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Politik

Schießen statt sprechen: Polizeiausbildung in den USA

Romina Spina
31. Oktober 2016

Wenn es um das Training von Beamten in den USA geht, besteht zwischen den landesweit 18.000 Polizeibehörden wenig Konsens. Romina Spina berichtet aus Fairfax County über Reformer und ihre Herausforderungen.

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Polizeischüler und Dozent in einem Unterrichtsraum (Fairfax County Police Department)
Bild: Fairfax County Police Departmen

Edwin Roessler war gerade in Fairfax County zum Polizeichef ernannt worden, als ein Mann bei einer Schießerei getötet wurde. Der Schütze: einer von Roesslers Beamten. Die Einwohner der Stadt gingen auf die Straße, protestierten gegen die Gewalt, und Roessler begriff, dass er den Kurs ändern musste. Seine 1300 vereidigten Polizeibeamten brauchten eine neue Denkweise.

Die Schießerei war im August 2013, genau ein Jahr vor dem Tod von Michael Brown, einem schwarzen Teenager, der in Ferguson von einem weißen Polizeibeamten erschossen wurde. Seitdem rissen die Berichte über männliche Afroamerikaner, die von Polizeibeamten getötet wurden, nicht ab und offenbarten einen tiefen Riss zwischen der Polizei und einem Teil der Gesellschaft. Rufe nach Reformen wurden lauter. Damals hatten die Verantwortlichen des Polizeipräsidiums in Fairfax County von sich aus damit begonnen, den exzessiven Waffengebrauch zu hinterfragen. Wendepunkt war eine Ausbildungsreform. Die Beamten sollten fortan lernen, wie sie Vertrauen wiederherstellen und den Bewohnern ihrer Stadt besser zu Diensten sein könnten.

Das Ausbildung von Polizeibeamten ist in den USA der vielleicht schwierigste Aspekt für diejenigen, die die Polizei reformieren wollen. Das liegt vor allem daran, dass sich die Vorgaben für die Ausbildung von Bundesstaat zu Bundesstaat unterscheiden. Die Ausbildungsdauer zum Beispiel variiert von wenigen Wochen bis zu sechs Monaten. Laut Seth Stoughton, einem ehemaligen Beamten, gibt es nur wenige Untersuchungen zu den verschiedenen Arten des Polizeitrainings und deren Umsetzung. "Oft wissen wir gar nicht, wie effektiv die Ausbildung ist und ob das eine Training besser ist als das andere."

Zwei Bundesstaaten - zwei Standards

Polizisten bei Fahrzeugkontrolle
Polizeiausbildung in den USA: Beamte können oft unter Stress nicht richtig reagierenBild: Fairfax County Police Departmen

Aufgrund der Unterschiede kann es sein, dass zwei Beamte, die in benachbarten Präsidien arbeiten, ganz unterschiedlich ausgebildet wurden. "Auch die Qualität der Ausbildung kann sich deutlich unterscheiden", fügt Stoughton hinzu. Einige Polizeianwärter lernen in praktischen Übungen und Rollenspielen, wie sie sich verhalten sollen. Andere versuchen, dasselbe durch Vorlesungen zu erlernen. Hinzu kommt: Nicht jedes Präsidium kann sich die Ausbildung leisten. In solchen Fällen müssen die Beamten, um ihre Zertifikate zu erhalten oder zu behalten, an kostenlosen Unterrichtseinheiten teilnehmen.

Nach den Vorgängen in Ferguson hatte US-Präsident Obama durch eine Arbeitsgruppe einen Abschlussbericht zur Polizeiarbeit im 21. Jahrhundert erstellen lassen. Darin wurden bessere Schulungen, mehr Transparenz und der Datenaustausch empfohlen. Die Reaktionen auf die Vorschläge waren bislang sehr verhalten. Von den tausenden Polizeibehörden zeigten nur ein paar hundert Interesse daran. Fairfax County gehörte dazu. Hauptkommissar Richard Perez macht sich dort für Reformen stark.

Weniger Waffengebrauch und mehr Transparenz

Perez geht es vor allem um den Punkt Transparenz. Das beinhaltet den Zugang zu Informationen und die Herausgabe von Videomaterial, wenn Polizeibeamte an Schießereien beteiligt gewesen sind. Der andere Fokus liegt auf Deeskalation. Ziel ist es, verschiedene Techniken anzuwenden, um angespannte Situationen zu entschärfen und den Gebrauch von Waffen zu verhindern oder zu begrenzen. Perez informierte sich dazu über neue Methoden, die seine Polizeibeamten darauf vorbereiten würden. Viel von dem, was seine Beamten jetzt lernen, stammt aus einem Programm, das sich T3 nennt. "Takt, Taktik und Vertrauen" bedeutet es übersetzt und gründet sich auf soziale Interaktionen. Eine Idee von Jonathan Wender, Soziologe und ehemaliger Polizist aus dem US-Bundesstaat Washington.

