Das F-Wort
25. September 2014Nackte Panik herrschte bei den drei großen britischen Parteien: Kurz vor der Volksabstimmung über eine Unabhängigkeit Schottlands schien es, als könnten die Befürworter tatsächlich gewinnen. Die regierenden Konservativen, ihr Koalitionspartner, die Liberaldemokraten, und auch die Labour-Opposition waren sich ausnahmsweise einmal einig: nämlich in dem Wunsch, eine Abspaltung Schottlands zu verhindern. In ihrer Verzweiflung versprachen alle drei Parteiführer zwei Tage vor der Abstimmung, Schottland werde bei einem Nein zur Unabhängigkeit trotzdem mehr Rechte bekommen, vor allem in der Steuer- und Sozialpolitik. Niemand weiß genau, wieviel dieses Lockmittel zu dem mehrheitlichen Nein beigetragen hat. Jedenfalls steht Preminister David Cameron jetzt bei den Schotten im Wort. Doch er hatte die Rechnung möglicherweise ohne den Wirt gemacht. Der Wirt, das sind Abgeordnete seiner Konservativen Partei, die das Versprechen an Schottland für übertrieben und auch für ungerecht gegenüber England halten.
Ein Parlament nur für England?
Der konservative Abgeordnete James Wharton etwa meint: "Es muss auch etwas für England geben." Hintergrund ist, dass die Randgebiete des Vereinigten Königreichs - Schottland, Wales und Nordirland - inzwischen alle eigene Volksvertretungen und begrenzte eigene Rechte haben, nur England nicht, der weitaus größte Brocken. Unfair finden es auch viele, dass im Parlament in Westminster zwar schottische, walisische und nordirische Abgeordnete sitzen und über Dinge abstimmen, die England betreffen, aber nicht umgekehrt. Der prominenteste Wortführer dieser Bewegung innerhalb der Konservativen ist wohl der Londoner Bürgermeister Boris Johnson. Er wird oft als künftiger Parteichef gehandelt und könnte schon jetzt Cameron gefährlich werden. "Wenn wir schottischen Politikern mehr Macht geben, dann müssen wir ganz einfach die grundlegende Ungerechtigkeit gegenüber England angehen", so Johnson in der Tageszeitung Daily Telegraph. Cameron steht also sowohl unter schottischem als auch unter zunehmendem englischen Druck. Wie genau eine Föderalisierung des Vereinigten Königreichs aussehen könnte, ist unklar.
Es wäre in jedem Fall ein kompliziertes Projekt, das an jahrhundertealte Traditionen rühren würde. So etwas sollte man nicht überstürzen, meint man bei der Labour-Partei - nicht vor der nächsten Unterhauswahl im kommenden Frühjahr. "Man kann mit unserer Verfassung keine Spielchen treiben", sagte kürzlich der Labour-Politiker Ed Balls in einem BBC-Interview. Was er verschweigt: Labour ist relativ stark in Schottland, aber deutlich schwächer in England vertreten. In einem eigenständigen englischen Parlament wäre also Labour in der Minderheit. So hat die Sache auch eine machtpolitische Note.
Jeder Fall ist anders
So wie Separatisten in anderen europäischen Ländern die schottische Volksabstimmung genau verfolgt haben, so werden sie auch das Projekt einer weiteren Föderalisierung beobachten. Die Befürworter eines unabhängigen Katalonien zum Beispiel haben sich auf ihre schottischen Gesinnungsgenossen berufen. Sie haben durch das mehrheitliche Nein der Schotten zwar einen Dämpfer erhalten. Doch von ihrem Ziel wollen sie sich nicht abbringen lassen. Genauso unbeirrt lehnt die spanische Zentralregierung aber ein Referendum in Katalonien ab.
Wäre eine Föderalisierung von Staaten mit separatistischen Tendenzen ein Weg, diese Regionen bei der Stange zu halten, ob es nun Schottland, Katalonien oder Südtirol sind? Janis Emmanouilidis von der Brüsseler Denkfabrik "European Policy Centre" warnt davor, bundesstaatliche Vorbilder kopieren zu wollen, das funktioniere nicht: "Man muss jeden Fall einzeln unter die Lupe nehmen. Föderale Einheiten wie Deutschland oder die Schweiz sind gewachsen, sie sind ihren eigenen Weg gegangen, und so müsste das auch im jeweiligen Fall sein."
Die Kommission fördert die Nationalstaaten
Voraussetzung wäre natürlich, dass die Staaten eine Föderalisierung überhaupt zulassen. Gerade die spanische Zentralregierung geht im Moment voll auf Konfrontationskurs zur katalanischen Regionalregierung und will sich auf keinerlei Kompromisse einlassen. Und das sei auch europäischer Trend, meint Janis Emmanouilidis: "Die Zentralregierungen versuchen es zu unterbinden, versuchen, Kompensationen anzubieten, leichte Autonomie in einzelnen Fällen zuzulassen, aber grundsätzlich versucht man, diese Autonomiebestrebungenn kleinzuhalten." Und die Zentralregierungen hatten dabei Unterstützung von ungewöhnlicher Seite: Die Europäische Kommission, die sich nach Einschätzung von Emmanouilidis eigentlich "vornehm hätte zurückhalten sollen", hat sich "dazu hinreißen lassen", vor den Folgen einer Unabhängigkeit zu warnen. Kommissionspräsident José Manuel Barroso höchstpersönlich hatte gesagt, ein EU-Beitritt eines unabhängigen Schottland werde schwierig werden. Grund für die Warnung, so Emmanouilidis, seien "Ängste, sowohl in Brüssel als auch in anderen Nationalstaaten, vor den Auswirkungen". Die EU würde noch heterogener, der Entscheidungsfindungsprozess auf EU-Ebene noch komplizierter als ohnehin schon.
Die Schotten erinnern an die Verprechen
Nach dem schottischen Referdendum hatte Premierminister Cameron gesagt, die Frage einer Unabhängigkeit habe sich "für den Zeitraum einer Generation erledigt". Doch die schottischen Nationalisten wollen Cameron jetzt an seinen Taten messen. Für anhaltenden Druck wird schon Nicola Sturgeon sorgen. Sie ist die wahrscheinliche Nachfolgerin von Alex Salmond, der nach dem Nein bei der Abstimmung vom Vorsitz der Schottischen Nationalpartei zurücktreten will. Sturgeon will die Frage der Unabhängigkeit erneut aufwerfen, wenn die drei großen britischen Parteien ihr Versprechen nicht einhalten. "Tatsache ist", so die 44jährige, "dass die Unabhängigkeitsbefürworter zusammen mit denjenigen, die wegen des Versprechens deutlicher weiterer Befugnisse für Schottland nein gesagt haben, eine starke Mehrheit für wirklichen Wandel bilden." Dieser Druck wird so schnell nicht nachlassen.