Schwerer Kampf gegen Kinderprostitution
8. März 2015Leilane (Name von der Redaktion geändert) träumt von einem Berufsleben hoch oben über den Wolken, als Stewardess. Vielleicht auch, um den Wahnsinn auf Erden zu vergessen. Noch vor zwei Jahren war für die mittlerweile 18-jährige Leilane ein normaler Tagesablauf zwischen Schule, Freunden und einem richtigen Dach über dem Kopf nicht vorstellbar. Von der Zukunft wagte sie erst gar nicht zu träumen.
Damals ging Leilane nicht zur Schule, sondern in die Bar - ihr Arbeitsplatz und Zuhause zugleich. Mit vierzehn Jahren begann sie, in einer Bar in Olongapo zu arbeiten, nördlich der Hauptstadt Manila, als "Entertainerin". Ihr Blick verdunkelt sich bei diesem Wort. Touristen aus den USA, Australien, Europa, Japan und Korea - sie alle wollten in der Bar nächtlich bedient und unterhalten werden. Von minderjährigen Mädchen. Aber Leilane spricht nicht von ihrer Vergangenheit, sie will jetzt nur nach vorne schauen. Die junge Frau verdrängt die vielen Demütigungen und Erniedrigungen, die sie im Sex-Geschäft erfahren musste.
Armut und Chancenlosigkeit
Die Philippinen gehören neben Thailand, Indonesien und Malaysia zu den Hauptbrennpunkten mit den meisten Prostituierten unter Kindern und Jugendlichen weltweit. In vielen philippinischen Städten ist der Sextourismus allgegenwärtig und gehört zu den lukrativsten Einkommensquellen des organisierten Verberechens.
Rund 800.000 Menschen sind auf den Philippinen in der Prostitution involviert - nach Schätzungen von UNICEF werden dort jedes Jahr rund 100.000 Kinder in die Prostitution gelenkt. Sie kommen aus den Slums oder vom Land und gehen den Zuhältern ins Netz - im Teufelskreis von Armut und Chancenlosigkeit .
Mangelhafte Strafverfolgung
Leilane hatte Glück. Die Kinderschutzorganisation PREDA organisierte in Kooperation mit philippinischen Ermittlungsbehörden vor zwei Jahren eine Razzia in der Bar, in der sie für ein minimales Taschengeld täglich anschaffen musste. Der amerikanische Barbesitzer und seine Geschäftspartnerin, eine philippinische "Mama-San" oder Zuhälterin, wurden verhaftet. Sie warten nun in Manila auf ihren Prozess.
Dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, ist auf den Philippinen allerdings die Ausnahme. "Normalerweise hätten die Bars Bestechungsgelder an die örtliche Polizei bezahlt. Und nichts wäre passiert”, sagt der Pater Shay Cullen, der seit mehr als 40 Jahren die Kinderrechtsorganisation PREDA am Rande der Stadt Olongapo betreibt. Für seine unermüdliche Arbeit gegen Kinderhandel und Prostitution wurde der irische Missionar bereits mehrfach für den Friedensnobelpreis nominiert.
Obwohl Prostitution auf den Philippinen offiziell illegal ist, erfolgt die Strafverfolgung nur äußerst mangelhaft. Für entsprechende Bestechung drücken die Behörden vor den zahlreichen Karaoke-Bars und Nachtklubs der Untergrundszene meist die Augen zu. Es ist die Symbiose von Korruption und Prostitution, die das Geschäft florieren lässt.
"Städte der Sünde"
Auch die jahrzehntelange Präsenz des US-Militärs ist an dieser Situation nicht unschuldig. Millionen US-Soldaten durchliefen Stützpunkte wie die Marine-Basis Subic Bay und die Clark Air Base. Deren Satellitenstädte Olongapo und Angeles dienten den Soldaten als "Erholungszentren". Sie sind bis heute fast völlig von der Sexindustrie abhängig, obwohl beide US-Stützpunkte bereits 1991 geschlossen worden waren. "Städte der Sünde" werden sie genannt. Der Abzug der US-Truppen hat das Szenario nicht verändert - nur die Klientel ist jetzt eine andere. Es ist jetzt das Mekka der Sextouristen.
Die Frauen, die als Prostitutierte ungewollt schwanger werden, sind innerhalb der Gesellschaft stigmatisiert, genauso wie ihre Kinder. Diese sind meist demselben Schicksal ausgeliefert. Die ererbte Armut zwingt sie meist schon in jungen Jahren zur Prostitution. Es sind ganze Generationen, die in der Sexindustrie gefangen sind - die Töchter eines immer wiederkehrenden Traumas.
Menschenhandel in Katastrophengebieten
Besonders gefährdet sind auch Mädchen und Frauen in Katastrophengebieten, wie beispielsweise die von Taifun "Haiyan" betroffenen Regionen. "Es wird glaubwürdig berichtet, dass Menschenhändler die Evakuierungsregionen nach neuen jungen Mädchen durchsuchen. Waisenkinder wurden entführt. Oder sie bieten jungen Frauen Jobs an, die sie in kommerzielle sexuelle Ausbeutung führen", weiß Pater Shay.
Die Gefahr ist deshalb so groß, weil die Opfer von Naturkatastrophen meist am Rande des Nichts überleben. Ohne Arbeit und Zuhause sind sie lediglich von Spenden abhängig. Jedes dubiose Jobangebot wird aus Verzweiflung angenommen.
"Schau mich an, ich habe es geschafft"
Die 33-jährige Sozialarbeiterin Marlyn Capio ist verdeckt für die Kinderschutzorganisation PREDA unterwegs, oft in Krisengebieten sowie in Bars im Rotlichtmilieu. Sie ist auf der Suche nach sexuell ausgebeuteten Mädchen. Auch Leilane konnte sie so aus der Prostitution retten.
Capio war selbst einmal Kinderprostituierte und wurde unter anderem auch nach Deutschland gebracht. In Teenagerjahren wurde auch sie von Pater Shay und PREDA gerettet. Dank eines Stipendiums schloss sie ein Studium ab und kümmert sich nun selbst um Straßenkinder. Capio leitete hunderte Strafverfahren gegen Kinderschänder ein und hält auf der ganzen Welt Vorträge über ihre Arbeit, im kommenden April auch vor dem US-Kongress. Unverhofft erhielt sie sogar Bekanntheit in Deutschland: Ihre Leidensgeschichte war im Jahr 1998 die Grundlage für einen "Tatort", eine beliebte Krimireihe im deutschen Fernsehen.
Leilane sieht zu ihrer Mentorin auf - Marlyn ist für sie eine Inspiration. "Ich akzeptiere meine Vergangenheit und möchte ein Vorbild für diese jungen Mädchen sein. Schau mich an, ich habe es geschafft", sagt Capio strahlend.
Welchen Rat würde Leilane nun anderen jungen Mädchen geben? "Hört auf eure Eltern und passt gut in der Schule auf. Das ist sehr wichtig." Nach einem kurzen Zögern fügt sie schließlich hinzu: "Versucht niemals, in Bars zu arbeiten. So eine Erfahrung vernichtet die Würde eines jeden Menschen."