Homosexualität im Tierreich
8. August 2017Es gibt viele Gründe, warum Tiere gleichgeschlechtlichen Aktivitäten nachgehen. Manchmal, weil gerade kein andersgeschlechtlicher Partner verfügbar ist. Zu anderen Zeiten macht es ihnen einfach Spaß, oder es geht darum, soziale Bindungen zu knüpfen oder Streit zu schlichten.
"Homosexualität ist in der Natur weit verbreitet und überhaupt kein Problem", sagt Jasper Buikx, Biologe am ARTIS-Zoo in Amsterdam.
"Im Tierreich gibt es einfach keine Homophobie, wenn dann nur Heterophobie."
Die meisten Tiere sind dabei nicht wirklich homo-, sondern eher bisexuell. Sie paaren sich auch mit dem anderen Geschlecht, etwa um Nachwuchs zu zeugen. Aber es gibt auch Beispiele von stabilen ausschließlich schwulen oder lesbischen Partnerschaften, die manchmal sogar zur Bildung von Familien führen.
Zwei schwule Geier brüten ein Ei aus
Das aktuellste Beispiel findet sich im ARTIS-Zoo in Amsterdam: Zwei männliche Gänsegeier haben vor kurzem ein Ei zusammen ausgebrütet und ziehen jetzt das Küken auf.
Gänsegeier sind monogame Tiere, und die beiden Amsterdamer Turtelgeier sind schon seit ein paar Jahren ein Paar. Laut ihrem Tierpfleger Job van Tol sind sie recht wählerische Tiere. Wenn sie sich einmal einen Partner ausgesucht haben, bleiben sie meistens auch bei ihm.
Die zwei männlichen Geier balzen seit mehreren Brutzeiten miteinander, bauen Nester und versuchen, eine Familie zu gründen, sagt van Tol. Aber das haben sie bisher aus biologischen Gründen natürlich nicht geschafft. Bis die Zoobelegschaft ein verlassenes Ei entdeckte. Ein Test bestätigte, dass es befruchtet war - also gaben sie es dem schwulen Pärchen, das sofort begann, für es zu sorgen und es warm zu halten.
"Wir wollten ihnen die Gelegenheit geben, das Ei auszubrüten und das Küken großzuziehen", sagt van Tol im DW-Interview. "Wir waren nervös, ob es klappen würde. Das ist das erste Mal, dass wir so etwas versucht haben." Aber die beiden hätten den Job nicht besser erledigen können, so van Tol: "Das Küken ist inzwischen schon so groß wie seine Ziehväter."
Das Küken ist jetzt zwei Monate alt und macht sich sehr gut. Dank der schwulen Ziehväter, sagt van Tol, denn sobald es geschlüpft war, erfüllten diese ihre Elternpflichten: Futter heranschaffen, das Küken füttern und das Nest verteidigen. Alle Aufgaben wurden gerecht geteilt - so wie bei anderen Geiereltern auch. "Es ist egal, ob ein homosexuelles oder ein heterosexuelles Pärchen ein Küken aufzieht", sagt van Tol. "Die schwulen Eltern können das ganz genau so gut."
Homosexuell fürs Leben
Das niederländische Duo ist kein Einzelfall. Im New Yorker Central-Park-Zoo adoptierten zwei männliche Zügelpinguine, die seit sechs Jahren ein Paar waren, ein befruchtetes Ei und zogen das Küken daraus auf.
Vögel wie Geier, Gänse und Enten sind dafür bekannt, dass sie sich mit einem Partner fürs Leben verpaaren. Gleichgeschlechtliche Paare bilden da keine Ausnahme.
Es gibt sie außerdem viel häufiger, als lange Zeit angenommen wurde. In einer Lachmöwenkolonie etwa ist jedes zehnte Paar ein lesbisches. Auch beim Laysanalbatros, der auf Hawaii brütet, gibt es viele homosexuelle Partnerschaften: Rund 30 Prozent der Paare auf der Insel Oahu bestehen aus zwei Weibchen. Auch etwa 20 Prozent aller Schwanenpärchen sind gleichgeschlechtlich.
