?
Den Aufbau eines europäischen Datennetzwerks hat die Deutsche Telekom, eines der größten Telekommunikationsunternehmen Europas mit Sitz in Bonn, bereits vor einigen Wochen in die Diskussion gebracht. Im realen Leben regelt das so genannte Schengen-Abkommen den freien Grenz- und Warenverkehr innerhalb Europas. Allerdings umfasst der Schengen-Raum nicht alle EU-Länder - auf diese Weise könnte im Rahmen eines "Schengen-Routing" Großbritannien elegant umgangen werden, dessen Geheimdienst GCHQ sich selbst als eifriger Horchposten innerhalb der EU hervorgetan hat.
In verschiedenen Internetforen machen sich Netzaktivisten bereits über das so genannte "Schlandnet" (als Kurzform für "Deutschlandinternet") lustig. Vertragen sich nationale Grenzen überhaupt mit der weltumspannenden Idee des Internets? Dominique Petersen vom Institut für Internet-Sicherheit der Westfälischen Hochschule bezweifelt das. Das Netz sei nun einmal nicht von Staaten aufgebaut worden, sondern habe von Anfang an eine globale Struktur gehabt: "Die riesigen Server der Internetfirmen stehen meistens im Ausland, und die Provider schicken die Datenpakete über verschiedene Länder." Man könne zwar erreichen, dass der innereuropäische Datenverkehr auch in Europa bleibt - aber er mache eben nur einen kleinen Teil des Internetverkehrs aus: "Wenn ich zum Beispiel auf Facebook surfe, auf Amazon einkaufe oder mich auf anderen großen Portalen bewege, dann verlassen die Daten ohnehin den deutschen und auch den europäischen Raum."
Europäisches Netzwerk: Sinnlos, aber teuer?
Philipp Blank, bei der Deutschen Telekom zuständig für Netzsicherheit und Datenschutz, verteidigt dagegen den Vorstoß für ein "Schengen-Routing": Es gehe keineswegs darum, den Internetverkehr in Ländergrenzen zu pressen: "Wir fragen nur: Warum muss eine Email von Bonn nach Berlin über New York nach London geleitet werden?" so Blank im DW-Interview und verweist auf das Beispiel USA: "Dort ist längst umgesetzt worden, dass der nationale Internetverkehr, also der, bei dem sich Absender und Empfänger in den USA befinden, nicht über das Ausland geleitet wird."
Dominique Petersen vom Institut für Internet-Sicherheit bezweifelt allerdings, dass ein eigenes europäischen Kommunikationsnetzwerk tatsächlich zu mehr Datensicherheit führen würde: "Mag sein, dass man es damit ausländischen Nachrichtendiensten schwerer macht, die nicht das technische Potenzial haben wie amerikanische oder britische Geheimdienste", meint der Wissenschaftler. "Aber beispielsweise für die NSA wäre das überhaupt kein Problem, in Europa oder hier in Deutschland irgendwelche Abhörstationen aufzubauen." Aus seiner Sicht wäre ein "Schengen-Routing" nicht nur weitgehend nutzlos, sondern auch eine teure Angelegenheit: Denn im Moment suchen sich die Internetrouter nicht nur den schnellsten, sondern auch den günstigsten Weg für die Datenpakete, die sie rund um den Globus schicken. Wenn sie nun gezwungen sind, innerhalb Europas zu bleiben, könnte das Surfen im Internet für die Kunden teurer werden.
Europäische Firmen wittern Marktvorteile
Ohnehin sieht sich die Deutsche Telekom mit dem Vorwurf konfrontiert, vor allem den eigenen Profit im Blick zu haben. "Die Telekom wäre sicherlich ein starker Gewinner dieses Schengen-Routings", glaubt auch IT-Experte Dominique Petersen. Europäische Internetfirmen könnten zumindest eine kleine Chance wittern, gegenüber der starken US-amerikanischen Konkurrenz an Boden gut zu machen. Der NSA-Abhörskandal bietet gerade Deutschland die Chance, sich als vertrauenswürdiger IT-Standort zu profilieren.
Telekom-Sprecher Philipp Blank weist das aber weit von sich: "Für uns gäbe es keine nennenswerten zusätzlichen Einnahmen", betont er - es gehe seinem Unternehmen lediglich darum, das durch die Spähaffäre verloren gegangene Vertrauen der Internetnutzer zurückzugewinnen. Doch um das zu erreichen, müsse man den Menschen erst einmal klar machen, wie unsicher das Surfen im Internet tatsächlich ist, meint Datenexperte Dominique Petersen: "Emails sind ja quasi wie Postkarten, die ich verschicke: Die kann unterwegs jeder lesen, der sie in die Finger bekommt. Das gilt eben auch dann, wenn sie nur innerhalb Deutschlands verschickt werden."
Das einzige Gegenmittel: die Verschlüsselung der Daten. "Denn dann ist es egal, welche Wege die Datenpakete nehmen und was unterwegs mit ihnen passiert." Noch ist der Internetverkehr in Europa aber weit davon entfernt, standardmäßig verschlüsselt zu werden: Wer seine Mails sicher verschicken will, muss sich in aller Regel selbst darum kümmern und eine entsprechende Verschlüsselungssoftware einsetzen.