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Rührende Lovestory

Jochen Kürten7. Februar 2009

Am ersten kompletten Tag der Berlinale 2009 standen drei Filme auf dem Programm: "Der Vorleser", "Ricky" und "Lille Soldat". Aber nur einer ist wirklich stark. Jochen Kürten schaut für uns den Wettbewerb.

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David Kross und Kate Winslet (Quelle: AP)
David Kross und Kate Winslet auf der BerlinaleBild: AP

Was für seltsame Zusammenstellungen kommen da manchmal zustande bei Festivals. Eine deutsch-amerikanische Literaturverfilmung, ein dänisches Drama um eine kriegstraumatisierte Frau und eine bizarre Mutter-Kind-Story aus Frankreich waren da zu sehen nach dem phantastischen Auftakt. Doch der Reihe nach. Die Eröffnung hatte ich gut verdaut, "The International" von Tom Tykwer hallte noch nach, das Gefühl, einen wirklich großartigen Genrefilm gesehen zu haben.

Ein "ganz dickes Ding" war da zu erwarten mit der Literaturverfilmung des "Vorlesers", nach dem schon legendären Bucherfolg von Bernhard Schlink. Man las und staunte: Hollywood-Star Kate Winslet in der Hauptrolle, der britische Starautor David Hare hatte das Drehbuch verfasst, sein Oscar-erfahrener Landsmann Stephen Daldry Regie geführt, dazu Darsteller aus Deutschland, Berichte von den Dreharbeiten im historischen Görlitz, Golden Globes und Oscarnominierungen.

Überzeugendes Melo

Jochen Kürten (Quelle: DW)
DW-Filmredakteur Jochen KürtenBild: DW

Doch bei so viel Vorschußlorbeeren und Marketinggerassel beschleicht mich ein mulmiges Gefühl: schon wieder eine Literaturverfilmung in erlesenen Sets, die blutleeren "Buddenbrooks" lagen ja noch nicht lange zurück. Doch siehe da – der Film ist gelungen, hat mich überzeugt, über weite Strecken zumindest. Warum das so ist? "Der Vorleser" ist ein schmaler Roman. Das ist der Verfilmung zu Gute gekommen, mussten doch nicht – wie bei den Buddenbrooks – ganze Textberge gestrichen oder Handlungsstränge zerlegt werden.

Die trotzdem nicht unkompliziert gebaute und sich über mehrere Jahrzehnte hinziehende Handlungsstruktur hat der Film gut bewältigt. Und mehr als das. Kate Winslet (Hanna) und der junge deutsche Shooting-Star David Kross spielen glaubwürdig und intensiv das ungleiche Liebes-Paar. Es lässt sich nachvollziehen, dass sich hier zwei Menschen begegnet sind, die wirklich etwas füreinander empfinden. Das ist – scheinbar so einfach, aber deshalb umso schwerer darzustellen – eine echte Liebesgeschichte auf der Leinwand!

Holocaust nur als Kulisse

Plakat
Starker Film: Der Vorleser

Und doch blieb bei mir ein leises Unbehagen zurück. Der Film trägt schwer am Urproblem des Romans. Warum, so frage ich mich wieder, warum muss – neben all den Themen, die angeschnitten werden (Die Liebe zwischen einer älteren Frau und einem Heranwachsenden, Analphabetismus, das Leben im noch zerstörten Nachkriegsdeutschland etc.) – Hanna ausgerechnet eine ehemalige KZ-Wächterin sein? Natürlich könnte man jetzt erwidern, gerade das mache das Buch doch aus, das sei doch das eigentliche Thema des Films! Doch ich glaube, der Film würde auch ohne dieses "pikante" Detail funktionieren. Hanna als Kriminelle ist schon recht, aber warum ausgerechnet KZ-Wächterin?

Da wird mit dem Thema Holocaust bloß geworben, mit dem Grauen gespielt. Denn, dass Hanna früher eine nationalsozialistische Schergin war, spielt im Grunde keine Rolle. Warum wird einer solchen Frau derart viel Aufmerksamkeit geschenkt, könnte man auch noch fragen. Aufmerksamkeit, die den vielen toten Juden nicht eingeräumt wird. Der Film thematisiert dieses wohl selbst gefühlte Unbehagen immerhin in einer Szene ganz am Ende. Das ehrt ihn, rettet aber nicht über das Dilemma hinweg. So bleiben einige Zweifel bei diesem gut gespielten und inszenierten Film.

Absturz bei Ozon, Enttäuschung über Olesen

Szene aus "Ricky" (Foto: PROMO)
"Ricky": Wie konnte das passieren?Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Bitter enttäuscht war ich dann vom französischen Wettbewerbsfilm "Ricky" von Francois Ozon. Der hatte doch schon eine Reihe meisterliche Filme abgeliefert, wie kann einem so talentierten, ja begnadeten Regisseur so etwas passieren? Ein Paar lernt sich kennen, die Frau bekommt ein Baby, dem seltsamerweise Flügel wachsen und das bald anfängt wie ein kleines Vögelchen zu fliegen. "Ricky" funktioniert weder als Parabel noch als Phantasie, schon gar nicht als Sozialstudie, ist zudem handwerklich schlampig gemacht. Eine scheinbar originelle Idee reicht nicht für 90 Minuten.

Besser, aber auch nicht wirklich packend ist "Lille Soldat" der Dänin Annette K. Olesen. Die Regisseurin versucht dabei, den Clash of Civilisation anhand zweier sich kreuzender privater Geschichten abzubilden. Eine dänische Soldatin kehrt nach einem Irak-Einsatz seelisch ramponiert zurück. Dabei trifft sie auf eine junge Nigerianerin, die wiederum in Dänemark als Callgirl ihr Geld verdient. Erste und Dritte Welt als hart ineinander geschnittene Lebensentwürfe. Interessant ausgedacht, aber kaum so inszeniert, als dass mich die Figuren wirklich berühren

Szene aus "Lille Soldat" (Foto: PROMO)
"Lille Soldat" berührt nichtBild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Fazit: 309 Minuten Film, ein starker und zwei höchst durchwachsene Filme – hoffentlich kein Zeichen für das so bekannte Mittelmaß eines Berlinale-Wettbewerbs.