Sozialen Zusammenhalt stärken
Auch andere Tiere pflegen Homosexualität - wenn auch nicht so lebenslang wie einige Vogelarten. Ein Beispiel ist der Bonobo, eine Menschenaffenart.
Fast alle Bonobos sind bisexuell, und Sex ist für sie mehr als nur Fortpflanzung. Wie Menschen haben sie Sex zum Vergnügen - und das mit beiden Geschlechtern. Gleichgeschlechtliche Bonobopaare wurden schon beim Küssen und beim Oralsex beobachtet und dabei, wie sie die Geschlechtsteile des anderen massierten.
Bonobos nutzen Sex, um soziale Bindungen zu festigen und Streit beizulegen. Männliche Bonobos, die miteinander kämpfen, reiben oft ihre Genitalien aneinander, um Spannungen abzubauen.
Ähnliches geschieht mit männlichen Löwen, die mit ihren Brüdern anbandeln und gemeinsam das Rudel anführen. Sie stärken ihre Bindung und symbolisieren Ergebenheit, indem sie Geschlechtsverkehr miteinander haben. Auch Große Tümmler zeigen homosexuelles Verhalten.
Wie definiert man, ob ein Tier homosexuell ist?
Wie aber wissen wir, ob ein Tier tatsächlich schwul oder lesbisch ist? Für Forscher ist das schwierig, denn sie können die Tiere nicht fragen, was sie fühlen - sie können lediglich ihr Verhalten interpretieren.
"Wir sehen bei unserem schwulen Geierpärchen in Amsterdam, dass sie immer wieder zueinander zurückkommen", so van Tol. "Sie haben eine starke Bindung zueinander. Aber natürlich können wir sie nicht fragen, warum das so ist und ob sie strikt homosexuell sind. Trotzdem ist es ihre Entscheidung, immer wieder zueinander zurückzukehren, und das sagt bereits einiges aus".
Ein US-Forscher gab männlichen Hausschafen jeweils die Wahl zwischen einem Weibchen und einem Männchen als Geschlechtspartner - zwischen sechs und zwölf Prozent der Böcke entschieden sich für einen anderen Bock.
Es zeigte sich, dass Böcke, die sich lieber mit anderen Männchen paaren, leicht andere Gehirne haben. Der Hypothalamus - der Teil des Gehirns, der Geschlechtshormone abgibt - war bei schwulen Böcken kleiner. Das unterstützt die Theorie, dass es tatsächliche rein homosexuelle Tiere gibt.
Immer noch ein Tabu
Homosexuelles Verhalten bei Tieren zu interpretieren, ist für Forscher nach wie vor kompliziert. Das Gebiet benötigt laut Buikx mehr Forschung; es existieren zu wenige Daten, um stichfeste Schlussfolgerungen zu ziehen.
"Es gibt sehr wenige Forscher, die sich mit dem Thema beschäftigen", sagt Buikx. "Es gilt als etwas, das sich nicht gerade sehr positiv auf die wissenschaftliche Laufbahn auswirkt. Wir müssen klarmachen, dass Homosexualität kein Tabu sein sollte."
Das ist einer der Gründe, warum Buikx immer im August zum Amsterdamer Gay-Pride-Festival spezielle Touren durch den ARTIS-Zoo organisiert. Dabei stellt er den Besuchern die homosexuellen Tiere vor, die bei ihnen im Zoo leben. "Wir wollen den Menschen zeigen, dass Homosexualität keine Bedrohung für die Evolution ist", sagt er. "Wir haben Platz für Homosexuelle, Bisexuelle, Heterosexuelle - alles ist natürlich." Unnatürlich sei nur eins: Homophobie und alle möglichen Arten von Tabus, die sich in der menschlichen Gesellschaft bis heute gehalten haben.