Schwierige Strafverfolgung in Syrien
19. Januar 2025Seit rund drei Wochen sitzt Mohammed Kanjou al-Hassan Presseberichten zufolge in Haft. Kräfte der syrischen Übergangsregierung unter Ahmed al-Scharaa nahmen den ehemaligen Leiter der Militärjustiz des Assad-Regimes Ende Dezember fest. Bei dem Einsatz nahe der Hafenstadt Tartus kam es zu heftigen Zusammenstößen mit ehemaligen Kräften des Regimes, 14 Soldaten der neuen Regierung wurden dabei getötet.
Al-Hassan ist der bislang höchste Repräsentant des Assad-Regimes, den die Übergangsregierung ergreifen konnte. Ihm wird vorgeworfen, im wesentlichen verantwortlich für das Foltersystem im berüchtigten Saidnaja-Gefängnis zu sein. Zudem soll er tausende Todesurteile unterzeichnet und Angehörige verhafteter Syrer zur persönlichen Bereicherung erpresst haben.
Medienberichten zufolge wurden auch weitere, weniger hochrangige Repräsentanten des Assad-Regimes verhaftet. In Homs etwa nahmen Regierungskräfte rund 40 Personen fest - unter ihnen auch Mohmmed Noureddin Shalhoum, der für das Kamera-Überwachungssystem im Saidnaja-Gefängnis verantwortlich gewesen sein soll. Einige der Verhafteten sollen zudem an dem Massaker von Karam Al-Zeitoun im Jahr 2012 im Zentrum der Stadt beteiligt gewesen sein. Das Viertel war zunächst beschossen worden, anschließend drangen Regierungskräfte dort ein, folterten Dutzende Menschen und ermordeten sie.
Ebenfalls in Homs wurden Anfang Januar mehrere hundert ehemalige Regime-Mitarbeiter verhaftet. Darunter waren auch Mitglieder von Milizen, die ehemals für Assad kämpften, und die nicht bereit waren, ihre Waffen abzugeben. Zu diesem Schritt hatte die neue Regierung sämtliche bewaffneten Truppen bereits vor Wochen aufgefordert.
Zu Beginn dieser Woche startete eine neue Fahndung. Sie konzentriert sich vor allem auf die Verhaftung von Generalmajor Hossam Luka. Der ehemalige Leiter des Allgemeinen Nachrichtendienstes des Assad-Regimes wird noch in Syrien vermutet.
Die Verbrechen des Regimes
Derweil werden immer genauere Zahlen zu den Verbrechen des Assad-Regimes bekannt. Bereits im Dezember, wenige Tage nach dem Sturz der Diktatur, hatte die Menschenrechtsorganisation Syrian Network for Human Rights eine vorläufige Dokumentation der von der Assad-Regierung zu verantwortenden Verbrechen während der vergangenen 14 Jahre veröffentlicht. Demnach ermordete das Regime willkürlich 202.000 Menschen - darunter gut 23.000 Kinder und 12.000 Frauen. Weitere gut 96.000 Personen sind verschwunden, unter ihnen 2300 Kinder und 5700 Frauen. 15.000 Menschen starben durch Folter.
Diese und viele weitere Verbrechen will die Übergangsregierung nun aufarbeiten. "Wir werden nicht zögern, die Kriminellen, Mörder, Sicherheitsbeamten und Soldaten, die an der Folterung des syrischen Volkes beteiligt waren, zur Rechenschaft zu ziehen", hatte sie auf dem Messenger-Dienst Telegram auf Arabisch bekanntgegeben. Auch werde man Kriegsverbrecher verfolgen und ihre Auslieferung fordern, sollten sie in ausländische Staaten geflohen sein.
Tatsächlich sei nicht auszuschließen, dass viele Repräsentanten des Regimes längst Syrien verlassen hätten, sagt Bente Scheller, Leiterin des Referats Nahost und Afrika der Heinrich-Böll-Stiftung. "Wer dazu in der Lage war, dürfte das inzwischen getan haben."
Enorme juristische Herausforderungen
Umso mehr komme es nun auf internationale Zusammenarbeit an, so Scheller zur DW. "Alle Länder, in die sich die Täter flüchten könnten, stehen nun in der Pflicht, diese möglichst zu identifizieren und zur Strafverfolgung beizutragen. Diese sollte möglichst in Syrien stattfinden, vorausgesetzt, das Land ist dazu in der Lage."
Wer für Menschenrechtsverbrechen in Syrien verantwortlich war, dem müsse auf rechtsstaatlicher Ebene und mittels legitimierter juristischer Instanzen der Prozess gemacht werden, so Scheller. Das sei langfristig unabdingbar. "Denn damit signalisiert die neue Regierung, dass es nun ein Rechtssystem gibt, an das jeder Bürger, jede Bürgerin sich wenden kann. Das verhindert nicht nur weitere Lynchjustiz, sondern stärkt auch das Vertrauen in den Staat allgemein."
Unterstützung aus Deutschland
Allerdings sind die Aufgaben enorm. Syrien liegt ökonomisch am Boden, und ein funktionierendes Rechtssystem kostet Geld. Auch die historische Erfahrung anderer arabischer Länder, die nach dem Revolutionsjahr 2011 neue Regierungen erhielten, sind wenig ermutigend: Weder in Ägypten noch im Irak noch im Jemen wurden die Verbrechen der gestürzten Regime umfassend aufgearbeitet und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen.
Zudem sei das juristische System in Syrien komplett zusammengebrochen, sagt Mouna Ghanem, Leiterin der NGO Syrian Women's Forum for Peace, im DW-Interview. Wenn Ahmed al-Scharaa das Land auch juristisch in eine neue Zeit führen wolle, müsse er die Schwachstellen identifizieren und um internationale Hilfe bitten.
Diese kommt nun zumindest aus Deutschland. Zu Beginn der Woche hat das Auswärtige Amt nun erklärt, Deutschland werde den International, Impartial and Independant Mechanism (IIIM) der Vereinten Nationen weiter unterstützen. Dieser sammelt seit 2016 Beweismaterialien der in Syrien begangenen Verbrechen, dokumentiert sie und stellt sie für Gerichtsverfahren bereit. Auf dieser Grundlage konnte auch die deutsche Justiz schwere Menschenrechtsverstöße des Assad-Regimes gemäß dem Weltrechtsprinzip strafrechtlich verfolgen. Kurzfristig werden vom Auswärtigen Amt eine Million Euro bereitgestellt, um die Arbeit des IIIM weiter zu stärken.
Syrien habe zudem eigene Expertise, um die Verbrechen des Regimes juristisch aufzuarbeiten, sagt Bente Scheller. "Es gibt viele syrische Juristen, die sich in den vergangenen Jahren mit eben diesen Fragen beschäftigt haben."