Schulz wirbt vor Topmanagern mit Investitionen
8. Mai 2017Seinen Auftritt vor Topmanagern an diesem Montag hatte sich Martin Schulz sicher anders vorgestellt. Einen Tag nach der Wahl in Schleswig-Holstein wollte der Kanzlerkandidat der SPD in einer Grundsatzrede wirtschaftspolitische Akzente für seinen Wahlkampf setzen - mit einem SPD-Sieg als Rückenwind. Doch es war nicht die SPD, die aus der Wahl im Norden als stärkste Kraft hervorging, sondern die CDU; eine bittere Schlappe, über die sich Schulz "höllisch" ärgerte.
Den Ärger der vergangenen Nacht lässt sich der SPD-Hoffnungsträger nicht mehr anmerken, als er im Ludwig-Erhard-Haus in Berlin vor hunderte Unternehmer tritt. Schulz ist zur Berliner Industrie- und Handelskammer gekommen, um konkrete Inhalte zu liefern, die er bislang größtenteils schuldig blieb. Und er ist gekommen, um sich der deutschen Wirtschaft vorzustellen, für die er bislang ein unbeschriebenes Blatt war. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel deutschen Unternehmern als stabile Größe gilt, muss Martin Schulz vor den versammelten Unternehmern volle Überzeugungsarbeit leisten.
Politische Flitterwochen sind vorbei
So startet Kanzlerkandidat Schulz mit einem Lob für "mutige Unternehmer, fleißige Handwerksbetriebe, hungrige Start-Ups, Industrie, Einzelhandel und hochqualifizierte Arbeitnehmerschaft in Deutschland." Und der SPD-Parteivorsitzende tut, was er gut kann - er zeigt, dass er einer von ihnen ist: Schließlich habe er selbst mal einen kleinen Buchladen gegründet. Er kenne die Momente des Glücks ebenso wie die des Zweifels: "Ich habe erlebt, was es bedeutet, Unternehmer zu sein. Manchmal habe ich nachts wach gelegen und mich gefragt, ob ich am nächsten Morgen nochmal aufmachen kann."
Doch nach etwas mehr als 100 Tagen als Kanzlerkandidat muss Schulz auch bei dieser Berliner Rede merken, dass die politischen Flitterwochen vorüber sind. Nur einmal wird er von verhaltenem Klatschen unterbrochen. Die Eckpunkte seiner Wirtschaftspolitik nehmen die Gäste der Industrie- und Handelskammer zum Großteil ausdruckslos zur Kenntnis.
Eckpunkte von Schulz‘ Wirtschaftspolitik
Absage an Sozial- und Steuersenkungsversprechen "Es gibt zwei Gefahren im Bundestagswahlkampf: unerfüllbare Sozialversprechen und unerfüllbare Steuersenkungsversprechen. Beides wir es mit mir nicht geben." Mit Blick auf die 15-Milliarden-Steuersenkungsforderungen der CDU sagte Schulz: "Das heißt aber nicht, dass wir Steuergeschenke mit der Gießkanne verteilen sollten, von denen am Ende eh nur die profitieren, die am meisten haben."
Investitionen in Infrastruktur, Mobilität, Breitbandausbau und Bildung: Schulz versprach eine ganze Reihe von Investitionsmaßnahmen: "Wir verlieren Zeit und Geld wenn Straßen oder Brücken gesperrt sind, wenn die Bahn nicht pünktlich kommt, wenn Menschen in Staus stehen, wenn die Breitbandverkabelung zu langsam vorankommt. Und wenn wir als eines der reichsten Länder der Erde nicht in die Ausbildung unserer Kinder investieren, machen wir einen entscheidenden Fehler." Durch mehr Investitionen würden auch Ungleichgewichte innerhalb Europa abgebaut werden.
