Scholz nimmt Athen gegen Drohungen in Schutz
27. Oktober 2022Bundeskanzler Olaf Scholz hat Griechenland im Streit um griechische Inseln im östlichen Mittelmeer gegen türkische Drohungen in Schutz genommen. Es könne nicht sein, "dass NATO-Partner einander die Souveränität in Frage stellen", sagte Scholz bei einem Besuch in Athen. Gute Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland seien nicht nur für beide Staaten wichtig, sondern für ganz Europa. Die Probleme müssten "im Dialog und auf der Grundlage des Völkerrechts" gelöst werden. "Sofern das von den Beteiligten als nützlich betrachtet wird, kann sich Deutschland hier einbringen", bot der Kanzler an.
Gastgeber Kyriakos Mitsotakis warf dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz "Lügen über Griechenland" vor. Der Ministerpräsident erklärte, entgegen den Anschuldigungen aus Ankara gehe von den griechischen Inseln "keine Gefahr" aus. Zugleich kündigte er an, dass sechs von Deutschland gelieferte Marder-Schützenpanzer an der Grenze zur Türkei stationiert werden. Sie würden zum Grenzfluss Evros im Nordosten des Landes gebracht, so der griechische Regierungschef.
Ringtausch zugunsten der Ukraine
Deutschland hatte vor wenigen Tagen die ersten sechs von insgesamt 40 Mardern im Zuge eines Ringtauschs zur Unterstützung der Ukraine an Griechenland geliefert. Die Regierung in Athen verpflichtete sich, dafür 40 Schützenpanzer des Typs BMP-1 ins Kriegsgebiet zu schicken, wo die ukrainische Armee sie im Kampf gegen den Aggressor Russland einsetzen kann.
Zwischen Griechenland und der Türkei gibt es massive Spannungen, bei denen es auch um die Stationierung von Waffen und Truppen auf griechischen Inseln im Mittelmeer geht. Der türkische Präsident hatte dem Nachbarstaat wiederholt mit einem Angriff gedroht und gewarnt: "Wir könnten plötzlich eines Nachts kommen." Beide NATO-Länder streiten seit Jahren über die Rechte an Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer.
Reparationsfrage: "Noch nicht geregelt" oder "juristisch abgeschlossen"?
Ein Konfliktpunkt zeigte sich allerdings auch bei der sonst harmonischen Begegnung zwischen Scholz und Mitsotakis: Die griechische Regierung verlangt weiterhin deutsche Reparationszahlungen für das im Zweiten Weltkrieg durch die deutsche Besatzung erlittene Leid. Das Thema sei immer noch nicht geregelt, sagte der Gastgeber. Das gelte vor allem für einen Zwangskredit, den die griechische Notenbank den Besatzern 1942 gewähren musste. "Allerdings trübt das nicht unsere Beziehungen", fügte Mitsotakis hinzu. Scholz hatte schon vor seinem Besuch der Zeitung "Ta Nea" gesagt: "Juristisch und politisch ist die Reparationsfrage abgeschlossen."
Nach Berechnungen des Finanzministeriums in Athen, der Zentralbank und eines Parlamentsausschusses geht es um eine Mindestforderung von 269 Milliarden Euro - inklusive einer Zwangsanleihe, die Griechenland der Deutschen Reichsbank während des Krieges gewähren musste. Deutschland hält das Thema für abgeschlossen und beruft sich dabei auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag über die außenpolitischen Folgen der deutschen Wiedervereinigung von 1990. Nazi-Deutschland hatte Griechenland am 6. April 1941 überfallen. Bis 1944 verübten SS und Wehrmacht dort zahlreiche Massaker. Zehntausende griechische Zivilisten verloren im Krieg ihr Leben.
jj/se (dpa, afp)