Schweizerisches Erfolgsgeheimnis in der Kritik
29. März 2004Schon seit 1934 sind schweizerische Banken gesetzlich verpflichtet, Verschwiegenheit über die geschäftlichen Beziehungen zu ihren Kunden zu bewahren. Ein Verstoß führt nicht nur zu einer Schadensersatzpflicht. Er kann zudem mit einem empfindlichen Bußgeld oder einer Gefängnisstrafe geahndet werden. Allerdings gilt die Schweigepflicht nicht unbegrenzt: Insbesondere bei der Verfolgung schwerer Verbrechen entfällt der Schutz. Auch bei Verdacht auf Korruption oder Geldwäsche wird das Geheimnis aufgehoben.
Bankgeheimnis als Standortvorteil
Dass Banken die Daten ihrer Kunden schützen müssen, ist keine schweizerische Erfindung. Außergewöhnlich ist dagegen die Entschlossenheit, mit welcher das Bankgeheimnis als wichtige rechtliche Errungenschaft verteidigt wird. Drei Viertel der Schweizer sind gegen eine Abschaffung der Schweigepflicht. "Das Bankgeheimnis ist ein wichtiger Standortvorteil für die Schweiz", sagt auch James Nason, Pressesprecher der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg).
Die wichtige Sonderstellung der Schweiz ergibt sich aus einer juristischen Feinheit. Da Steuerhinterziehung in der Eidgenossenschaft nur als Ordnungswidrigkeit gilt, kann ein solcher Verdacht nicht die Aufhebung des Bankgeheimnisses bewirken. Anders bei Steuerbetrug: Hier handelt es sich um eine Straftat, die zum Verlust des gesetzlichen Privilegs führt.
Bankier nennt Schweigepflicht "unethisch"
Problematisch ist es jedoch, die Grenzen zwischen den beiden Tatbeständen zu ziehen. "Ich verstehe den Unterschied nicht", gab der renommierte Schweizer Bankier Hans Bär zuletzt in einem Interview zu Protokoll. "Das können Sie einem Angelsachsen nicht begreiflich machen: Entweder Sie zahlen Steuern oder nicht - etwas dazwischen gibt es nicht", fügte Bär hinzu und zog den Unmut der Schweizer Bankenwelt auf sich.
In seiner Autobiographie "Seid umschlungen, Millionen" attackiert der mittlerweile 78-jährige "Grand Old Sir" der Schweizer Bankiers das Bankgeheimnis. Man müsse die Schweigepflicht "ethisch besser abstützen" und "verständliche Regeln" schaffen. Die moralisch fragwürdigen Regelungen seien für ein negatives Bild der Schweiz im Ausland verantwortlich.
Banken wehren sich
Vehement wehrt sich die Schweizer Bankenwelt gegen die Vorwürfe. "Bärs Meinung wird von der Branche nicht geteilt", erklärt SBVg-Sprecher Nason. Wenn die Steuerehrlichkeit eines Landes zum Problem werde, habe das andere Gründe. "Wenn die Bürger keine Steuern zahlen wollen, ist mit dem Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Bürger etwas nicht in Ordnung", sagt Nason.
In der Schweiz gebe es solche Schwierigkeiten nicht. Die Verfolgung von Unrecht sei ohnehin gesichert: Immerhin leiste die Schweiz jährlich in mehreren tausend Fällen anderen Ländern Rechtshilfe. Allerdings: Handelt es sich nur um Steuerhinterziehung, nicht um Steuerbetrug, so wird keine Rechtshilfe geleistet.
Streit um EU-Richtlinie
Dieses Problem steht im Zentrum der aktuellen Diskussion um die EU-Richtlinie zur Zinsbesteuerung. Die Schweiz ist als Nicht-EU-Mitglied grundsätzlich bereit, die Inhalte der Richtlinie mitzutragen. Allerdings fordert sie im Gegenzug Zugeständnisse der EU für den Schweizer Beitritt zum Schengener Abkommen.
Die Regierung sieht durch das Abkommen den Bestand des Bankgeheimnisses gefährdet. Zum Problem wurde hier Artikel 51 der Vereinbarung: "Es ist unklar, welche Informationen laut dieser Vorschrift weitergegeben werden müssen", so Verbandssprecher Nason. Nach diesem Artikel könnte die Schweizer Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug umgangen werden.
In der EU stößt die Verhandlungsposition der Schweiz auf deutliche Kritik. Immer wieder hatte etwa der deutsche Finanzminister Hans Eichel die Taktik der Eidgenossen gerügt. Anfang März 2004 verschärfte man dann "aus Sicherheitsgründen" die Kontrollen an der deutsch-schweizerischen Grenze. In Bern vermutete man eine Schikane der Bundesregierung aufgrund der stockenden Verhandlungen. Erst ein Treffen der Außenminister machte eine Entspannung der Beziehungen möglich.