Takt, Taktik und Vertrauen

Zeichnung des getöteten schwarzen Teenagers Michael Brown
Eine Zeichnung von Michael Brown: Der Tod des Teenagers führte zu Massenprotesten gegen Polizeigewalt in den USABild: picture-alliance/AP Photo

Eines der ersten Dinge, die Wender vermittelt, ist die Notwendigkeit, eine andere Person zu verstehen und sie niemals zu erniedrigen. "Die Menschen auf der Straße stören sich nicht am Auftreten der Polizei mit Waffen. Sie verstehen, dass das dazugehört. Aber sie nehmen Polizisten die Erniedrigung übel", so Wender. Mit Polizeibeamten spricht er deswegen über solche Erfahrungen.

Deeskalation ist nur eines von vielen Mitteln, die man in schwierigen Situationen anwenden kann. Je mehr die Ausbilder die Wissenschaft einbezögen, desto effektiver sei das Training, sagt Wender. Das bedarf nicht nur abstrakter Informationen, sondern auch der Möglichkeit, Taktiken zu üben. Das sei ein riesiger Unterschied zu seiner Ausbildung, die er vor mehr als zwei Jahrzehnten absolviert habe oder die heute noch immer an Akademien ablaufe.

Wender meint, dass man den Beamten heute vor allem beibringen müsse, unter Stress zu funktionieren. Viele von ihnen lebten in ständiger Angst, fügt er hinzu. "Wachsamkeit ist wichtig, aber eine übertriebene Wachsamkeit ist dysfunktional. Sie führt dazu, dass Menschen Dummheiten machen." Teilweise habe das mit einer falschen Wahrnehmung und der Angst davor, im Dienst getötet zu werden, zu tun. Dabei würden noch immer mehr amerikanische Polizisten bei Verkehrsunfällen getötet.

Schießen statt sprechen

Traditionell geht es bei der Polizeiausbildung vor allem um die Sicherheit des Beamten. Anwärter verbringen laut Wender im Durchschnitt fast 60 Stunden mit Schießübungen und nur zehn Stunden oder sogar weniger mit der Schulung sozialer Interaktion und psychologischer Fähigkeiten. Weil die eigene Sicherheit so vorrangig ist, sind viele Polizeieinheiten skeptisch, wenn es um das Thema Deeskalation geht. Stephen Bigelow, Polizeibeamter aus Washington D.C., unterrichtet an der Polizeiakademie und kennt die Grenzen. In der Praxis sei das nicht immer machbar, sagt er im DW-Interview. Auch er glaubt, dass die Beamten lernen müssten, unter Stress Entscheidungen zu treffen. Zu einigen Schießereien in der Vergangenheit sei es schlicht deshalb gekommen, weil zwei Menschen nervös gewesen seien und sich missverstanden hätten.

Zu wenig Geld und kein Wille

Polizeischüler und Dozent in einem Unterrichtsraum
Polizeirekruten in der AusbildungBild: Fairfax County Police Departmen

Zurück in Fairfax County, fragen wir nach, ob das hier durchgeführte Trainingsmodell auch an anderen Polizeischulen angewendet werden könnte. Hauptkommissar Perez und sein Team bauen auf Verständigung, die Kommunikation mit den einzelnen Gesellschaftsgruppen und Vertrauensbildung. Allerdings: Im Vergleich zu anderen Gemeinden ist die Kriminalitätsrate in Fairfax County sehr niedrig. Dieser Unterschied spielt eine gewichtige Rolle. Während die meisten Politiker finden, dass das System reformiert werden müsste, wird nicht genug Geld dafür bereitgestellt.

In Städten wie Baltimore und Chicago, wo Probleme sich oft auf Randgruppen der Gesellschaft konzentrieren, sei es schwieriger, neue Programme einzuführen. Oft mangelt es den Polizeibehörden an Geld für ein qualitativ hochwertiges Training. Jonathan Wender, Soziologe und ehemaliger Polizist, zieht ein resigniertes Resümee: Die besten Polizeieinheiten gebe es in jenen Gemeinden, die wohlhabend seien und die besten Leute ausbildeten. "Die Menschen, die es wirklich nötig haben, bekommen es am wenigsten."