Bildung und Ausbildung: Schulz bemängelte den Fachkräftemangel und versprach freien Zugang zur Bildung: "Guter Zugang zu freier Bildung wird in Zukunft entscheidend sein. Genau deshalb wollen wir die Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Uni oder bis zum Meisterbrief, diese Gebühren wollen wir in Zukunft staatlich finanzieren. Gemeinsam müssen wir auf die Förderung innerbetrieblicher Weiterbildung setzen."
Digitalisierung: "Ich werde das Thema Digitalisierung zur Chefsache machen", versprach Schulz und forderte eine "moderne, durchdigitalisierte öffentliche Verwaltung", durch die bürokratische Hürden für Unternehmen gesenkt werden würden.
Europa und Freihandelsabkommen: Eines seiner zentralen Anliegen seiner Wirtschaftspolitik sei es, Europa zu stärken, sagte Schulz und machte deutlich: "Die deutsche Wirtschaft wird nur in einem funktionierenden europäischen Wirtschaftsraum langfristig funktionieren." Dazu gehöre eine umfassende Reform der EU: "Wir müssen in Europa weg von der ewigen Taktik des Sich-Durchwurschtelns." Schulz bekräftige zudem sein Bekenntnis zu internationalen Freihandelsabkommen wie dem zwischen der EU und Kanada geschlossenen CETA-Vertrag.
SPD-Parteiprogramm wird im Juni verabschiedet
Schulz´ wirtschaftspolitische Grundsatzrede lehnte sich an das wirtschaftspolitische Konzeptpapier der SPD an, das die Partei vergangene Woche veröffentlichte und weitaus stärker ins Detail geht. Unter dem Titel "Innovationsmotor Mittelstand" sieht die Partei unter anderem verpflichtende Berufsorientierung für alle Siebtklässler, eine bessere digitale Ausstattung der Berufsschulen, Jugendberufsagenturen und einen Forschungsbonus. Das Programm für die Bundestagswahl will die SPD offiziell auf dem Parteitag im Juni in Dortmund verabschieden.
Schulz distanziert sich von Linkspartei
Es ist ein schwieriges Publikum, vor dem Schulz an diesem Montag spricht. Denn eine Frage treibt die Unternehmer seit seiner Kandidatur um. "Vielleicht denken manche von ihnen: Toll, ja, ist ja vieles richtig und gut, was der Junge da erzählt. Aber kann es am Ende nicht unter diesem Schulz eine Koalition geben, die Deutschland und meinem Betrieb schaden könnte?", fragt Schulz und richtet sich an die Arbeitgeber, die zuletzt eindringlich vor einem Bündnis zwischen SPD, Grünen und Linkspartei gewarnt hatten.
Da er nicht von einer absoluten Mehrheit für die SPD bei der Bundestagswahl im September ausgehe, sei seine klare Antwort zu einem rot-rot-grünen Kanzler Schulz: "Nein, die Antwort lautet nein, definitiv nicht. Unter meiner Führung wird es nur eine Koalition geben, die pro-europäisch ist und die ökonomische Vernunft walten lässt."
Höflicher Applaus für Schulz
Zu Beginn seiner Kandidatur wurde Martin Schulz als Heilsbringer gefeiert. Zwischenzeitlich zogen die Deutschen laut Umfragen sogar Schulz Angela Merkel vor. Doch mit den Wahlschlappen der SPD im Saarland und in Schleswig-Holstein sinken Umfragewerte und Aufmerksamkeit für den Kanzlerkandidaten.
Schon nach wenigen Minuten schalten die Fernsehsender von seiner Rede weg hin zur Kanzlerin, denn die spricht über den Wahlsieg ihrer CDU in Schleswig-Holstein. Noch sind es viereinhalb Monate bis zur Bundestagswahl. Das Vorstellungsgespräch vor Deutschlands Top-Managern hat Martin Schulz überstanden: Er hat Inhalte geliefert. Vollends überzeugt hat er sie aber wohl nicht. Am Ende gibt es nur höflichen, keinen tosenden Applaus für den Kanzlerkandidaten.