Schotten sollen 2023 "zu Wort kommen"
28. Juni 2022Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon will ihre Landsleute im Herbst kommenden Jahres erneut darüber abstimmen lassen, ob Schottland ein unabhängiger Staat werden soll. Ein entsprechendes Referendum über die Loslösung vom Vereinten Königreich solle am 19. Oktober 2023 stattfinden, kündigte Sturgeon an.
Sie wolle den nördlichsten Landesteil Großbritanniens "auf den rechten Weg" bringen. Die Zeit für die Unabhängigkeit sei gekommen, erklärte die Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP), die zusammen mit den Grünen über eine Pro-Unabhängigkeits-Mehrheit verfügt - zumindest im schottischen Parlament in Edinburgh. Die 51-Jährige hofft darauf, die knapp 5,5 Millionen Schotten nach dem Brexit wieder in die Europäische Union zu führen: als Bürger eines "unabhängigen Landes", wie es 2014 auf dem Fragebogen des ersten Referendums hieß.
Ein für alle Mal erledigt?
Damals entfielen 55 Prozent der abgegebenen Stimmen auf den Verbleib im Vereinigten Königreich, weshalb für den britischen Premier Boris Johnson die Sache ein für alle Mal entschieden ist. Und genau dessen Zustimmung benötigt Sturgeon, um den Menschen in Schottland erneut die Unabhängigkeits-Frage vorzulegen. Sie sei bereit, mit dem Regierungschef in London zu verhandeln, sagte sie. Vorsorglich habe sich die schottische Regierung an den Obersten Gerichtshof Großbritanniens gewandt, um die Zulässigkeit des Referendums zu klären.
Sollte das Gericht befinden, die Führung in Edinburgh sei ohne ein Ja aus Downing Street 10 nicht befugt, die Bürger zu befragen, werde die SNP die nächsten Parlamentswahlen in Großbritannien 2024 als "De-facto-Referendum" über die Unabhängigkeit nutzen, erklärte Sturgeon. "In jedem Fall werden die Menschen in Schottland zu Wort kommen."
Sturgeons SNP ist der Ansicht, dass die pro-europäische Unabhängigkeitsbewegung in Schottland durch den Austritt Großbritanniens aus der EU Aufwind erhalten hat. Als Nachwehen nannte sie drastisch gestiegene Lebenshaltungskosten, den Arbeitskräftemangel und die Gefahr eines Handelskrieges mit Brüssel. "Unser Land verdient etwas Besseres."
62 Prozent der schottischen Wähler, die am Brexit-Referendum teilnahmen, hatten 2016 pro-europäisch abgestimmt. Deren Votum will die Erste Ministerin - wie die schottische Regierungschefin offiziell tituliert wird - nun umsetzen.
jj/uh (dpa, afp, rtr)