Schwedens Rechtsextreme formieren sich
21. Mai 2014Zwei Stunden lang läuteten die Glocken der Kirchen in Jönköping. Das hatte es zuletzt 1939 gegeben, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Vor Gefahr wollen die Glocken warnen, denn in den Straßen des Städtchens in Mittelschweden hatte sich am 1. Mai die rechtsextreme "Partei der Schweden" zu einer Kundgebung formiert.
Fredrik Hollertz, Pastor in Jönköping, ist einer der Initiatoren des Glockenläutens. "Wir sehen unsere offene Gesellschaft bedroht. Die Würde und der Wert eines jeden Menschen sind in Gefahr, und auch die offene Art, mit der wir Menschen in unserem Land aufnehmen", sagt er.
Die Statistik zeigt: Es gibt tatsächlich Anlass zur Sorge. In den neo-nazistischen Gruppierungen herrscht rekordhohe Aktivität. Das stellt die zu Rechtsextremismus forschende Stiftung "Expo" in ihrem Jahresbericht fest. Die Mitgliederzahlen am äußersten rechten Rand stiegen zwar nicht signifikant, so die "Expo". Die Gruppierungen würden aber sichtbarer, weil es viel mehr Aktionen gebe - wie zum Beispiel Kundgebungen, das Verteilen von Flugblättern, Propaganda im Internet und soziale Aktivitäten. "Im Jahr 2013 haben wir 2333 solcher Aktivitäten gezählt", sagt Anders Dalsbro, einer der Autoren des "Expo"-Berichts. Das sei eine Steigerung von knapp 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und könne als größte Kraftsammlung im rechtsextremen Milieu seit dem Zweiten Weltkrieg gewertet werden.
Superwahljahr in Schweden
Einer der Gründe für diese starke Präsenz der Rechten in der Öffentlichkeit seien die anstehenden Wahlen, sagt Anders Dalsbro. In Schweden wird dieses Jahr gleich mehrfach gewählt: Europawahl, Parlaments- und Kommunalwahlen stehen an. "Die 'Partei der Schweden' hat das Ziel, bei der Kommunalwahl mindestens zehn Mandate zu holen." Insgesamt gibt es in Schweden 13.000 Mandate in den 290 Kommunen und 1600 Mandate in den Bezirken. Bei den Wahlen vor vier Jahren bekam die Partei nur ein Mandat in einer Kommune. 2014 wird die "Partei der Schweden" in mindestens 35 Kommunen und sechs Bezirken antreten.
Ein weiterer Grund für das starke Auftreten der Ultrarechten sei, dass man gesehen habe, welche Erfolge ähnliche Parteien in Europa verzeichnen konnten - die Goldenen Morgenröte in Griechenland oder die Swoboda-Partei in der Ukraine. Und schließlich, sagt Anders Dalsbro von der Stiftung "Expo", schaue man im rechten Milieu auch auf das eigene Land und die rechtspopulistischen Schwedendemokraten, die seit 2010 im Parlament vertreten sind. Zwar distanziert sich die "Partei der Schweden" von den Schwedendemokraten, da sie demokratisch und zu liberal in der Einwanderungspolitik seien, doch sehe man in der Wählerschaft der Schwedendemokraten potentiell auch Unterstützer für die eigene Sache.
Schweinefüße und Hakenkreuze - Anschläge auf Moscheen nehmen zu
Im Posteingang des Zentralrats der schwedischen Muslime in Stockholm landen in diesen Tagen viele DIN-A-5-Umschläge. Darin sind Fragebögen, die der Rat vor einigen Wochen an alle Moscheen und Gebetsräume des Landes verschickt hatte. Man wolle einen Überblick über die Bedrohungslage der Moscheen und kleineren Gebetslokale bekommen, erklärt Helena Hummasten vom Zentralrat der Muslime. Bereits vor fünf Jahren habe eine Studie gezeigt, dass vier von zehn islamischen Gemeinden Opfer von Anschlägen unterschiedlicher Art gewesen seien. Und der Trend gehe weiter in dieselbe Richtung, sagt Hummasten.
Jede große Moschee in Schweden sei im Schnitt einmal in der Woche betroffen: Hakenkreuz-Schmierereien, Messer und Glasscherben in den Briefkästen, Schweinefüße oder Schweineköpfe, abgelegt vor den Eingängen des Gebäudes. Bei einer Moschee im Süden Stockholms hatten vor ein paar Monaten Unbekannte von außen die Türen versperrt und anschließend die Fensterscheiben eingeschlagen, während sich drinnen Gläubige zum Gebet versammelt hatten. "Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis jemand durch eine Attacke ernstlich verletzt wird oder sogar ums Leben kommt", fürchtet Hummasten. Das Ergebnis der Umfrage wird im Juni erwartet.
Schwedens Gesellschaft wird immer offener für "Multikulti"
Es erscheint paradox, doch trotz der ungewöhnlich starken Präsenz der rechtsextremen Gruppen, trotz des parlamentarischen Erfolgs einer fremdenfeindlichen Partei und der Anschläge auf muslimische Einrichtungen wird die schwedische Gesellschaft immer toleranter gegenüber Menschen aus anderen Kulturen. Marie Demker, Politologin an der Universität Göteborg, sieht in den vergangenen 20 Jahren einen langsamen, aber deutlichen Trend hin zu mehr Offenheit gegenüber einer multikulturellen Gesellschaft.
Die fremdenfeindlichen und rassistischen Parteien und Gruppierungen im Land seien einfach sichtbarer geworden. "Es hat schon immer eine Gruppe Mitbürger gegeben, die eine negative Haltung gegenüber Einwanderung hat. Eher neu ist aber, dass sie jetzt eine Partei bekommen haben, die diese Meinung vertritt und die sie wählen können", so Demker. Die Schwedendemokraten hätten in den vergangenen Jahren an ihrem Image gearbeitet und ihre Politik stubenrein gemacht, sagt die Politologin.
Doch auch das hat Marie Demker in ihrer Forschung gesehen: Dem Aufwind für das rechte Lager folgt in der Regel Widerstand aus der schwedischen Gesellschaft. Und die neuesten Umfragen scheinen das zu bestätigen: Die Schwedendemokraten kommen in aktuellen Umfragen zur Europawahl nur auf nur 4,1 Prozent. Ein Sitz im EU-Parlament scheint ihnen also nicht sicher.